Kapitel 3

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Gegen Nachmittag hatte ich beschlossen, mit dem Geld, dass mir meine Mutter gegeben hatte essen zu gehen. Natürlich nahm ich Lilly mit, sie brauchte mal etwas Beschäftigung. Ich hatte auch meine Mutter gefragt, aber sie hatte nur müde den Kopf geschüttelt: „Geht ihr nur. Macht euch einen schönen Abend". Mit diesen Worten war sie dann wieder im Schlafzimmer verschwunden.
Eine halbe Stunde später saßen wir bei Lilly's Lieblingsitaliener und warteten auf unser Essen. Den ganzen Weg über war sie sehr schweigsam gewesen, aber jetzt begann sie zu reden. Darüber, wie sehr sie sich wünschte, dass Mia wieder da wäre. Mia war ihre Beste Freundin seit sie denken konnte. Und vor einem halben Jahr war sie weggezogen. Für Lilly brach war eine Welt zusammengebrochen. Sie hatte sich nicht mal bemüht, in der Klasse neue Freunde zu finden. Sie meinte, dass sie sicher keine so gute Freundin wie Mia finden würde. Dabei waren Freunde etwas, was sie gerade jetzt am meisten brauchte. Freunde, mit denen sie Spaß haben kann, mit denen sie ihre Probleme vergisst. Freunde, denen sie erzählen kann, worüber sie sonst mit keinem Spricht. Aber für sie schien das nicht leicht zu sein.
Als ich am Abend im Bett lag, dachte ich daran, was ich gestern um diese Zeit gemacht hatte. Ich war auf dem Weg zur Party gewesen, in der Hoffnung mich dort amüsieren zu können. Im Grunde war ich nur vor der schlechten Stimmung zuhause weggelaufen. Aber dann hatte ich ja Paul getroffen. Mist, warum hatte ich ihn nicht nach seiner Nummer gefragt? Auf einmal hatte ich das seltsame Gefühl, ihn zu vermissen. Wie er Gitarre gespielt und gesungen hatte, wie wir zu ihm nach Hause gefahren waren. Nicht dass ich mich am Ende noch in ihn verliebte. Um ehrlich zu sein, hatte ich Angst davor. Nach dem letzten Mal hatte ich beschlossen, mich von Liebe und so möglichst fernzuhalten. Was nicht hieß, das ich nicht ab und zu mit dem einen oder anderen Typen rumgemacht hatte. Aber eben nichts festes. Bloß kein Gefühlschaos und erst recht kein gebrochenes Herz. Damals, nachdem mein damaliger Schwarm mir (nicht mal persönlich, sondern über einen Freund) mitgeteilt hatte, dass er nicht das geringste Interesse an mir hatte und mit dieser, leider ziemlich hübschen, Schlampe namens Julia zusammengekommen war, hätte ich mich beinahe umbringen wollen. Er hatte mir auch noch Hoffnungen gemacht, obwohl ich ihm von Anfang an nichts bedeutet hatte. Mal hatte er mich komplett ignoriert und war kalt und abweisend gewesen und dann war er wieder so unglaublich nett und süß und witzig.
Ich merkte, dass ich mich schon wieder in Gedanken verlor, zog die Decke hoch, drehte mich auf die Seite und schaffte es letztendlich doch, einzuschlafen.
Am nächsten Morgen war Sonntag. Sehnsüchtig dachte ich daran, wie ich gestern auf Pauls Sofa aufgewacht war. Dort war alles in Ordnung gewesen, wie in einer anderen Welt, in die ich für ein paar Stunden hatte verschwinden können. Als ich in der Nacht auf Toilette gegangen war, hatten dort leere Tablettenschachteln im Waschbecken gelegen. Ich wusste, dass sie von meiner Mutter stammten und ich wusste, dass sie sicher wieder zu viele genommen hatte. In der Küche fanden sich auch einige geöffnete Flaschen diversen Alkohols und zwei Gläser. Eines davon zerbrochen in tausenden Scherben auf dem Boden. Vorsichtig umging ich die Glassplitter um mir einen Kaffee zu machen. Während das Wasser kochte nahm ich einen Besen und kehrte die Scherben weg.
Ich saß im Wohnzimmer, trank meinen Kaffee und scrollte gelangweilt durch meine Instagram Startseite. Aus dem Augenwinkel sah ich Lilly im Bad verschwinden. Meine Mutter schlief sicher noch bis mittags. Also stand ich auf, ging in die Küche und machte uns Frühstück. Als Lilly aus dem Bad kam, waren ihre Augen leicht gerötet, als hätte sie geweint. Ich würde sie allerdings besser nicht darauf ansprechen. Während ich darauf wartete, dass die Aufbackbrötchen im Ofen fertig wurden, beschloss ich kurzerhand Sam nach Pauls Nummer zu fragen. „Also läuft da doch was", lautete Sams Antwort, die ich innerhalb von Sekunden erhielt. „Nein, gib einfach die Nummer", antwortete ich. Also ich schließlich die Nummer erhielt, rief ich ohne zu zögern an. „Hallo, wer ist da?", meldete sich Paul am anderen Ende der Leitung. „Hey, hier ist Hope", meinte ich und hoffte, dass er sich überhaupt an mich erinnerte. „Ah, hi. Na, was gibts?", fragte er zum Glück ganz cool und gelassen. „Ummm... Ich wollte nur mal fragen was du so machst", antwortete ich etwas unsicher. „Bin mit Freunden unterwegs", sagte er und fügte nach kurzem Schweigen hinzu: „du kannst auch kommen wenn du willst". „Ja, cool. Wo seid ihr denn?", fragte ich, auf einmal hellwach. „Die Straße bei mir vor dem Haus ein Stück runter. Wir sitzen bei so einem alten VW Bus". „Gut, ich bin so in einer Dreiviertelstunde da", versprach ich. „Okay, bis dann", verabschiedete sich Paul und legte auf.
„Lilly?", rief ich in das Zimmer meiner Schwester hinein. „Ich habe dir Frühstück gemacht und gehe jetzt zu Freunden, in Ordnung?". „Hm, okay", war alles was ich als Antwort bekam. Bevor ich noch ein schlechtes Gewissen bekam, griff ich nach meinem Schlüssel, schlüpfte in die abgenutzten Adidas Sneaker und eilte die Treppen herunter. Ich würde wohl mit dem Bus zu Paul kommen müssen, etwas anderes blieb mir nicht übrig.
Nach einer halben Stunde Busfahrt und etwa 20 Minuten zu Fuß konnte ich den VW Bus sehen, von dem Paul gesprochen hatte. Im Näherkommen könnte man Stimmen hören. Ich ging um den Bus, der halb auf dem Seitenstreifen und halb im Graben stand herum und stand vor einer Gruppe Jugendlicher auf Klappstühlen. Als Paul mich sah stand er auf und begrüßte mich. „Ah, das ist also dein One-Night-Stand?", meinte ein Mädchen mit Schulterlangen roten Haaren und für ihre Haarfarbe ungewöhnlich dunkel Braunen Augen lachend. „Sie ist nicht mein...", begann Paul energisch, brach dann aber ab. „Darf ich vorstellen, das ist Hope", fuhr er schließlich fort. Ich wurde von den anderen herzlich begrüßt. Ein Junge stand auf und holte einen weiteren Klappstuhl und etwas zu Trinken aus dem klapprigen Bus. Als ich mir die Gruppe einmal genauer ansah, blieb mein Blick an einem Typ hängen, der etwas weiter hinten saß und jetzt begann, seine Gitarre zu stimmen. Er trug ein, für die für Anfang April sehr warmen Temperaturen etwas zu dicken Pulli, der aussah, wie aus einem der, neuerdings wieder trendigen, Secondhandläden. Dazu eine verwaschene schwarze Jeans und Turnschuhe aus den neunzigern die mindestens so abgenutzt waren wie meine. Nur dass es bei ihm irgendwie viel cooler aussah. Seine Haare waren mittel- bis dunkelbraun und wenn er sich so über seine Gitarre beugte, fiel ihm eine Strähne ins Gesicht. Er machte sich allerdings nicht die Mühe, diese widerspenstige Locke zurückzustreichen. Auf einmal hob er seinen Blick und sah mir direkt ins Gesicht. Schell schaute ich irgendwo anders hin und hoffte, dass er meinen Blick nicht bemerkt hatte.

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Wenn ihr bis hierhin gelesen habt, erst mal ein ganz großes Dankeschön <3
Dieses Kapitel war zwar nicht besonders lang und es ist auch nicht all zu viel passiert, allerdings ist es sehr wichtig um die für die folgenden Kapitel relevanten Personen kennenzulernen.

When the night is overWo Geschichten leben. Entdecke jetzt