Kapitel 11

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Am nächsten Morgen, kam es mir vor, als wäre der gestrige Abend nie passiert. Ich musste mich allerdings nur auf die Seite drehen, um vom Gegenteil überzeugt zu werden. Nach einem kurzen Blick auf mein Handy, der mir verriet, dass es erst halb acht war, schloss ich meine Augen und schlief nochmal ein.
Als ich das nächste Mal aufwachte, war es neun und Felix lag nicht mehr neben mir. Den Geräuschen nach zu urteilen duschte er gerade. Ich stand auf, hob meine Klamotten vom Boden auf und zog mich an. Dann setzte ich mich wieder auf die Bettkante und ging an mein Handy, wobei ich ernüchtert feststellen musste, dass ich keine einzige neue Nachricht hatte. Auch sonst gab es nichts interessantes. Also stand ich auf und sah mich ein wenig um. Er hatte ein großes CD Regal, randvoll mit Alben von Nirvana, Stone Temple Pilots, Sound Garden, Alice In Chains und Pearl Jam. Zwar nicht ganz genau meine Musikrichtung, aber definitiv nicht schlecht.
Fünf Minuten später saßen wir beim Frühstück. „Und was machst du heute so?", fragte Felix um die Stille zwischen uns zu brechen. Es war keine unangenehme Stille, aber trotzdem war es angenehmer, ein Gesprächsthema zu haben. „Ich gehe nachher zu Mandy, wir haben ein Biss Stress gehabt und ich will das wieder in Ordnung bringen". Auf einmal veränderte sich sein Gesichtsausdruck. „Wohnt diese Mandy hier in der Nähe?", fragte er mit hochgezogener Augenbraue. Ich nickte. „Scheiße", murmelte er.
„Wieso?", hakte ich nach. „Ich hatte mal was mit der", gab er verlegen zu.
„Oh", antwortete ich etwas geschockt. Sie hatte mir nie etwas davon erzählt. „Ja, es war nur kurz, letzte Sommerferien",fügte Felix hinzu. Als würde es das besser machen. Ich war nicht wirklich sauer auf ihn, er hatte das alles schließlich nicht ahnen können. Viel mehr fragte ich mich, warum Mandy mir nichts erzählt hatte. Und wie würde sie darauf reagieren, dass ich jetzt mit ihm zusammen war. Moment? War ich das überhaupt? Das hatten wir eigentlich nie wirklich festgelegt. Ich räusperte mich kurz. „Liebst du mich?", fragte ich und griff nach Felix Hand, die auf dem Tisch lag. Eigentlich hatte ich fragen wollen, ob wir jetzt zusammen waren. Er nickte, wobei er mir tief in die Augen sah und sagte dann mit gesenkter Stimme: „Ja, ich liebe dich"
Er lehnte sich nach vorne und küsste mich.
Ich stand auf und umarmte ihn. „Ich liebe dich auch", erwiderte ich und warum auch immer machte es mich total emotional, das zu sagen. Weil es wahr war. Seine Hand strich über meinen Rücken und berührte kurz meine, als er sie sinken ließ. Ich konnte das elektrisierende Gefühl seiner Berührung noch minutenlang nachspüren. Die Wärme, das Kribbeln. „Ich muss gehen", sagte ich schließlich und ruinierte damit die letzte perfekte halbe Stunde. Gerne wäre ich noch länger geblieben, aber ich wollte das mit Mandy jetzt endlich hinter mich bringen. Ein wenig trübsinnig ging ich die Treppe hinunter. Was würde Mandy dazu sagen? Erst versetze ich sie ständig wegen Paul und meinen neuen Freunden und dann fange ich etwas mit ihrem Ex-Freund an? Wobei ich zu meiner Verteidigung sagen musste, dass ich das nicht gewusst hatte. Es gab Gerüchte in der Schule, dass sie ein ziemliches Alkoholproblem hatte, was ich mir ganz gut vorstellen konnte, nach der Sache mit dem Vodka in der Mittagspause. Am Ende war es meine Schuld. Ich hatte vermutlich ihr Leben ruiniert. Dabei wollte ich nur einmal tun was sich für mich richtig anfühlt und mich glücklich macht. Vermutlich war das wieder total egoistisch. Das war typisch für mich. Ich sah mich immer in der Opferrolle und andere mussten dafür leiden. Okay, jetzt dramatisierte ich vermutlich wieder. So schlimm war es nun auch wieder nicht gewesen. Vermutlich sah bald alles ganz anders aus. Alles wird gut. Das sagt man immer so. Aber vielleicht ist auch einfach alles vorbei.
So ziemlich genau das waren meine Gedanken, als ich mit vor Schreck geweiteten Augen das blaue Auto auf mich zukommen sah. Nur war es leider schon zu spät. Ich hörte die Bremsen quietschen während mir der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Dann sah und hörte ich gar nichts mehr. Überhaupt nichts.

When the night is overWo Geschichten leben. Entdecke jetzt