Schlimmer als gedacht...

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„Solche Dinge werden Sie niemals benötigen." Umbridge klingt entschlossen und völlig naiv.
Ein mir nach wie vor unbekanntes Mädchen aus Hufflepuff hat gerade gefragt, ob wir nicht endlich einige Selbstverteidigungszauber lernen, für den Fall, dass Voldemort zurück kommt.
„Aber Professor", murmelt das Mädchen jetzt. „Es deutet doch alles darauf hin, dass die Todesser immer stärker werden. Wir müssen uns doch verteidigen können!"
„Es-gibt-nichts-zu-befürchten", sagt sie langsam und ich sehe, dass ihre Beherrschung bröckelt.
„Aber Harry Potter.."
„Harry Potter lügt!", schreit sie jetzt und da fällt die ganze Fassade. „Der Junge erzählt Lügen und Sie sollen nicht lügen!"
„Professor", mische ich mich jetzt ein. „Harry lügt nicht. Er sagt die Wahrheit, er hat uns erzählt, was passiert ist. Die ganzen Geschehnisse in den letzten Monaten sind beunruhigend und deuten darauf hin, dass sich die Todesser in größeren Scharen denn je um Voldemort versammeln."
Ginny rammt mir schockiert den Ellenbogen in die Seite und will mich warnen, aber es ist ja sowieso zu spät. Und ich werde ganz bestimmt nicht zulassen, dass diese Dusselkuh Harry so durch den Dreck zieht. Er tut alles für uns, gibt sich solch eine Mühe, dass wir im Falle eines Angriffs vorbereitet sind warum sollte er sich diese Arbeit machen, wenn er lügt? Das ist Unsinn und das weiß jeder, der halbwegs vernünftig denken kann!
„Sie sind eine Lügnerin, Miss Whitestone", sagt sie piepsig. „Und wissen Sie, was mit Lügnern wie Ihnen passiert?"
„Oh, Sie werden es mir wohl gleich sagen", erwidere ich feindselig. Mir doch egal, was sie mir jetzt aufbrummt, aber ich bin es leid. Seit Wochen erzählt sie dieselbe Drachenkacke und es ändert sich nichts, außer, dass es nur immer schlimmer wird und sie uns noch mehr Lügen auftischt, die nicht einmal ein dummes Kleinkind glauben würde.
„Sie freches Gör!", schreit sie mich an. „Sie werden bestraft!"
Ich zucke mit den Schultern. „Na dann. Da bin ich wohl nicht die Erste und nicht die Letzte."
Aus dem Augenwinkel registriere ich, dass Ginny mich mit aufgerissenen Augen anstarrt. Sie fängt gleich an zu weinen, so wie ich sie kenne.
„Raus", flüstert Umbridge empört.
Ich greife nach meiner Tasche und verlasse den Klassenraum. Sie kommt mir nach und schubst mich nicht gerade sanft in einen angrenzenden Raum, wo sie mir ein Stück Pergament vorlegt und ich packe bereits genervt meine Feder aus, als sie mit der Zunge schnalzt, wie sie es immer tut. „Na, na, na. Sie benutzten eine spezielle Feder. Eine von meinen."
Mit hochgezogenen Augenbrauen sehe ich sie an. Dann ist an den Gerüchten wohl doch etwas dran?
„Und jetzt schreiben Sie 50 Mal 'Ich soll nicht lügen' auf das Pergament", befiehlt sie mir amüsiert und gluckst. Widerliche Frau.
Ich atme genervt durch und setze die Feder auf das Pergament und beginne zu schreiben. Plötzlich zieht ein beißender Schmerz durch meine Hand. Das war kein Gerücht. Das war die harte Wahrheit, ich erlebe sie gerade am eigenen Körper.
„Was ist? Haben Sie vergessen, was Sie schreiben sollen?", fragt sie mich zuckersüß.
„Wie könnte ich", murmle ich und beiße die Zähne zusammen, als ich weiterschreibe.
Das Blut läuft mittlerweile über meine gesamte Hand, aber das ist dieser Hexe egal. Und ich bin erst beim 26. 'Ich soll nicht lügen' angekommen. Mir steht mittlerweile der Schweiß auf der Stirn und der Schmerz macht mich halb wahnsinnig, als sie plötzlich zum Sprechen ansetzt. Der naive Teil in mir hofft, dass sie genug Spaß für heute hatte, stattdessen sagt sie: „Ich werde nun abgelöst, immerhin habe ich noch Unterricht", erklärt sie mir und plötzlich kommen Draco, Crabbe und Goyle hinein.
Ich schließe für einen Moment die Augen und schlucke hart. Draco. Ausgerechnet Draco. Hätte sie mir nicht irgendjemand anderen vor die Nase setzen können?
„Unsere kleine Freundin hat noch 30 Mal 'Ich soll nicht lügen' vor sich", erklärt sie und ich fahre aus der Haut.
„Können Sie nicht zählen? Von 26 bis 50 sind es 24!"
„Ich entschuldige mich", sagt sie mit diesem widerlichen aufgesetzten Lächeln. „Es waren doch 40. Bitte, meine Herren, überwachen Sie Miss Whitestone, bis sie aus ihren Fehlern gelernt hat." Und dann verschwindet sie. Diese verdammte, verlogene Dreckskuh! Ich kann meinen Ärger nicht in Worte fassen, aber ich werde mich bei ihr auf die eine oder andere Art revanchieren.
Ich starre an die Decke und atme durch.
„Jetzt schreib gefälligst, Miststück!", fährt Crabbe mich an und mit hochgezogenen Augenbrauen sehe ich ihn an.
„Mit dem größten Vergnügen", zische ich verbissen. Ich werde keine Schwäche zeigen, nicht hier, nicht jetzt. Ich werde durchhalten, ich lasse mich von dieser verdammten Umbridge nicht unterkriegen. Das wäre ja noch schöner!
Ich sehe flüchtig, wie Draco mich irgendwie mitleidig ansieht. So, als würde es ihm aufrichtig leid tun. Aber vermutlich bilde ich mir das nur ein, der Schmerz zieht vermutlich schon in mein Gehirn.
Ich habe das Gefühl, dass ich mir den Kiefer breche, wenn ich noch fester die Zähne aufeinander beiße. Satz 49 von 66 steht nun auf dem Pergament und mir steigen immer wieder Tränen in die Augen, das Blut fließt und fließt und fließt, läuft mittlerweile sogar über den Tisch. Es fühlt sich an, als würde jemand immer größere Messer in meiner Hand herumdrehen und noch Salz hinein streuen.
Aber ich gebe keinen Laut von mir. Ich werde keine Schwäche zeigen. Niemals. Das rede ich mir immer wieder ein, während ich einen Buchstaben nach dem anderen auf das Pergament bringe das ist das einzige, was mich noch davor bewahrt, gequält aufzuschreien.
„Oh, sag bloß, du hast Schmerzen?", höhnt Goyle jetzt und ich würde diesem hirnlosen Gorilla am liebsten die Feder durch den Hals rammen, damit er endlich seine blöde Fresse hält, aber ich lasse mir nichts anmerken, sage nichts.
Meine Hand zittert, sodass die Buchstaben nur noch undeutlich zu lesen sind, aber auf meiner Hand kann man die Wörter ja notfalls nachlesen.
Satz 53, meine Sicht verschwimmt immer mehr. Ich atme flach, tröste mich damit, dass es nur noch dreizehn Sätze sind. Dreizehn Sätze. Das macht 52 Wörter. 884 Buchstaben.
„Ihr könnt gehen", fährt Draco seine Lakaien plötzlich an. „Ich warte, bis sie fertig ist. Dann habe ich noch meinen privaten Spaß mit ihr. Richtet Umbridge aus, dass sie diese Bestrafung nicht so schnell vergessen wird. Ich will meine Ruhe. Verschwindet jetzt."
Die beiden Hohlbirnen nicken und verschwinden, während ich Satz 54 schreibe und einen Schwall Luft ausstoße, um nicht zu schreien.
Die Tür fällt hinter mir ins Schloss und ich atme vorsichtig durch. Noch 867 Buchstaben.
Plötzlich steht Draco vor dem Tisch und nimmt mir behutsam die Feder aus der Hand.
Ich sehe zu ihm auf, sehe ihn aber mehr als verschwommen. „Was tust du da?", presse ich zwischen den Zähnen hervor. Ich bringe all meine Selbstbeherrschung auf, um nicht einzuknicken.
„Hör auf", sagt er leise und legt die Feder auf den Tisch hinter ihm. „Gib mir deine Hand."
Ich schüttle stur den Kopf. „Zwölf Sätze."
Er sieht mich durchdringend an. „Es reicht. Du hältst nicht viel mehr aus, Valerie. Ich sage, du kannst aufhören."
Ich stehe auf und schwanke gefährlich. Mein Kreislauf ist mit den Schmerzen komplett überfordert, weil es kein Gegengewicht dazu gibt. Ich stütze mich am Tisch ab und ziehe mich darum herum und greife nach der Feder. „Zwölf-verdammte-Sätze", knurre ich, aber Draco hält mich am gesunden Handgelenk fest, als ich an ihm vorbei zum Tisch zurückgehen will. „Valerie."
Seine Stimme ist wie Balsam für meinen Geist. Ich schließe die Augen und atme heftig, bemerke das heftige Brennen in meinen Augen. Ich spüre, dass meine eiserne Verteidigung innerhalb der nächsten Sekunden zu brechen droht. „Ich werde diese verdammten 867 Buchstaben noch auf das Papier bringen, und wenn ich danach umfalle. Ich.. gebe nicht auf. Ich lasse Umbridge nicht sehen, dass ich aufgebe."
In diesem Moment knicken mir die Beine weg, für einen Augenblick wird es dunkel um mich herum. Doch Draco fängt mich auf. „Valerie", murmelt er beruhigend. „Komm zu dir."
Ich stöhne, weil der Schmerz mich halb wahnsinnig macht, öffne aber die Augen. „Ich will nicht aufgeben, Draco", flüstere ich und spüre die Tränen, die sich nun endgültig in meinen Augen gelöst haben. „Ich bin nicht schwach."
„Nein, bist du nicht. Und sie wird nichts sehen, was darauf schließen lässt", erwidert er ruhig. „Das Pergament wird sowieso vernichtet. Sie sieht die Narben auf deiner Hand, das bringt ihr absolute Genugtuung." Er hält mich stur weiterhin in den Armen, weil ich partout keine Kraft habe, eigens auf meinen Beinen zu stehen. Der Schmerz und meine Willenskraft haben mir alle Energie abverlangt, die ich jemals hatte.
„Du arbeitest für sie", flüstere ich heiser. „Warum würdest du mir helfen wollen?"
Er hebt mich kurzerhand hoch und setzt mich behutsam auf einen Tisch, dann greift er nach meiner Hand. Sie sieht aus, als hätte ein Werwolf genüsslich über mehrere Stunden darauf herum gekaut. Das Blut läuft in Strömen aus den Rissen. 'Ich soll nicht lügen'. Ob ich diesen Satz jemals wieder vergessen werde?
Er spricht irgendeinen merkwürdigen, mir völlig unbekannten Zauber und langsam versiegt der Blutstrom und die Schnitte schließen sich ein wenig.
Ernst betrachtet Draco meine Hand. „Die Narben werden verblassen", murmelt er, sieht mich aber entschuldigend an. „Ich kann gegen die Schmerzen nichts tun. Du musst damit zu Madam Pomfrey gehen, sie kann dir besser helfen als ich."
„Danke", flüstere ich. „Aber warum tust du das? Du hast mir nicht geantwortet."
Er sieht für einen Augenblick an mir vorbei. Dann schluckt er und sieht mir in die Augen. „Ich bewundere dich, Valerie", sagt er jetzt leise. „Du hast eine unglaubliche Willensstärke."
„Ich gönne niemandem einen ungerechten Triumph über mich", murmle ich und sehe ihn an.
Er lächelt kurz bitter. „Das kann nicht jeder."
Ich betrachte ihn eingehend und für einen Moment wird der Schmerz ein wenig dumpfer. „Warum hilfst du mir? Nach allem, was ich über dich gehört habe, ist das nicht deine Art. Du bist laut allen anderen gemein, bösartig und rücksichtslos, du bist angeblich nicht nett. Und wenn doch, versprichst du dir etwas davon. Aber.. du bist unglaublich nett zu mir. Unfassbar, eigentlich. Du bist Umbridge unterstellt und ich habe gehört, dass du dieser Aufgabe zielstrebig nachgehst. Warum bist du zu mir anders?"
Ich sehe seine Kieferknochen hervortreten. „Man sollte nicht restlos alles glauben, was man über mich hört."
„Das tue ich nicht", flüstere ich. „Deshalb frage ich dich. Warum, Draco? Warum tust du so, als würdest du zu den Bösen gehören und kümmerst dich um mich? Wo ich nicht einmal reinblütig bin?" Ich begebe mich auf ganz, ganz dünnes Eis und eigentlich macht es mir eine Heidenangst, aber jetzt bin ich hier, jetzt kann ich Antworten kriegen. Vielleicht bekomme ich keine andere Chance mehr.
„Ich tue nicht so", murmelt er, fast so, als würde er mit sich selbst sprechen. „Ich bin keiner von den Guten. Aber.."
„Aber?", hake ich vorsichtig nach.
Er sieht mir in die Augen und scheint mit sich zu ringen. „Aber vielleicht machst du mich zu einem."
Verwirrt sehe ich ihn an, aber bevor ich noch einmal blöd fragen kann, legt er sanft seine Lippen auf meine, fast so, als würde er erwarten, dass ich ihn angewidert von mir stoßen würde. Wenn der wüsste!
Ich erwidere den Kuss vorsichtig und sehe ihn anschließend verwirrt an.
Er atmet wie erleichtert aus und sieht mich an. „Ich werde ab jetzt auf dich aufpassen. So etwas wird dir nicht noch einmal passieren."
Mit großen Augen sehe ich ihn an. „Wie meinst du das?"
„Wenn Umbridge dich wieder einmal bestrafen will, aus welchem Grund auch immer, werde ich das übernehmen. Ich deklariere dich als mein neues Lieblingsopfer", erklärt er mir mit einem kurzen Grinsen. „Aber dir wird nichts mehr passieren. Versprochen."
„Wenn das mal funktioniert", sage ich leise. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es nicht auffällt.
„Es wird funktionieren, sie hat keinen Grund, mir zu misstrauen", sagt er ernst und sieht mich an. „Du musst mir vertrauen." Das hat schon die Schlange zum Kaninchen gesagt, aber vielleicht ist es ja auch möglich, dass natürliche Feinde zu Verbündeten werden.
Ich nicke langsam. „Okay."
„Okay?" Ein wenig erstaunt sieht er mich an.
„Welchen Teil von 'okay' hast du nicht verstanden? Ich vertraue dir", sage ich noch einmal langsam.
Er sieht immer noch sehr erstaunt aus, aber dann lächelt er. „Schaffst du es allein zum Krankenflügel oder soll ich jemanden holen?"
Ich schiebe mich vorsichtig vom Tisch und versuche, allein zu stehen. Dann gehe ich einen Schritt, ein wenig wacklig, aber es wird schon gehen.
Ich nicke. „Das kriege ich sicher hin."
„Sicher?" „Sicher."
Er nickt. „Okay. Dann geh jetzt in den Krankenflügel. Wir sehen uns." Er küsst mich tatsächlich noch einmal und wenn ich es beim ersten Mal noch nicht geglaubt hätte, wüsste ich es jetzt noch einmal ganz sicher.
Lächelnd drehe ich mich zur Tür und gehe.

Valerie und Draco/The good and the bad oneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt