Reed scannte aufmerksam die Gegend, während seine warmen Finger das Lenkrad umklammerten, fast schon zerdrückten. Seine Augen glitten durch die von Dämmerung geprägte Landschaft, welche sich Kilometer weit Streckte, gespickt von kahlen Feldern, welche normalerweise kostbares Gut zum sprießen brachten.
Die Augen des Polizisten flogen angespannt durch die Wälder. Nebelbänke beschränkten seine Sicht, stauten sich bedrohlich auf. Immer wieder hallte das Funkgerät in seinen Ohren, aus dem die Stimme einer seiner Kollegen und gleichzeitig besten Freundes drang. Reed bekam Gänsehaut. Es hieß ein Mann - etwa um die zwanzig Jahre - wurde in der Nähe des Great Slave Lakes gesichtet. Dieser lag in Kanada, in der Nähe von Yellowknife, die Stadt aus der Reed stammte.
Dem Augenzeugen nach zu urteilen, schien der Gesuchte traumatisiert und ließ sich nicht auf Hilfe ein. Er schien verängstigt, sollte sich angeblich weiter gen Süden bewegen.
Reed wusste wie kritisch dieser Einsatz war. Er musste alles daran setzen, den Mann zu finden. Immerhin war er fast noch ein Kind. Ihm wurde schlecht bei dem Gedanken, was ihn erwarten würde, wenn er, oder seine anderen Kollegen, die ebenfalls fahndeten, nicht fündig werden würden. Es war November und nichts Fremdes, dass jemand in der Kälte erfror. Viel zu oft schon, musste der Polizist eine Leiche aus wirbelnden Schneestürmen bergen, weil das Team es nicht eher schaffte. Desto beruhigter war er diesmal, das es nicht schneite und seine Suche so erleichtert war.
Der Dunkelhaarige steuerte seinen Jeep auf einen schmalen Waldpfad. Er spürte wie die Reifen über die unebene Strecke fuhren, vergeblich suchend nach Halt in dem Gerangel aus Staub und eisüberzogenden Fützen. Oft fuhr er diese Strecke. Sein Bruder Jay wohnte nicht weit ab vom See und so war es unselten, dass er ihn besuchte, trotz der langen Anfahrt.
Schnell verwarf Reed die Gedanken an seinen jüngeren Bruder. Er musste sich konzentrieren. Er musste diesen Mann retten. Nicht nur wegen seiner selbst Willen, sondern wegen seinem Versprechen, welches er in der Vergangenheit sich selbst gab.
"720 bitte kommen." Die Stimme von Alef holte ihn aus dem Gedanken. Sofort riss er das Funkgerät aus der Halterung und hielt es vor sich hin.
"Ich höre?",meldete sich Reed mit ernster Stimme zurück. Sein Puls beschleunigte sich. Entweder hatte Alef schlechte, oder gute Neuigkeiten.
Lass es bitte letzteres sein...
"Der Gesuchte müsste sich direkt auf deiner Höhe östlich von dir befinden. Dort wurde er zuletzt gesichtet."
Und er konnte nicht weit sein, wenn sein Zustand kritisch war.
Reeds Drang ihn zu finden verstärkte sich. Es war leichtsinnig von ihm, doch er musste zu Fuß weiter, wenn er Erfolg haben wollte. Der See war von sehr dichten Wäldern umgeben und würde es ihm unmöglich machen, mit Auto voran zu kommen und so blieb ihm keine andere Wahl, als seinen Jeep an den Rand zum Stehen zu bringen.
Schnell warf er die Tür auf und schlüpfte aus dem Sitz. Ohne zu zögern stürmte er sofort in den Wald, knipste seine Taschenlampe an, um der leichten Dunkelheit entgegen zu wirken. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er der Zentrale keinerlei Informationen über sein Vorgehen gegeben hatte, doch die Hoffnung auf ein baldiges Erscheinen eines Hubschraubers ließ ihn gleichgültig fortfahren. Sicher hatten sie ebenfalls Spürhunde eingesetzt, die nun das Gebiet durchkämmten. Und das alles nur für ein einziges Menschenleben. Doch Reed war der Aufwand definitiv Wert.
Seine Füße trugen ihn durch den gefrorenen Morast. Seine Lunge brannte durch das Einatmen der eiskalten Luft, welche ihn wie eine Welle entgegen schlug und mit jeder weiteren Sekunde zweifelte er daran, ob der Gesuchte noch lebte. Er keuchte. Wut keimte in ihm hoch, er hatte das Gefühl die Fassung zu verlieren.
Er darf nicht sterben. Ich muss ihn finden...
Reeds Muskeln waren ganz steif und er hatte Mühe voran zu kommen. Normalerweise sollte man denken, ein Polizist sei für derartige Wetterverhältnisse gewappnet, doch auch die niedrigste Temperatur würde ihn irgendwann in die Kniehe zwingen. Er war eben auch nur ein Mensch.
Seine Verbissenheit machte keinen Halt. Von Baum zu Baum suchte er seine Umwelt ab, hoffte auf ein Lebenszeichen, doch vergeblich. Es dauerte ganze weitere fünf Minuten. Fünf Minuten, die dem Menschen das Leben hätte kosten können, bis er mit seinem Taschenlampenlicht an einer zwilichtigen Gestalt hängen blieb.
Erleichterung schwemmte in Reed auf. Sofort zog er den Reißverschluss seiner Jacke hinunter, um den am Boden liegenden Mann einzuhüllen.
Er zitterte, wie der Polizist beim Näheren hingehen bemerkte. Zusammengekauert lag er auf dem gefrorenen Boden, mit zerrissener Kleidung, unfähig sich zu Bewegen, doch als Reed eine Hand unter seinen Körper schob, um ihn aufzusetzen, ließ dieser ein gequältes Wimmern verlauten.
"Alles ist gut.",murmelte er beruhigend und lehnte sich zusammen mit ihm an einen Baum. Reed legte sein Hand auf die Stirn des Anderen und zog ihn sofort enger an sich.
Er ist eiskalt... Ein paar Minuten später und er wäre sicherlich gestorben...
Er brauchte Körperwärme, sonst würde er unmöglich überleben, das wusste der Polizist.
Erneut wimmerte der unter ihm und plötzlich schlangen sich seine zierliche Finger um Reeds Oberarm, hielten ihn kraftlos fest. Reed wusste sich nicht zu helfen, denn plötzlich stieg ein unglaublich großer Beschützerinstinkt in ihm hoch. Dieser Mann auf seinem Schoß, war gar kein richtiger Mann. Er war vielleicht gerade einmal älter als 18 und somit noch nicht einmal erwachsen. Was verschlug ihn in die Weiten Kanadas? Sein Gesicht wirkte so unschuldig, wenn gleich es beinahe schon leblos wirkte.
Behutsam strich er ihm über die Wange. Er sollte dies nicht tuen, doch er konnte nicht anders, als ihn zu berühren. Reed erkannte im seichten Licht der Taschenlampe kleine Kratzer auf seiner Haut. Sie war blau verfärbt, überseht von Hämatomen.
Er muss misshandelt worden sein... Ist er deswegen hier? Ist er abgehauen?
Ein Schauer überkam ihn. Er hasste es zu wissen, dass ihm wehgetan wurde. Er hasste es zu wissen, dass er wohl möglich darunter litt und auch in Zukunft noch darunter leiden würde. Wie konnte man einem Menschen nur so etwas derart verheerendes antun?
Reed zog den kleineren noch enger an seine Brust. Er würde ihn nie wieder los lassen, er wollte ihn beschützen.
"Hab keine Angst. Du bist in Sicherheit... Ich bin Polizist und werde dich hier raus holen. Bleib nur bei mir okay? Nicht schlafen." Er wusste nicht, ob der Jüngere ihn hörte. Prüfend legte er die Finger an seinen Hals, um seinen Puls zu prüfen. Sein Herz schlug erschreckend langsam und Reed hoffte inständig, dass bald ein Rettungshubschrauber über ihren Köpfen auftauchen würde. Es wurde immer kälter und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie beide erfroren.
Reed fröstelte, er konnte sein Zittern durch das eindringen der Kälte in seinen Körper nicht weiter unterdrücken. Er legte seine Wange an die Stirn des Fremden, spürte den schmalen Körper unter seinen Armen. Er musste halb am verhungern sein.
Naiver Junge... Wie konntest du nur so dumm sein?
Verzweifelt rieb er über den Rücken des Jungen, versuchte ihn zu erwärmen. Es war sinnlos. Er hatte sicherlich schon Erfrierungen zweiten Grades.
Reed wollte sein Versprechen nicht brechen. Er konnte nicht.
Doch plötzlich ließen ihn Rotorblätter in der Ferne aufhorchen. Der Hubschrauber. Er war unterwegs zu ihnen.
"Der Rettungshubschrauber kommt. Er wird uns hier rausholen, hörst du?" Er rüttelte an dem Jüngeren, doch dieser rührte sich nicht. Seine Hand viel stumm von Reeds Arm, lag leblos am Boden. Erneut schüttelte er ihn. "Hörst du?",fragte Reed abermals, doch keine Antwort.
Grelles Licht durchschnitt die Finsternis. Der Hubschrauber war nun direkt über ihnen, wirbelte die Äste der Tannen umher und bestrahlte die beiden unter ihnen.
Der Mann war so damit beschäftigt den Jüngeren wach zu rütteln, dass er garnicht bemerkte, wie sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte. Es war ein Rettungssanitäter, der durch ein Seil hinunter gelassen wurde und nun vor ihnen stand.
"Sie müssen ihn mir geben, damit ich ihm helfen kann, okay?"
Benommen nickte der Polizist, spürte, wie das Gewicht von ihm abließ und der Jüngere seinen Armen entrissen wurde. Er fühlte sich plötzlich schrecklich schwach. Die Kälte hatte ihm seine Kraft genommen, vor seinen Augen wurde es plötzlich schwarz und er sank zusammen auf den gefrorenen Eisboden.
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Blind Boy I mxm
RomanceReed, ein Polizist, welcher seine Gefühle gegenüber dem blinden Jungen nicht zu deuten weiß. Er hat ihn einst gerettet, doch nun muss er ihn zwischen all seinen Ängsten und seiner schlimmen Vergangenheit zurück ins richtige Leben bringen. Doch was i...