"Erzähl schon, was hat es mit ihm auf sich?" Jayson schmiss seinen leeren Pizzakarton auf den Tisch. Er wischte sich kurz über den Mund, bevor er sich mit ausgebreiteten Armen nach hinten schmiss. Angestrengt seufzte er. Dabei lag sein Blick nachdenklich auf Gabriel.
Der Junge war gleich nach dem er ein paar Stücke seiner Pizza gegessen hatte, eingeschlafen. Er hatte sich einfach seiner Entspannheit hingegeben und musste sehr erschöpft von dem ganzen Trubel an dem Tag gewesen sein. Der Blonde lag zusammengekauert auf dem Sofa. Seine Augen waren geschlossen und seine Haare waren noch zerzauster, als sie eh schon gewesen waren. Nur schwer konnte Reed sich von diesem Anblick trennen. Er wirkte so unschuldig. Der Polizist konnte sich nicht vorstellen, dass er irgendeinem Verbrechen zum Opfer gefallen war, aber seine Berührungsängste und seine Auffindesituation sprachen Bände. Das sagte ihm seine jahrelange Erfahrung.
"Ich habe ihm in dieser kalten Nacht im Wald gefunden und das Leben gerettet. Er lässt mich nicht mehr los...", beantwortete Reed dann schließlich die Frage seines Bruders. Die ausgesprochenen Worte fand er selbst ein wenig absurd.
"Er hat dich nicht mehr losgelassen?" Nun setzte Jayson sich gerade auf. Reed macht ihn neugierig.
"Ich weiß es klingt total dämlich..." Reed vergewisserte sich noch einmal, dass Gabriel wirklich schlief, bevor er weitersprach. "Ich will herausfinden, was mit ihm passiert ist. Außerdem kann ich ihn doch nicht in diesem Zustand alleine lassen. Die im Heim haben sich einen Dreck um ihn gescherrt und ich will nicht, dass er weiterhin unter seinen Angstzustand leidet..."
"Reed er ist blind! Er wird keine richtige Perspektive im Leben haben. Du kennst ihn doch nicht mal und weißt gar nicht wer er ist."
"Und das sagst ausgerechnet du als Arzt?", feuerte der Ältere von den beiden zurück. Seine Augen waren wütend aufgerissen.
Jayson stieß laut die Luft aus. "Es tut mir leid. Du hast natürlich recht, aber dennoch solltest du nicht so viel Hoffnung haben. Es ist total schwierig jemanden aus solch einem Zustand heraus zu holen. Er kann nicht sehen und so wie ich dass feststelle und du schon sagtest, hat er Angstzustände und lässt sich von nichts und niemanden anfassen. Er ist unsicher und das er blind ist, macht es nicht besser..."
"Bist du jetzt Psychologe, dass du einfach solche Prognosen erstellst?" Reed konnte es nicht fassen, dass sein Bruder so gegen ihn hämmerte. Er versuchte ruhig und besinnt zu bleiben, so wie er es in seinen Einsätzen war.
"Ich fühle mich für ihn verantwortlich Jay... Ich weiß nicht wieso, aber ich habe den Drang ihn zu beschützen und deswegen werde ich alles versuchen, um Gabriel aus diesem Mist herauszuholen. Gleich was er erlebt hat!", sagte er dann und sah zu den schlafenden Jungen herab. Er musste doch eine Chance auf ein normales Leben haben? Er hatte es verdient.
"Tu was du sowieso nicht lassen kannst, Reed. Wie alt ist er überhaupt? Er sieht noch relativ jung aus."
Das war er auch. Und sobald Reed wieder an seinem Schreibtisch auf der Arbeit saß, würde er in dem System die Vermisstenfälle eingrenzen können. Vielleicht konnte er so noch mehr herausfinden.
Er zögerte dabei das Alter des Blonden zu offenbaren. Jayson war sehr streng, wenn es darum ging sich an irgendwelche Vorschriften zu halten. Fast schon strenger als der Polizist selbst. Da war es klar, dass sein Bruder auch sehr viel von Sittlichkeiten und Moral in der Gesellschaft hielt.
"Naja... Er sagte, er sei erst 19..."
"19!", rief sein Bruder daraufhin empört aus und Reed schlug schnell die Hand auf seinen Mund.
"Sei doch ruhig. Du weckst ihn noch auf.", wies er ihn flüsternd mit einem Blick auf den schlafenden an. Gabriel murrte kurz leise, so dass die beiden Männer in ihrer Bewegung verharrten und Reed fand es fast schon süß.
"Das kann nicht dein Ernst sein..." Reed hatte seine Hand wieder zurückgenommen. Er zuckte mit den Schultern.
"Was ist denn schon dabei? Er wohnt doch nur bei mir, bis ich mehr herausgefunden habe. Ich kann ihn doch nicht einfach so alleine lassen."
"Du meinst wohl, er wohnt bei mir. Aber Reed! 19? Was sollen die Leute denken? Du weißt, dass sie gerne reden und du bist Polizist... Und was ist mit unseren Eltern?"
Reed verdrehte seine Augen. Genau solch eine Moralpredigt hatte er erwartet. Es wäre besser gewesen, wenn er seinen Mund gehalten hätte.
"Du tust so, als würde ich ihn heiraten wollen Jay!"
"Ich sage dir nur, was dich erwartet, sollte es zu irgendwelchen unerwarteten Ausgängen der ganzen Geschichte kommen.", entgegnete Jayson und sah seinen älteren Bruder eindringlich an.
"So etwas wird nicht passieren. Du spinnst doch. Ich bring ihn jetzt ins Gästezimmer."
Reed erhob sich mit müden Gliedern von dem Sofa und räkelte sich.
"Mach das. Ich muss gleich noch arbeiten. Amy kommt irgendwann in den nächsten Stunden nach Hause."
Reed nickte knapp, dann beugte er sich über den Blonden, um ihn vorsichtig hochzunehmen. Darauf bedacht ihn nicht zu wecken, schob er seinen Arm unter seine Kniekehlen und den anderen unter seinen Rücken. Es fühlte sich gut an, ihn endlich mal berühren zu können, ohne auf eine verschreckte Miene zu stoßen. Es war schön.
Leise erklomm er die Treppe. Einen vorsichtigen Schritt nach dem anderen, bis er schließlich vor dem Gästezimmer stand. Im Inneren war es fast dunkel. Nur der Schein des Mondes, welcher sich durch das Fenster warf, ließ Reed leicht das Bett erkennen, indem er Gabriel absetzte. Er bettete den blonden Harschopf auf das Kissen und sah in ein zufriedenes Gesicht ganz ohne Schmerz oder Qualen.
Vorsichtig legte er die Decke über den schmächtigen Körper, damit er in der Nacht ja nicht fror. Reed wollte, dass es ihm besser ging, als jemals zuvor.
Ein letztes Mal blickte er auf das zart schlafende Gesicht. "Gute Nacht Gabriel...", flüsterte er, bevor er sich abwandte und das Zimmer verließ.
Im Wohnzimmer schmiss er sich zurück auf die Couch. Erst jetzt bemerkte er, wie müde er eigentlich ist. Die Ereignisse des Tages hatte ordentlich an seinem Nervenpelz gezerrt.
Reed seufzte. Irgendwie lief sein Leben in letzter Zeit gewaltig aus dem Ruder...
Seine Gedanken hingen bei Gabriel. Dieser schüchterne Junge schaffte es dauernd präsent in seinem Kopf zu sein. Reed kam sich vor wie ein Perverser, der sich angezogen fühlte von Hilflosig- und Unterwürfigkeit. Gott verdammt...
Aber nicht nur dieses Thema gab ihn zu denken. Angelica, diese Psychopathin war auf freiem Fuß. Zu allem Überfluss ist sie in seine Wohnung eingebrochen...
"Scheiße...was mache ich nur mit dir..." Er bekam Gänsehaut. Würde Sie es diesmal wieder so weit treiben? War er überhaupt sicher bei seinem Bruder? Und die aller wichtigere Frage die sich dem Mann stellte, war Gabriel überhaupt sicher vor ihr?
Reed konnte seine Gedankengänge gar nicht weiterspinnen, denn plötzlich öffnete sich die Haustur und eine zerupfte Blondine trat in das Zimmer. Amy.
"Hey Reed.", begrüßte die zierliche Frau ihren Schwager. Reed verstand warum sein Bruder diese Frau geheiratet hatte. Amy war wunderschön. Ihre blonden schulterlangen Haare umschmeichelten ihr reines mit Sommersprossen durchsetztes Gesicht und ihre grünen Augen funkelten unverkennlich wie grüne Smaragde. Ihre schmale Figur passte perfekt in diese schwarze skinny Jenas und die rote Bluse die sie trug... Moment.
Reed kniff die Augen zusammen. Amys Bluse war falsch geknöpft. Und jetzt, wo sie so vor ihm stand, roch er ein ziemlich penetrantes Aftershave, welches eindeutig nicht Jay gehörte. Das konnte doch nicht wahr sein...
"Hey...", antwortete er und versuchte dabei normal zu klingen. Das würde sie doch nicht wagen. Amy würde doch nicht fremdgehen? Jayson tat alles für sie.
"Ist dein Mitbringsel im Gästezimmer?"
Reed nickte und ignorierte dabei ihre Wortwahl. Sein Name ist Gabriel...
"Hab schon gehört, er hats nicht so mit Fremden..."
Du anscheinend umso mehr...
"Nein, er ist sehr zurückhaltend. Also bedräng ihn nicht okay? Wie läufts eigentlich zwischen dir und Jay?" Eigentlich war es eine dumme Idee so leichtsinnig auf dieses Thema zu lenken. Aber Reed war kein Freund davon lange um den heißen Brei herumzureden. Er wollte Nägel mit Köpfen machen...
An Amys Gesichtsausdruck konnte er erkennen, dass sie versuchte ihre wahren Gefühle zu verdrängen.
"Ganz gut... Schätze ich..." Sie log. Eindeutig. Reed konnte es daran erkennen, wie sie seinem Blick auswich und sich an der Stirn kratzte.
"Wieso fragst du? Hat er irgendwas zu dir gesagt?" Ihre Unsicherheit war dabei nicht zu überhören. Hatten die beiden in der Vergangenheit vielleicht Streitigkeiten gehabt und Jayson hatte sich nicht anvertraut?
Reed sah ihr fest in die Augen. Er zögerte kurz, bevor er ihm fast schon kalt über die Lippen kam:"Du solltest dir mehr Mühe geben, bei dem Versuch dein Fremdgehen zu verbergen. Mein Bruder könnte sonst mitbekommen, dass du mit anderen Männer schläfst und das würde ihn nicht sehr erfreuen..."
Amy vielen fast die Augen aus dem Kopf, als sie realisierte was der Mann auf dem Sofa zu ihr gesagt hatte. Sie rang deutlich nach Worten. Reed lenkte ein, bevor sie überhaupt auch nur etwas sagen konnte
"Spar dir deine Rechtfertigungen. Im Grunde geht es mich auch gar nichts an. Ich werde Jayson nichts davon erzählen, aber du solltest es. Klärt euren Mist und lasst mich bloß daraus..."
Das wird Jay das Herz brechen...
Aber was sollte Reed denn schon machen. Er wollte sich nicht einmischen neben seinen ganzen eigenen Problemen.
Amy seufzte schwer. "Du hast recht! Ich werde das klären. Es ist besser, wenn ich heute Nacht nicht hier bin... Sag Jay, dass es ein Problem bei einer meiner Freundinnen gibt."
"Sag es ihm selbst." Reed wandte sich ab. Er war wütend und das durfte sie ruhig wissen. Schritte verrieten ihm, dass Amy schon wieder auf dem Weg zur Haustür war. Diese öffnete und schloss sich dann wieder.
Warens nur noch zwei...
Lief ja blendend. Hoffentlich war seine Nacht genauso atemberaubend wie der Tag. Schlimmer konnte es immerhin nicht werden...Schreie drangen tief in die Träume des Mannes ein. Sie schossen durch sein Mark und Bein, wurden lauter und lauter und er hatte das Gefühl je sehr er sich bemühte, so konnte er sie nicht erreichen. Seine Füße trugen ihn nicht. Er blieb an Ort und Stelle je sehr er sich auch abmühte. Erneute Schreie der Qualen durchdrangen ihn wie kleine Meteoriten.
Erschrocken fuhr Reed hoch. Er befand sich auf dem Sofa in dem Haus seines Bruders. Ein Glück. Der Mann seufzte. Die Albträume wurden immer schlimmer und kamen immer öfter. Die Schreie kamen nur aus seinen Träumen...
Er fuhr sich einmal durch seine Haare, atmete tief durch und wollte sich gerade wieder hinlegen, als plötzlich erneute Schreie durch das Zimmer drangen. Hatte er nun Halluzinationen? Es dauerte eine Weile bis der Mann realisierte, dass sie echt waren und von oben kamen. Gabriel!
Ohne zu zögern schmiss er die Decke beiseite und rannte laut polternd die Treppe hinauf. Erneute Schreie. Reed war sich nicht sicher, was der Jüngere rief, doch das war jetzt egal.
Er stürmte in das Zimmer, schaltete das Licht mit einem kräftigen Schlag zur Seite an. Gabriel wälzte unruhig und unklammerte so fest das Kopfkissen, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Seine Augen waren feucht und zusammengekniffen, sein Mund schmerzerfüllt verzogen.
"Hilfe! Hilfeee! Bitte!"
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Blind Boy I mxm
RomanceReed, ein Polizist, welcher seine Gefühle gegenüber dem blinden Jungen nicht zu deuten weiß. Er hat ihn einst gerettet, doch nun muss er ihn zwischen all seinen Ängsten und seiner schlimmen Vergangenheit zurück ins richtige Leben bringen. Doch was i...