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Reed war hin und her gerissen. Es war nicht vernünftig gewesen. Seine Gefühle durften ihm auf keinen Fall im Weg stehen, doch er hatte niemals geglaubt, das er jemanden begegnen würde, der ihm nach kurzer Zeit schon etwas bedeutete. Was konnte er denn schon tun? Nichts! Er war ein 31jähriger Mann, der zwar in einem für ihn viel zu großen Haus wohnte, jedoch nie zuhause war. Entweder trieb er sich mal wieder für eine 12 Stunden Schicht auf der Arbeit herum oder er war mit Alef und den Anderen auf Achse. Er hätte nicht einmal Zeit für einen Hund gehabt, also wie sollte er welche für einen blinden Jungen aufbringen? Und dann war da noch Angelica. Die Frau, die für seine vielen schlaflosen Nächte und seinen bereits vergessenen Angstzuständen verantwortlich war. Sollte es wirklich zu einem weiteren Angriff ihrerseits kommen, dann konnte Reed es unmöglich riskieren, den Jungen einen derartigen Gefahr auszusetzen. Er würde bei dem Polizisten nicht annähernd sicher sein, wie er es eigentlich sollte. Welch Ironie.
Auch auf dem Nachhauseweg hallten dem Dunkelhaarigen die seichten Worte des Blonden in den Ohren. 'Hol mich hier raus...' . Immer und immer wieder hatte er seine Stimme im Kopf. Diese helle, unschuldige Stimme, die er einfach nicht ausblenden konnte. Sie machte ihn verrückt.
Unglücklich verzog er das Gesicht bei dem Gedanken, das er unfähig war, den Jungen da rauszuholen.
"Verdammt Reed. Was ist denn jetzt schon wieder? Wir hatten doch das Thema schon. Du kannst ihm nicht helfen..." Es war die verzweifelte Stimme von Alef. Wieder saß er am Steuer und fuhr Reed nach Hause.
Nach dem Reed den Blonden zurück gelassen hatte, aber nicht ohne ihm zu versprechen, dass er alles Erdenkliche unternehmen würde, um seiner Bitte nach zu kommen, hatte er Miss Hill seine Rufnummer gegeben. Sie sollte sich melden, falls Probleme aufkommen sollten, oder der Junge wieder nach ihm verlangte. Zwar hatte sich die alte Dame zunächst vor dieser Idee gesträubt, doch gab sich schließlich geschlagen.
Alef hatte er, nachdem sie das Heim wieder verlassen hatten, natürlich informiert.
"Das heißt nicht, dass ich es nicht versuchen werde. Es muss eine Lösung geben. Ich kann ihn nicht hängen lassen, Alef..."
Vielleicht konnte er sich zwei Wochen frei nehmen. Zwar hatte Parker ihn noch nicht für dienstfähig erklärt, doch es war schließlich nur noch eine Frage der Zeit, bis der alte Mann nach ihm verlangte.
"Es gibt keine Lösung Reed. Der Junge redet nicht mit uns, wir wissen nicht wer er ist und dadurch ist der Fall für uns erledigt. Es liegt uns immerhin kein Verbrechen vor. Ein Wunder, das wir überhaupt noch über diesen Fall nachdenken, obwohl uns immer gelehrt wurde, dass wir privates von beruflichem trennen sollen..." Die letzten Worte verschwammen in den Ohren des Dunkelhaarigen. Ein erneuter Anflug von Schwindel ergriff ihn. Was war heute nur los mit ihm? Er war so gestresst und nun machte es ihn schon krank.
Er ließ die Worte von Alef hinter sich. Ungern wollte er sich weiterhin den Kopf, über das schier unmöglich zu lösende Problem, zerbrechen und lehnte sich gegen die kühle Scheibe.

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Das auf den grauen Ziegeln zum stehen kommende Auto, glänzte in der leicht wärmenden Mittagssonne. Als Reed ausstieg, spürte er sie auf seinem dunklen Shirt, schwer atmete er aus. Seine erschöpften Augen flogen zu dem Fahrer, als er ihm einen letzten Wink zuwarf, um sich dann abzuwenden. Die Kamera, die er installiert hatte, war offensichtlich nicht zu offensichtlich auf dem Balken versteckt. Man musste schon genauer hinsehen, um sie wahrzunehmen. Zu seinem Bedauern musste Reed feststellen, dass die andere Kamera, die er vorhin notgedrungen auf der Türschwelle hinterlassen hatte, weg war. Vermutlich geklaut, wie er es sich vorhin scherzhaft ausgemalt hatte. Wenigstens konnte er sich gleich gemütlich auf sein Sofa setzen und den Täter mittels Kameraaufnahmen sichten.
Er schloss langsam die Tür auf, trat in die schwellende Wärme seine Hauses. Wie automatisch schmiss er seinen Schlüssel auf die Kücheninsel, bewegte sich dann mit schlurfenden Schuhen zum Kühlschrank, doch warf ihn sofort wieder zu. Ein Seufzer.
"Wo steht mir der Kopf, wenn ich es nicht mal schaffe einkaufen zu gehen?" Er war resigniert. Wie den ganzen Tag schon.
"Ich hätte ja angeboten für dich einkaufen zu gehen, aber du meldest dich ja nie...",erklang es plötzlich dunkel. Reed fuhr erschrocken zusammen. Mit weit aufgerissenen Augen fuhr er herum. Blaue Augen ergriffen ihn, wie eine kalte Nebenschwade.
"Was machst du hier und wie bist du hier rein gekommen verdammt!" Er hatte sich grade beruhigt und jetzt das! Sein Kollege Colton hatte sich ungeniert Zutritt zu seinem Haus verschafft und saß nun vor ihm auf seinem Sofa. Amüsiert blickte dieser den Dunkelhaarigen an, hatte sich zurück gelehnt und seine Arme hinter den Kopf verschränkt.
"Du hast deine Tür nicht abgeschlossen. Ziemlich gefährlich, wenn du mich fragst. Jemand könnte einbrechen. Zu allem Überfluss hast du noch die hier, draußen liegen gelassen..."
Der Dunkelblonde hielt die Kamera in der Hand, von der Reed dachte, sie sei gestohlen worden und wedelte dem Älteren damit vor der Nase herum. Reed verdrehte genervt die Augen und nahm sie ihn schnippisch ab.
"Keine Polizeitricks. Wir hatten das Thema. Niemand hat dir erlaubt in mein Haus einzubrechen.",stellte er scharf fest. Schnell musterte er das Gerät in seiner Hand nach Beschädigungen. In seinem Augenwinkel sah er, wie sich sein Kollege langsam erhob.
"Sei doch nicht so Reed. Was habe ich dir denn getan?", fragte Colton sanft und machte ein paar Schritte in seine Richtung. Nur etwa einen Meter trennte die beiden noch voneinander.
"Was willst du hier Colton?",fragte er und sah ihn mit seinen dunklen Augen emotionslos an. Der Andere biss sich verlegen auf seine Unterlippe.
"Ich wollte da weiter machen, wo wir letztes Mal aufgehört hatten...",antwortete er mit lüsternen Unterton und streckte seine Hand aus. Er wollte die von Reed nehmen, doch dieser entzog sich seiner bei nahen Berührung.
Angestrengt seufzte der Dunkelhaarige.
"Es tut mir leid Colton, aber das war einmalig. So gerne ich das auch wiederholen oder zur Gewohnheit machen würde, ich kann es nicht. Wir sind Kollegen und kommen gut miteinander klar. Bitte zerstör das nicht." Ernst sah er den anderen an. Irgendwann mussten die beiden Klartext miteinander reden. Es brachte nichts, dieses Gespräch aufzuschieben.
Reed mochte diesen intimen Moment damals auf der Arbeit. Die Männer waren beide ausgehungert gewesen, brauchten Liebe und mussten ein wenig Dampf ablassen, doch mehr auch nicht. Er war einfach nicht sein Typ. Colton war zu extrovertiert. Er war laut und ging gerne feiern, ließ sich volllaufen, um dann abgeschleppt zu werden. Sie passten nicht zueinander.
"Ich verstehe...", ließ Colton enttäuscht verlauten. Resigniert starrte er den hellen Parkettboden unter sich an. "Audrey hatte recht...",murmelte er leise vor sich hin und zog Reeds Aufmerksamkeit auf sich.
"Womit hatte Audrey recht?",fragte dieser. Colton blickte zu dem Älteren auf. Sein Ausdruck war sanftmütig, nicht verärgert, wie man es bei ihm erwartet hätte.
"Du bist bereit für was Ernstes. Keine schnellen Nummern zwischen durch, sondern eine richtige Beziehung, in der man sich abgöttisch liebt, zusammen einschläft und aufwacht. Eine Beziehung in der man sich die Zukunft miteinander vorstellt und keine One Night Stands, die ohne Bedeutung sind und einfach abgefertigt werden..."
Verneinend schüttelte Reed den Kopf. "So ist es nicht..." Zumindest nicht komplett. Natürlich zog er eine richtige Beziehung der schnellen Nummer vor. Es gab nichts Schöneres, als jemanden den man liebt, einfach nur in Arm zu haben und die gleiche Luft mit ihm zu atmen. Doch tief im Inneren wusste er, dass dies nicht so einfach war.
"Und wie sollte es dann sein, Reed?" Colton zog fragend die Augenbrauen in die Höhe. Noch immer war er dem anderen so nah, dass Reed seinen Atem riechen konnte. Er roch nach frischer Minze.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, kehrte er ihm den Rücken zu. Es gab keinen Grund mit ihm tiefe Gedankengänge oder ähnliches zu teilen.
"Du solltest gehen." Es ging ihn einfach nichts an.
"Du schickst mich einfach so wieder nach Hause? Statt das wir an unserer Beziehung arbeiten und uns so näher kommen können? Vielleicht kann ich dir das bieten, wonach du suchst."
"Das glaube ich nicht." Reed wandte sich wieder um. Der Dunkelblonde sah ihn prüfend an. Versuchte den vor ihn einzuschätzen, doch Reed war wie eine eiserne Mauer hinter der man nichts erblicken konnte. Die alles abschirmte und nur erwählten Personen Zutritt gewährte und das machte Colton wahnsinnig.
Reed stützte sich mit einer Hand auf dem kalten Marmor der Kücheninsel ab. "Wir sollten unsere Beziehung realistisch sehen. Ich werde wohlmöglich niemals auf dich stehen, Colton. Es tut mir leid, aber sollten wir nicht eine annähernd gute Beziehung bewahren und sie nicht aufgrund von derartigen Situationen kompliziert machen? Das würde einiges auf der Arbeit erschweren, findest du nicht?"
Colton brauchte einige Sekunden, bis er verstand. Unbeirrt nickte er zustimmend, seine blauen Augen huschten von einer Ecke zur nächsten.
"Verstehe...",murmelte er. Sein Stand lockerte sich und er machte ein paar Schritte zurück um ein wenig Abstand zu gewinnen. Reed sah plötzlich Ärger in seinem Gesicht aufblitzen. Er schien verstimmt und das zeigte sich deutlich, als er erneut den Mund aufmachte: "Aber an diesen Jungen hast du Interesse? Jemand der so viel jünger ist als du?" Seine Worte waren bloß nur noch ein Zischen. "Ist er überhaupt schon volljährig?"
"Wie kommst du denn auf so einen Scheiß? Hat Audrey dir das etwa auch erzählt?",entgegnete Reed ebenso ungezügelt. Seine Augen sprühten Funken. Auch wenn er sich immer wieder darauf besann, in solchen Momenten ruhig zu bleiben, konnte er Coltons Vorwürfen nicht den Rücken kehren. Normalerweise war er ein Mann, der solche Äußerungen nicht mal seine Ohren lieh.
"Und wenn es so wäre?" Colton sah ihn überlegend an. Seine Kiefermuskeln traten deutlich hervor. Wie konnte ihr Treffen nur so schnell eskalieren? Vor einer Minute war noch alles halbwegs normal gewesen.
"Dann bist du echt ein Narr, dass du sofort alles glaubst, was man dir sagt. Würdest du jetzt bitte aus meinem Haus verschwinden, bevor ich mich vergesse?" Er ballte seine Hände zu Fäusten, spürte wie sein Blut in seinem Kopf pochte.
"Wie du meinst. Aber glaube ja nicht, dass unser Verhältnis jetzt wieder dem zwischen zwei Kollegen entspricht..."
Ein letztes Mal sahen sie sich schweigend an, ehe Colton seinen Blick abwandte. Reed senkte seine Blick ebenfalls, spürte wie sich die Anwesenheit von Colton in Luft auflöste.
Lediglich das Zufallen der Tür bestätigte ihn, dass sein Kollege gegangen war.
Schwer seufzend, fuhr sich der Mann durch sein Gesicht. Er war angestrengt. Er fühlte sich müde.
Wieso musste Colton bloß alles immer so kompliziert machen? Wieso konnte sein Kollege es nicht einfach dabei belassen, dass das, was sie hatten, gut gewesen war und sich nicht mehr daraus resultieren würde.
Reed verließ seine Küche und warf sich auf das Sofa. Er zückte sein Handy. Jemand hatte ihn angerufen. Bevor er überhaupt eine Angst aufbringen konnte, erkannte er, dass es seine Mutter gewesen war, die ihn angerufen hatte. Erleichterung.
Schnell rief er zurück.
"Hey Mom, du hast angerufen. Was gibts?", meldete er sich wenig motiviert. Am anderen Ende meldete sich eine freudige Frauenstimmte, sanft wie die eines Engels.
"Oh Owen, es tut mir so leid, dass ich mich nicht eher gemeldet habe. Dein Vater wollte nicht, dass ich dich belästige, weil du dich doch erst erholen musst. Geht es dir gut?"
Reeds Vater Thomas, war ein feiner Mann. Er ließ Menschen den Abstand, den sie brauchten und ebenso ließ er seinen Söhnen den Freiraum, die sie brauchten. Vorallem Reed war damals schwierig gewesen, doch der alte Mann hatte immer zu ihm gestanden und ihn unterstützt, so weit wie es ging. Ebenso als Reed am jährlichen Familienfest zum ersten mal einen Jungen mitbrachte und ihn als seinen festen Freund vorstellte.
Die erstaunten Blicke brachten ihn selbst heute noch zum schmunzeln.
"Mir geht es bestens Mom. Wieso rufst du an? Sicher nicht nur, um mich zu fragen, wie es mir geht oder?"
Seine Mutter schwieg. Er hörte nur ihren Atem, stellte sich bildlich vor, wie ihr brünetter Kopf ratterte.
Sie zögerte.
"Ich schätze Jay hat dir schon erzählt, dass Angelica wieder auf freiem Fuß ist...", sagte sie mit dünner Stimme. Reed konnte ihr Zittern heraus hören. Wut kroch in ihm hoch.
"Sie wird nicht zurück kommen...", versuchte er sie zu beruhigen. Er log, aber ihre Angst war berechtigt. Diese Frau hatte seine Mutter niedergestochen. Fast wäre sie gestorben. Er verkraftete es nicht, sie leiden zu sehen.
Er wusste, dass er sich um das anbahnende Problem kümmern musste. Alleine der Fakt, dass dieses Monster ausfindig machen konnte, wo er wohnte, obwohl er direkt nach ihrer Verhaftung umgezogen war, verhieß nichts gutes.
"Ich hoffe du hast recht. Owen? Pass auf dich auf, ja? Und komm demnächst mal wieder vorbei. Ich möchte dich sehen."
Reed stimmte zu, dann legte er wieder auf.
Sein Blick starrte ins Leere. Was sollte er nur tun?
Seine Stalkerin verfolgte ihn wieder, sein Boss hatte ihn zwangsbeurlaubt und da draußen saß ein 19 jähriger blinder Junge, in einem ihn unwürdigen Kinderheim mit Jungendlichen, die nichts anderes als Blödsinn im Kopf hatten und für die der Junge das beste Opfer darstellte.
Er kann da nicht überleben.
Und dieses Wissen machte Reed wahnsinnig. Der Mann hatte ihn gerettet. Er war es, der ihn aus der Kälte Kanadas gerettet hatte, der ihn schützend in seinem Arm hielt. Er war es, der für ihn verantwortlich war.
So fühlte es sich zumindest an. Als hätte er plötzlich wieder einen Sinn in seinem Leben gefunden. Eine Aufgabe.
Und plötzlich wusste Reed, was er zu tun hatte. Er holte ihn jetzt da raus...

Blind Boy I mxmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt