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Es war tiefste Nacht, als ein lauter Knall durch das Haus fuhr. Ruckartig öffnete Reed die Augen, seine Alarmglocken leuteten und sofort war sein Puls auf hochtouren. Er wartete noch einmal prüfend, ob ein weiteres Geräusch folgen würde, bevor er seine Dienstwaffe aus dem Nachtschrank holte und zur Zimmertür sprang. Das Geräusch war eindeutig aus dem Erdgeschoss gekommen. Aus dem Wohnzimmer um genau zu sein.
Seine Muskeln spannten, seine Waffe hielt er fest in seiner Hand, als er langsam die Tür öffnete und sich leichtfüßig in den Flur begab, nicht ohne prüfend um die Ecke zu spähen. In der Dunkelheit hastete er zur Treppe, die nach unten führte. Licht flutete die Stufen. Es drang von unten empor. Jemand hatte das Licht eingeschaltet. Reed kannte diesen Trick. Es war besser bei einem Einbruch das Licht einzuschalten, damit jegliche Nachbarn und andere Leute keinen Verdacht auf einen Einbruch schöpften. So glaubten sie der Eigentümer hätte das Licht eingeschaltet. Doch es gab einen Haken. Reed hatte keine Nachbarn. Zumindestens noch nicht. Das eine Haus neben ihm stand leer und in dem anderen wohnte bis vor kurzem noch eine alte Dame, die leider verstarb. So überkam dem Mann ein komisches Gefühl. Seine Gedanken sprangen sofort zu Angelica. Er verwarf sie gleich wieder. Er musste konzentriert bleiben, keine Ablenkung!
Mit seiner Waffe zu Boden gerichtet, trat er die Stufen hinunter. Seine Anspannung wuchs auf das, was ihn erwarten würde. Eine bewaffnete Person mit einem Messer, CSGas, einer Waffe, oder sonst was. Vielleicht waren sie auch zu mehreren Personen in sein Haus eingestiegen. Er rechnete mit allem, als er im Erdgeschoss ankam, jedoch nicht mit einem leeren, aufgeräumten Zimmer. Für ihn waren auf dem ersten Blick keinerlei Spuren erkennbar, welche auf einen Einbruch hindeuteten. Erleichtert stieß er die Luft aus und legte die Pistole auf der Kücheninsel ab. Reeds Blick ging misstrauisch durch den Raum. Die Terassentür, welche zum Pool führte stand ein Stück weit auf. Wohlmöglich war derjenige durch ihr geflohen, als er den lauten Knall verursacht hatte. Doch wodurch war er entstanden?
Der Polizist war voll in seinem Element. Er war zwar kein Beamter der Spurensicherung, doch in seinen jungen Jahren hatte er in einem Praktikum allerlei Dinge kennen lernen dürfen, die ihm auch heute noch gelegen kamen.
Plötzlich ersehnte etwas anderes seine Aufmerksamkeit. Nicht weit von ihm, vor einer Komode, lagen sämtliche zersplitterte Glasscherben auf dem hellen Parkett, zusammen mit zerfetzten Fotos und leeren Bilderrahmen. Der Mann wusste sofort, dass es seine Familienfotos waren, die dem Einbrecher zu Opfer gefallen sind. Reed war fassungslos. Wie konnte jemand nur so herzlos sein und so etwas heiliges zunichte machen?
In ihm staute sich Wut auf. Er war sauer über die Unmenschlichkeit die sich ihm bot. Über diese schamlose, rigorose Tat.
Erneut dachte er an Angelica. Sie war die einzige, die zu so einer Aktion fähig war.
Und zu seinem Erschrecken musste er feststellen, dass er recht behielt, denn plötzlich fand er zwischen all den Splittern und Fetzen eine Nachricht, geschrieben auf einem fast erhaltenen Foto.

'Ich hoffe, dir haben meine Anrufe gefallen Reed.'

Immer wieder las er die Wörter. Immer wieder lösten sie etwas in ihm aus, was Reed beinahe aus seiner Haut fahren ließ. Er fühlte sich nackt, nicht mehr sicher in seinem Haus. Wieder einmal hatte sie es geschafft. Geschafft ihn zu kontrollieren, ihn unsicher fühlen zu lassen, ihn aus der Fassung zu bringen.
Reed atmete tief durch, damit er die Kontrolle behielt. Das beste wäre gewesen, sofort einen seiner Kollegen zu informieren, damit dieser die Spuren sichern konnte, das Haus zu verlassen, damit ihm Schutz geboten wurde, doch stattdessen ließ der Mann sich auf den Boden sinken und starrte hilflos auf den Scherbenhaufen. Er würde dass schon hinkriegen! Diesmal wollte er keine Unschuldigen mit hinein ziehen. Keine Verletzten... Es musste verdeckt bleiben, niemand durfte jemals etwas von der Sache erfahren. Ja! So würde er alles unter Kontrolle kriegen.
Der Mann fühlte sich plötzlich so selbstsicher wie schon lange nicht mehr, doch tief im Inneren wusste er, dass es eine Lüge war. Er belog sich selbst, doch es ließ ihn gut fühlen.
Durch all diesen Stress war ihm schrecklich Schwindelig geworden. Er hievte sich auf seine Beine und ließ sich dann auf seinem Sofa nieder. An Schlaf war nicht mehr zu denken.
Er verlor jegliches Zeitgefühl. Als er seit einer Ewigkeit mal wieder auf seine Küchenuhr starrte, wurde ihm bewusst, dass es bereits morgens war. Hatte der Mann all die Zeit hier gesessen und stumm auf die Scherben gestarrt?
Seufzend erhob er sich, streckte seine müden Glieder und schleifte sich wieder die Treppe ins Badezimmer hinauf.
Kaltes Wasser traf seine fahle Haut. Stumm blickte er in sein Ebenbild, seine Augenlider warfen sich ihm müde entgegen. Sah so ein Mann aus, der normalerweise mit festen Füßen im Leben stand? Für gewöhnlich war er immer ein Mann gewesen, den keiner etwas anhaben konnte. Wohl bemerkt für gewöhnlich!
Er richtete seine Haare ein wenig, fast schon wie automatisiert, bevor er sich wieder hinunter begab, um sich etwas zu essen zu machen.

Blind Boy I mxmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt