"Ich kann nicht fassen, dass sie ihn einfach so abgeschoben haben..."
In Alefs Wagen herrschte eine angespannte Stimmung. Nachdem Reed aus dem Krankenhaus gestürmt war, hatte sich Alef noch die Adresse von dem Kinderheim geben lassen, ehe er seinem wutentbrannten Kollegen gefolgt war. Nun saßen sie wieder im Auto und Alef ertrug mit genervten Sinnen den Mann neben ihm.
"Und ich kann nicht fassen, dass du mitten im Krankenhaus versucht hast, dem Arzt weis zu machen, wie er seine Arbeit zu erledigen hat.",entgegnete der Brünette genervt. Fest umklammert hielt er das Lenkrad, während er an einer Ampel zum Stehen kam. Seine Smaragdaugen lugten nach rechts, um die Reaktion seines Partners zu erhaschen. Sie fiel jedoch nicht wie erhofft aus.
"So kenne ich dich garnicht..."
Reed verdrehte innerlich die Augen über die Worte seines Freundes. Laut stieß er den Atem aus. Er war sauer. Und das nicht nur ein wenig. Der Mann hätte Bäume ausreißen können, so wütend war er. Einen blinden Jungen einfach in ein Heim zu stecken mit fremden Kindern, die laut und rücksichtlos waren und zu allem Überfluss noch nicht einmal eine richtige Beziehung genossen hatten und die Möglichkeit besaßen ihm zu schaden, löste große Sorge in Reed aus. Wenigstens würde er mit eigenen Augen überprüfen können, ob es dem Jungen gut ging.
Es dauerte nicht lange, da fuhren die zwei Polizisten zwischen einer Allee her, an dessen Ende das Kinderheim lag. Unter ihnen knarzte der Grund, da die Reifen über groben Kies rollten und hallte unaufhörlich in Reeds Kopf. Der Mann stand kurz vor einer aufkommenden Migräne. Er spürte es deutlich.
Nach der Allee öffnete sich der Kiesweg zu einem großen Vorplatz in dessen Mitte ein großes Blumenbeet hervorstach. Alef steuerte das Auto an den Rand des Platzes und hielt an. Kritisch musterten sie das Kinderheim durch die Windschutzscheibe.
Es war ein riesiges Gebäude, welches in einem leichten Gelb leuchtete und kam, wie Reed fand, einem Internat oder einer Universität gleich. Es sah sehr gehoben aus mit seinen weißen Fensterläden, welche sich über zwei Stockwerke erstreckten und dem großen hölzernen zweitürigen Tor, welches wohlmöglich der Eingang war, für den man erst eine helle Steintreppe hinauf musste. Insgesamt wirkte der Komplex sehr einladend, was Reed natürlich nicht entging. Dennoch sträubte er sich gegen diese Erkenntnis in allen Maßen.
Bevor der Mann ausstieg, lehnte er sich im Sitz zurück und warf Alef einen skeptischen Blick zu.
"So schlimm sieht es nicht aus Reed.",meinte der Dunkelhaarige aufmunternd. Wenn er nur wüsste, dass Reed das genauso so und ihm genau das Angst machte. Ungern gab er dies zu.
Er seufzte und öffnete die Tür. Sein Kopf pochte, als er sich aus dem Auto aufraffte und er stützte sich angestrengd am Autodach ab.
"Alles gut bei dir?",kam es von Alef und Reed nickte. Er ignorierte seinen besorgten Blick.
"Ich glaube, ich muss mal wieder ein wenig Sport machen... Habe mich die letzten Monate ziemlich gehen lassen.",antwortete er, doch sein Kollege gab sich damit nicht zufrieden.
"Vielleicht bist du immer noch ausgelaugt von deiner Rettungsaktion...",meinte Alef, lachte zum Ende hin ein wenig. Der Andere zuckte bloß belanglos mit den Schultern und dann gingen sie zusammen zum Eingang.
Wahrscheinlich war Reed einfach nur faul geworden. Die Kopfschmerzen kamen sicher von der knallenden Kälte, die in seinen Nacken fuhr und dadurch eine Verspannung auslöste. Anders konnte er sich seine Müdigkeit und Unsportlichkeit nicht erklären.
"Wieso bist du eigentlich letztens so schnell aus der Bar abgehauen? Hat Colton irgendetwas zu dir gesagt, als ihr draußen standet?"
Genau dieses Thema konnte Reed noch weniger ab, als das davor. Wieso musste Alef ihn genau darauf ansprechen? Hätte er es nicht einfach unter dem Tisch fallen lassen können? Einfach ignorieren?
Die zwei Männer standen nun vor dem Tor. Reed erkannte, dass sie wohl nicht so einfach eintreten durften und drückte eine kleine alte Klingel in der Hauswand. Er zögerte die Antwort so lange hinaus wie es ging, doch mit jeder Sekunde, in der er nicht antwortete, wurde die Situation komischer.
"Ich... Naja mir ging es nicht gut, weißt du? Außerdem war Jay bei mir zuhause und wollte, dass ich komme..."
Immerhin die halbe Wahrheit. So ungern er seinen besten Freund auch anlog, blieb ihm nichts anderes übrig. Niemand wusste von dem Zwischenfall zwischen Colton und ihm und das wollte er bewahren.
"Jayson? Was wollte er? Etwas Ernstes?",hakte Alef von der Seite nach. Reed wünschte die Tür hätte sich in den nächsten Sekunden aufgetan, damit er nicht antworten musste. Sie tat es nicht.
Seine Stirn legte sich in Falten. Seine Gedanken drifteten ab. Etwas Ernstes? Ja. Das war es gewesen. Sofort hatte er das Bild seiner Peinigerin vor sich. Das teuflische Lächeln gepaart mit grün blitzenden Augen. Wie sie ihn ansahen, geradezu aufzusaugen schienen, ihn fesselten, als würden sie Reed nie wieder los lassen.
Er unterdrückte die aufkommende Übelkeit, als er plötzlich in die Realität zurückgezogen wurde. Den ganzen Tag über hatte diese Spinnerin sich nicht mehr bei ihm gemeldet. Keine Anrufe. Nur ihre Nachricht nachdem sie in das Haus des Polizisten eingestiegen war und das machte ihm große Sorgen. Reed kannte sie. Er kannte die unnachgiebige Seite Angelicas und ihre Art Spielchen zu treiben. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie einen erneuten Angriff wagte, und wie der aussah, darüber wollte der Mann lieber nicht nachdenken.
Alef starrte seinen Kollegen wartend an. Er merkte dass Reed ziemlich abgelenkt war, doch hielt seine Worte zurück, als sich aufeinmal schwerfällig das Tor öffnete. Mit einem lauten Knarzen fuhr es nach innen und die beiden Männer traten ein paar Schritte nach vorne. Eine zierliche Frau erschien. Ihren fahlen Gesicht zu urteilen war sie schon etwas älter. Es wirkte eingefallen und wies ein paar Falten auf, die sich um ihre grauen Augen spickten.
"Wie kann ich Ihnen helfen?",fragte sie monoton und sah über eine randlose Brille hinweg. Dies war ein ganz und garnicht freudiger Empfang. Die Dame wirkte eher genervt über den plötzlichen Besuch der zwei Fremden und presste angespannt ihre dünnen Lippen aufeinander.
"Heute morgen wurde ein Junge hier eingeliefert, richtig?",gab Reed streng zur Kenntnis. Er mochte die Frau jetzt schon nicht, so wie sie vor ihm stand und von unten herab ansah.
Sie räusperte sich kurz und verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust.
"Blonder Junge, ganz schön dürr und ziemlich widerspenstig. Es war eine Qual ihn hier her zu verfrachten. Wollen sie ihn zurück?"
Ihn zurück? Dass sie sich überhaupt traute so belanglos über ihn zu reden. Es steigerte seine Wut ungemein.
"Ich will ihn sehen!",sagte der Mann scharf, versuchte dabei möglichst ruhig zu klingen. Er konnte es sich nicht erlauben, weitere Feinde zu machen.
"Tut mir leid, ich kann sie ohne triftigen Grund nicht zu ihm lassen. Schließlich lassen wir nicht jeden Fremden einfach so hinter unsere Mauern." Sie wollte gerade die Tür wieder schließen, als Alef dagegen hielt und sie unterbrach.
"Wir sind von der Polizei und müssen den Jungen befragen.",meinte er gespielt ernst. Reed war überrascht über seinen plötzlichen Willen ihm bei der Sache zu helfen. Normalerweise hätte Alef sich geschlagen gegeben, da er die Wichtigkeit dieses Besuchs hinterfragte, doch allen Anschein nach schien er zu sehen, dass es seinem Freund verdammt wichtig gewesen war. Allein das hatte ihn überzeugt.
Die alte Dame mussterte die Beiden skeptisch und ließ ihre Augen hoch und runter fahren.
"Ich kann ihnen auch meinen Ausweis zeigen, wenn sie mir nicht glauben.",setzte Alef nach, verschränkte nun ebenfalls demonstrativ die Arme vor der Brust. Die Frau stieß genervt den Atem aus, als sie eine einladende Bewegung machte.
"Nun kommen sie schon rein, aber ich kann ihnen nicht versprechen, dass er mit ihnen reden wird..."
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Blind Boy I mxm
RomanceReed, ein Polizist, welcher seine Gefühle gegenüber dem blinden Jungen nicht zu deuten weiß. Er hat ihn einst gerettet, doch nun muss er ihn zwischen all seinen Ängsten und seiner schlimmen Vergangenheit zurück ins richtige Leben bringen. Doch was i...