Kapitel 1 - Hasserfüllt

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»Man scheiße, Lexi! Macht die verdammte Tür auf!«, brüllt Josh auf der anderen Seite der Toilettentür. Aber ich kann mich nicht bewegen. Wie gebannt starre ich auf den zersplitterten Spiegel, den ich soeben mit meiner eigenen Hand zerschlagen habe. Meine eisblauen Augen wirken nun nicht mehr so groß und ich erkenne meine Tränen nicht mehr, die mir über meine Wangen rinnen. Heute ist es genau acht Jahre her, seitdem man mir meinen Vater genommen hat. Ich weiß bis heute nicht, wer ihn verraten hat, aber ich weiß, dass sich seit acht Jahren unmenschlicher Hass in mir schürt. Ehrlich gesagt habe ich Angst vor dem Tag, an dem ich die Wahrheit erfahre und dieser Hass an die Oberfläche dringt. Bei dem Gedanken daran bekomme ich eine Gänsehaut. Das Brüllen von meinem besten Kumpel hört nicht auf und reißt mich aus meinem Gedankenchaos. Schnell wische ich mir meine Tränen trocken und atme tief durch. Die Luft hier unten ist verdammt erdrückend und das Licht ist gedimmt. Eine weitere Nacht in der ich vor meiner Realität und vor meinem Leben fliehe. Schnell wasche ich meine Handgelenke und öffne die Toilettentür. Josh starrt mich mit großen Augen an, dann den zerschlagenen Spiegel hinter mir.
»Herr Gott, Lexi!«, sagt er verzweifelt und greift nach meinem Handgelenk, um mich aus dem Bad zu ziehen. Er betritt das Bad und betrachtet den Schaden, den ich soeben angerichtet habe. Dann greift er nach meinem Oberarm und zieht mich den Gang im Keller entlang zurück in den Club. Er schleift mich zur Bar und bestellt zwei Tequila. Nach wenigen Sekunden stellt der Barkeeper die Shots vor uns auf den Tresen. Ohne Josh zu beachten, die Zitrone anzuknabbern oder diesen Mist mit dem Salz zu veranstalten, kippe ich den Shot in meinen Hals. Eine wohlige brennende Wärme hüllt mich ein und ich habe das Gefühl für zwei Sekunden wieder Luft zu bekommen. Bis die gewünschte Wirkung wieder nachlässt und ich den Schmerz und die Wut wieder spüren kann.
»Lexi, dass kann so nicht weitergehen. Seit acht Jahren beobachte ich das jetzt. Du machst dich kaputt. Dein ganzes Leben!«, sagt er und zieht dabei die Augenbrauen mitleidig zusammen. Wütend funkle ich ihn an. Ich kann dieses Gelaber nicht mehr ertragen. Mein Hals kratzt als ich meine ersten Worte herausbringe
»Josh, das ist meine Scheiße! Halt dich da einfach raus!«, brülle ich über die laute Clubmusik hinweg. Meine Umwelt habe ich völlig ausgeblendet, bis zu dem Zeitpunkt als uns der Barkeeper Nachschub hinstellt. Er grinst mich an »Prost, Lexi!« Ich nicke nur stumpf und stürze den nächsten Shot herunter. Auch bei diesem Bürschchen ist die Wirkung leider nur von kurzer Dauer.

Wild entschlossen, meine Gedanken nicht mehr weiter zu quälen, stürme ich auf die Tanzfläche und lasse mich zur Musik gehen. Es dauert nicht lange, bis Josh neben mir erscheint und mitmacht. Für einen Mittwoch ist es in dem Club relativ voll, eigentlich ist sonst weniger los. Die Menge begutachtet unsere Moves und klatscht zum Takt. Wie so oft frage ich mich, ob sie denken, dass Josh und ich ein paar sind. Viele sagen immer wir sähen so toll zusammen aus, aber in Wahrheit sind wir Freunde. Und zwar seit dem Kindergarten. Ich wüsste nicht was ich täte, wenn ich Josh nicht hätte. Er erträgt meine Wut, meine Launen und begleitet mich fast jeden Tag. Man könnte fast meinen, wir hätten kein eigenes Leben. Nunja für meinen Teil gilt das vielleicht, aber Josh hat definitiv noch ein Leben. Er hat einen Job als Choreograph am Broadway und ist sehr gefragt.

Es ist vier Uhr in der früh als in mein kleines Apartment in Brooklyn erreiche. Sturzbesoffen. Ich versuche meine Haustür aufzuschließen, was mir schließlich im dritten Anlauf auch gelingt. Zum Glück hat mir mein Dad ein beachtliches Vermögen hinterlassen, naja zu mindest das was übriggeblieben ist. Damit komme ich mehr als gut über die Runden. Aber ich verschwende es nicht, denn ich lege kein Wert auf die alltäglichen Dinge. Essen oder tolle Kleidung wird überbewertet. Mit schweren Gliedern streife ich meine Pumps ab und lege meinen Schlüssel ab. Auf dem Weg zum Schlafzimmer, lasse ich meine Jacke von meinen Schultern rutschen und schmeiße mich kurzerhand aufs Bett, als ich mein Schlafzimmer erreicht habe. Sofort schlafe ich ein. Voll bekleidet.

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