Kapitel 3 - Harper's Coffeeshop

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Nach dem gemeinsamen Frühstück mache ich mich langsam auf den Weg zur Arbeit. Völlig in Gedanken vertieft gehe ich zur Garage, die ein paar Meter von meinem Apartment entfernt liegt.  Josh's Anmerkungen haben mich wirklich aus dem Konzept gebracht. Ich weiß nicht, warum ich seit Jahren nichts an meinem Beruf verändert habe oder es zumindest nicht versucht habe. Vielleicht war das Leben in einer Alkoholblase irgendwie entspannter. Ich brauche einen Plan und zwar einen guten. Mit einem blechernen Geräusch öffne ich das klapprige Tor und blicke freudig meinem Baby entgegen. Mein Bike ist mein ein und alles. In der Garage steht meine schwarze Ducati Panigale, ein echtes Prachtexemplar mit 350 PS. Ich quetsche mich zwischen Wand und meinem Audi hindurch, um an meinen alten blechernen Schrank zu gelangen. Neben ein bisschen Werkzeug lagere ich dort auf meine Motorradkleidung. Ohne gegen meinen Audi zu stoßen, öffne ich die Tür, greife nach meiner Jacke und meinem Helm und schlängle mich wieder zum vorderen Teil meiner Garage.
Ein Blick auf meine Uhr sagt mir, dass ich mich sputen muss, wenn ich nicht zu spät zu meinem Schichtbeginn kommen möchte. Schnell ziehe ich meine Jacke an und streife mir meinen dunklen Helm über. Damals habe ich mich extra für ein schwarzes, blickdichtes Visier entschieden. Ich stehe eben auf düster.

Langsam drehe ich den Zündschlüssel um und mein Baby erwacht zum Leben. Mit dem Sound wecke ich die ganze noch schlafende Nachbarschaft. Zufrieden spiele ich am Gashahn, während ich mit der anderen Hand meinen Rucksack festzurre. Der Auspuff dröhnt laut, als ich schließlich den kleinen Hof vor meiner Garage verlasse. Glücklicherweise habe ich es nicht weit zur Arbeit. Mein täglicher Arbeitsweg führt mich über die Brooklyn Bridge und schließlich in den New Yorker Stadtteil Two Bridges. Dafür brauche ich bei gutem Verkehr ungefähr zwanzig Minuten, was wirklich in Ordnung ist.
In einem schnellen Tempo erreiche ich den Hinterhof von Harper's Coffeeshop und lege eine Vollbremsung hin, bei der ich den hinteren Reifen schlingern lasse. Da ich knapp dran bin, stelle ich mein Bike zügig ab und öffne mit meiner Chipkarte den Hintereingang. Jeder Mitarbeiter hat seinen eigenen Spind und das ist absolut mein Glück. Ich habe nämlich keine Lust, in dem T-Shirt durch ganz New York zu rennen. Fix schlüpfe ich aus meinem T-Shirt und tausche es gegen mein schwarzes Arbeitsshirt. Immerhin sind wir bei der Wahl der Hose absolut frei und dürfen tragen was wir wollen. Solange es schwarz ist. Über meiner Jeans knote ich noch schnell meine kurze Schürze zusammen, ehe ich den Laden betrete.
»Guten Morgen, Lexi! Das war aber verdammt knapp, was?«, grinst mich Maja an. »Absolut. Aber ich habe es geschafft!«, grinse ich zurück. Maja ist eine absolut liebevolle Kollegin und ich bin immer froh, wenn ich mir die Schicht mit ihr teilen kann. Maja ist eine unglaublich hübsche Frau, aber das absolute Gegenteil von mir. Sie ist rothaarig, von Natur aus und hat viele Sommersprossen im Gesicht. Ihre Augen strahlen grün, während meine eisblau sind. Aber nicht nur unser Aussehen unterscheidet sich, sondern auch unser Verhalten. Ich möchte schon fast sagen, ich bin die Party in Person. Maja aber verlässt kaum das Haus, es sei denn eine ihrer Freundinnen braucht einen Mädelsabend. Sie ist ruhig und gelassen und ich absolut impulsiv. Unser Chef Connor Harper liebt Maja. Wahrscheinlich ist es ihre Art die Menschen zu umgarnen. Sie ist niemals schlecht gelaunt oder zickig. Was man von mir nicht behaupten kann. Daher habe ich auch regelmäßig Ärger und Diskussionen mit meinem Chef. Connor würde mich nie kündigen, aber wir sind beide sehr impulsiv.
»Übernimmst du heute die Kasse? Ich räume auf und mache die Bestellungen, wenn es dir recht ist«, erkundige ich mich bei Maja. An der Kasse bin ich absolut fehl platziert.
»Klar!«

Es ist noch früh am Tag, weshalb bisher noch nicht ganz so viel los ist. Aber sobald in den Büro die Mittagspause eingeläutet wird, brummt auch unser Coffeeshop. Meist nutze ich die Zeit am Vormittag und mache sauber oder fülle unsere Bestände auf.
»Entschuldigung. Könnte ich wohl noch etwas Milch bekommen?«, erkundigt sich ein Gast. Freundlich nicke ich und bringe ihm ein kleines Känchen Milch. Das ist der Vorteil gegenüber den großen Ketten: Hier gibt es wenigstens noch Milch, die man ohne zu kassieren abfüllen kann.
»Vielen Dank«, sagt die Dame und widmet sich wieder ihrer Zeitung.

Es ist Mittagszeit und schon stehen Maja und ich unter Strom. Wir sind zwar ein eingespieltes Team, was aber nicht heißt, dass wir nicht auch ins Schwitzen kommen.
»Wo bleibt mein Sandwich? Ich warte nun schon seit drei Minuten«, mault ein schick gekleideter Herr auf der anderen Seite des Tresen. Den Kaffee hat er bereits in der Hand. Maja weiß, dass ich mich bei solchen Kunden zurückhalte. Ich überlasse lieber ihr das Zepter bevor es eskaliert. Aber Maja hat die patzige Rückfrage leider nicht mitbekommen und ist so in die Bestellaufnahme vertieft, dass ich antworten muss. Ein Blick auf den Timer sagt mir, dass der Toaster noch zwei Minuten braucht. »In zwei Minuten ist es heiß, ich gebe es Ihnen dann sofort«, erkläre ich. »Das ist doch absolute Zeitverschwendung hier. Können Sie nicht schneller machen? Ich habe es eilig. Mein Chef erwartet mich zurück«, fordert der Gast mich weiter heraus. Inzwischen hat auch Maja den Disput mitbekommen. An ihrem Gesichtsausdruck kann ich sehen, dass sie etwas ängstlich ist. Vermutlich hat sie Angst vor einem Ausbruch. Nicht ganz unbegründet. »Und mein Chef erwartet, dass ich die Sandwiches heiß serviere. Oder haben Sie Lust auf Salmonellen?«
Maja stiert mich mit großen Augen an. Ich nuschle ein leises tut mir leid, obwohl es mir absolut nicht leid tut. Sowas lasse ich mir nicht gefallen. Respekt ist das Mindeste, was man erwarten kann. Ich zolle den Gästen ja auch entsprechend Respekt.

Das Gesicht des Gastes läuft rot an. Entweder vor Scham oder vor Wut, das ist mir noch nicht ganz klar. »Alles halb so wild, oder Kumpel?«, schaltet sich nun ein gut aussehender, weiterer Gast ein. Der Toaster piept, ich packe das Sandwich ein und überreiche es dem rot angelaufenen Gast, der zügig den Coffeeshop verlässt. Das ist so typisch, erst große Klappe und dann klein mit Hut. Der Gast der sich ebenfalls über den roten Hering lustig gemacht hat, tritt nun an die Theke. »Ich hoffe, dass ist nicht immer so. Gibt es auch nette Gäste?«, erkundigt er sich. Er ist ein auffälliger Typ Mann. Groß gebaut, schlank und tätowiert. Seine dunkelblonden Haare sind zu einem Knoten gebunden und er trägt einen vollen Bart. Seine braunen Augen fesseln mich und ich frage mich sofort, wie es wohl unter dem schlabbrigen Shirt aussieht, welches er mit einem Jacket kombiniert hat.
»Hallo? Sie sind doch sonst so tough«, spottet der Gast. Erst jetzt bemerke ich, dass ich ihn angestarrt habe und überhaupt nicht geantwortet habe. So ein Mist... ich hoffe, ich habe nicht gesabbert. Es kommt gefühlt alle zehn Jahre mal vor, dass mich ein Mann sprachlos macht.

»Sorry. Harter Tag. Was sagten Sie?«, hake ich nach. Denn ich weiß beim besten Willen nicht worum es ging.

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