Kapitel 4 - Paul Hendricks Immobilien

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Völlig verschwitzt schrecke ich aus meinem Traum hoch, als mein Wecker mich an meine morgendliche Sporteinheit erinnert. Zum Glück habe ich gestern keine Schicht in der Bar gehabt. Nachdem ich mit Maja den Coffeeshop um 20 Uhr geschlossen habe, bin ich völlig erledigt auf mein Sofa gefallen. Unsere Nachmittagsschicht ist ausgefallen und da so viel los war, haben Maja und ich bis zum Schluss durchgezogen. Das kommt öfter vor. Dean hätte die Nachmittagsschicht übernehmen sollen, doch er hat sich mal wieder spontan krankgemeldet. Er ist ein lieber Typ, aber nicht so ganz strukturiert, wie es erforderlich wäre. Aber zurück zu meinem Traum. Ich bin absolut durchgeschwitzt. Erinnerungsfetzen tauchen vor meinen Augen auf. Wieso zum Teufel, träume ich von dem Mann aus dem Coffeeshop gestern? Mir passiert es selten, dass ich sprachlos bin, aber so sprachlos und sabbernd stand ich nun wirklich lange nicht mehr da. Kurzerhand entscheide ich mich dafür, dass es einfach nur daran liegt, das ich seit gefühlten Ewigkeiten keinen Sex mehr hatte. Da kann ein Mann die weiblichen Hormone schon einmal durcheinanderbringen. Ich schlage die Bettdecke zurück und trage mich ins Badezimmer. Eine kühle Dusche bringt mich wieder auf Vordermann, sodass ich danach in der Lage bin meinen Haushalt mal wieder etwas in Schuss zu bringen. Gerade als ich meine leere Weinflasche vom gestrigen Abend beseitigen will, klingelt mein Handy. Josh.

»Lexiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeh«, brüllt er gut gelaunt ins Telefon, welches ich schnell einen Meter von meinem Ohr entferne. »Heute Vormitag Boxen?«
»Josh? Heute ist Freitag. Wir trainieren jeden Freitag. Warum sollte das heute nicht der Fall sein?«, frage ich verwirrt.
»Tja ich weiß nicht. Vielleicht hattest du gestern ja noch atemberaubenden Sex und hat woanders übernachtet, sodass unser Trainung ausfallen muss?« Ich seufze laut während ich mit dem zwischen Schulter und Ohr eingeklemnten Telefon durch die Wohnung tigere. »Klar. Es war Channing Tatum höchstpersönlich«

»Irgh!!!«, brüllt er erneut ins Telefon. Mein Geduldsfaden fühlt sich schon leicht provoziert. »Schrei noch einmal so ins Telefon und ich lege auf. Kapiert?«, zische ich.

»Lexi, Lexi... Die Kombination aus Alkohol und einer chronischen Untervögelung ist kein Grund mich so anzupflaumen. Wir sehen uns um 14 Uhr im Studio. Bis dann«, grummelt er und legt auf. Ich kann spüren, dass er dabei gegrinst hat. »Verfluchter Mistkerl«, lache ich und spotte in meinem stillen Apartment vor mich hin.

Bis heute Abend will Josh einen Plan von mir haben, was ich mit meiner Zukunft anstellen will. Daher lasse ich heute ausnahmsweise mal mein Lauftraining sausen und widme mich meinem Laptop. Eine ausführliche Recherche hilft mir vielleicht weiter. Stundenlang checke ich diverse Jobangebote, Anforderungen und die erfolgreichsten Immobilienfirmen. Noch immer ist die Firma von Dad's ehemaligem Partner Mr. Hendricks eine der erfolgreichsten in New York und auch Nordamerikas. Paul Hendricks Immobilien – prangt in schnörkeliger Schrift auf der Website. Ich durchsuche die Stellenangebote und seufze, da sich absolut nichts passendes finden lässt. Lediglich eine Stelle als Assistenz der Abteilung für Gewerbeimmobilien. Aber ich habe nicht vor Kaffee zu kochen, dass mache ich schon bei Harper und dann zumindest mit Qualität.
Noch unentschlossen wie mein finaler Schlachtplan für Josh aussieht, mache ich mir eine Kleinigkeit zum Mittag, ehe ich meine Sportsachen packe. Ich habe den ganzen Vormittag verplämpert und nicht mal gemerkt, wie schnell die Zeit vergangen ist.

Das Studio indem wir gemeinsam trainieren liegt nicht unweit des Broadways. Damit es Josh in den Pausen nicht so weit hat, haben wir uns für diese Variante entschieden.
Für die Fahrt zum Fitnessstudio, welches in der Nähe des Bryant Parks liegt, hole ich mein Audi aus der Garage. Der TT glänzt in grau metallic und ist neben meiner Ducati mein ganzer Stolz. Ich freue mich immer, wenn ich mal wieder mit meinem Cabrio fahren kann. Glücklicherweise verfügt unser Fitnessstudio über eine Tiefgarage.
Die Fahrt zum Studio gestaltet sich aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens als total nervig. Ich bin froh, als ich schließlich um 14.15 Uhr die Tiefgarage erreiche. Fünfzehn Minuten zu spät. »Ich wollte schon eine Vermisstenanzeige aufgeben!«, blubbert Josh direkt los.

Ich eile mitsamt meiner Sporttasche auf ihn zu, haue sie ihm gegen sein Knie und ziehe ihn anschließend in eine feste Umarmung. »Lexi, ist alles in Ordnung bei dir?«, erkundigt er sich direkt. »Klar. Wieso denn nicht?«

»Du verhältst dich komisch. So anhänglich. Hatte ich recht mit der Theorie, dass du...« Weiter kommt Josh nicht, denn ich haue ihn genau in dem Moment mit aufgestelltem Mittelfingerknochen auf die Schulter.

»Aua«, brüllt er. »Was soll das?«

»Du wolltest wieder diese abartige Wortkombination raushauen! Hör auf damit!«, knurre ich. »Heute mit Samthandschuhen?«, provoziert er mich weiter. Das wird heute ein sehr anstrengendes Training.

Zwei Stunden später und völlig ausgelaugt sitzen wir verschwitzt nebeneinander auf dem Aufstieg zum Boxring. Ich liebe das Boxen und vor allem liebe ich es, dass Josh mich nicht schont. »So erzähl mir von deinem Lebens-Rettungsplan«, sprudelt es aus Josh hervor.

»So haben wir nicht gewettet, Häschen! Heute Abend war die Deadline«, versuche ich mich herauszureden. »Tja, die wurde aufgrund akuter Frechheit vorverlegt«, spottet er und grinst mich dabei zufrieden an.

»Also ich habe heute morgen ausführlich recherchiert. Es gibt verschiedene Möglichkeiten die fehlenden Kenntnisse aufzuholen. Allerdings sind die sehr... naja langfristig?«, beginne ich meine Erzählung zu meinen Ergebnissen. »Ein Studium zum Beispiel. Immobilienmanagement. Würde mir helfen. Aber ich habe keine Lust drei Jahre zu studieren. Josh, ich in einer Uni? Das klappt nicht«

»Mhm...«, murrt er und ich habe direkt das Gefühl, dass er mit meinem Plan nicht zufrieden ist. Naja dann sind wir schon mal zwei.
»Allerdings gab es da noch was anderes... Ich habe gegoogelt und herausgefunden, dass Paul Hendricks Immobilien nach wie vor der beste der Branche ist«, erkläre ich weiter.
»Der Konkurrent deines Vaters?«, fragt Josh nach.

»Nein, er war Dad's Freund. Sein Sohn Tom Hendricks steht nun an der Spitze. Die Abteilung für Geschäftskunden sucht eine Mitarbeiterin. Das wäre eine Chance. Eine kleine zumindest«
»Was für eine Mitarbeiterin?«

»Äh... Assistentin«, erkläre ich etwas beschämt. Inzwischen hat sich mein Sportpuls wieder etwas beruhigt und die Schweißperlen trocknen langsam.

»Lexi, das klingt nicht ganz so schlecht. Wenn du dich einbringst und dich beweist, vielleicht kriegst du einen Fuß in die Tür? Und du würdest endlich diese Schichtarbeit beenden!«

Ich schüttle den Kopf. »Die Stelle wäre nur Teilzeit! Ich kann also weiterhin im Harpers arbeiten und vielleicht auch ein- zwei Schichten im Neos übernehmen. Ich muss arbeiten. Ich bin ein Arbeitstier«, versuche ich mich zu erklären. »Nein, Lexi. Du bist kein Arbeitstier. Du flüchtest vor der Einsamkeit«

Schockiert über seine Ehrlichkeit starre ich ihn an. Mir bleibt die Luft weg. Sowas lächerliches. Ich bin nicht einsam...

»Ich.bin.nicht.einsam.«, zische ich. »Ich bewerbe mich da! Danke für's Training«, maule ich und eile ohne zurückzublicken zu den Umkleiden.

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