»Du kannst es dir nicht vorstellen. Ich freue mich so sehr. Natürlich habe ich gesagt, dass ich darüber nachdenken muss. Aber ich meine das wäre perfekt. Dort kann ich so viel lernen«, murmle ich freudestrahlend in das Mikrofon meines Smartphones. Am anderen Ende der Leitung stimmt mir Josh begeistert zu: »Auf jeden Fall! Lexi, das ist deine Chance! Wirst du morgen direkt anrufen und zusagen?«
Auf dem Weg zur U-Bahn Station gerät meine Stimme leicht ins wanken. »Natürlich. Ich bin so gespannt wie es weitergeht. Heute Abend habe ich wieder die Schicht im NEOS. Kommst du mich besuchen?«
»Du bist ja ganz außer Atem«, schmunzelt Josh in den Hörer. »Aber das freut mich. Endlich mal etwas mehr Emotionen! Und heute Abend werde ich nicht schaffen, wir haben bis spät Training die Aufführung steht bald an«.
»Ist gut. Wir hören«. Damit beende ich das Gespräch. Ich bin so gut gelaunt, das ich die Stufen zur U-Bahn leicht hüpfend in Kauf nehme.
Es ist Montagabend und im Club ist es noch angenehm ruhig. Cassandra ist heute ebenfalls hinter der Bar, sodass dies eine spannende Schicht werden kann: nicht. Die House Musik pulsiert in meinen Ohren und ich schneide im Rhythmus Zitronenscheiben für unsere Cocktails auf der Karte. »Du hast heute außergewöhnlich gute Laune«, stellt Cassandra fest und blickt mich aus schmalen Augen fordernd an.
»Kann sein«, sage ich und grinse dabei keck die Zitronen an. Ich mag den Job. Er lenkt mich ab. Aber ich mag Cassandra nicht und das zeige ich auch. Aber ehrlich gesagt vermute ich, dass das sogar auf Gegenseitigkeit beruht. Cassandra nickt nur und spricht mich dazu nicht weiter an.
»Einen Whiskey on the Rocks, bitte«, murmelt der erste Gast des heutigen abends. Ich nicke ihm zu und gieße den Whiskey ein »Bitteschön. Ich bekomme 10 Dollar.« Das Geld wechselt den Besitzer und der Gast macht sich auf den Weg zu einer entfernteren Sitzgelegenheit. Ich wüsste aktuell nicht, wie man einfacher Geld verdienen könnte.
Einige Stunden später ist der Club voll bis unter die Decke. Die Musik ist bis zum Anschlag aufgedreht und die Menge bebt. Es ist so viel zu tun, dass mir kleine Schweißperlen den Rücken herunterrinnen. Die Gäste möchten bedient werden und das bei der Wärme hier drin relativ zügig. »Wir nehmen vier Bier«, entgegnet ein Vertreter einer Gruppe junger Bengels, die kaum das 21te Lebensjahr beendet haben können. »Magst du mir bitte deinen Ausweis zeigen?«, entgegne ich. Cassandra führt eine strenge Politik und hat absolut keine Lust auf Stress. Ihr Laden ist sauber – durch und durch. »Das kann doch nicht dein ernst sein«, entgegnet der Junge forsch. »Tut mir leid, Anweisung ist Anweisung. Hast du deinen Ausweis dabei?«
»Nein. Ich möchte mit deinem Chef sprechen. So kannst du doch keine Gäste behandeln«, murrt er weiter rum. Ein weiterer Freund von ihm misch sich ein »Wo genau ist das Problem?«
»Ohne Ausweis kein Bier«, stelle ich klar.
»Da wirst du doch sicherlich eine Ausnahme machen können«, zwinkert er und berührt mit seiner Handfläche meine auf dem Tresen ruhende Hand. Sowas hasse ich. In Nullkommanichts greife ich mit der anderen Hand seinen Nacken und drücke seine Wange auf den Tresen. »Ohne Ausweis, kein Bier, mein Freund!«
»Jaja. Schon gut. Bitte lass los«, winselt er. Ich hebe die Hand von seinem Nacken und er richtet sich auf, streicht seine Jacke glatt. »Kommt Jungs, wir gehen«, murrt er und die Bande zieht ab.
»Alles geregelt?«, erkundigt sich Cassandra die von der anderen Seite der Bar alles mitbekommen hat.
»Ja, keine Probleme mehr«, entgegne ich gestresst.
Die letzten Stunden meiner Schicht vergehen wie im Film. Schnell und ohne weitere Zwischenfälle. Auf dem Weg nach Hause denke ich über den Tag nach. Eine Stelle bei Paul Hendricks Immobilien wäre einfach nur Wahnsinn. Ja, ich kann bei meinen Schichten mein Leben vergessen. Aber Josh hat schon Recht. Ich muss langsam in den Quark kommen, die Dinge vorbereiten, wenn mein Dad entlassen wird. Wir müssen das Unternehmen wieder aufziehen. Ein neues aufziehen. Aber wir dürfen unsere Arbeit und die Stärke meines Dads nicht so sterben lassen. Das geht einfach nicht. Trotz der späten oder auch frühen Uhrzeit ist die U-Bahn relativ voll. Trotzdem ergattere ich noch einen Platz. Die Verspannungen in meinem Nacken lassen mich den Kopf langsam kreisen. Auch mit 26 Jahren ist diese Art der Arbeit anstrengend. Wenn ich die neue Stelle annehmen würde, müsste ich das NEOS und vielleicht auch das Harpers verlassen. Darüber hatte ich mir bisher noch gar keine Gedanken gemacht. Die Stelle wäre Vollzeit und nicht nur Teilzeit. Allerdings hätte ich dadurch sicherlich auch die Chance schneller mehr zu lernen.
Mit kreisenden Gedanken schließe ich die Tür zu meinem Apartment auf. Was, wenn ich alldem nicht gewachsen bin? Was, wenn ich für das Nachtleben und Coffeeshops diene, nicht aber für so eine Stelle? Was, wenn mich dies nicht von meinem Dad ablenkt und ich meine Gedanken zu oft kreisen lassen kann? Um mich vor dem Schlafengehen zu beruhigen, scanne ich meine Mails. Dabei entdecke ich eine von Mrs Michelson. Nervös öffne ich die Mail und überfliege ihre Nachricht. Mein Herz setzt aus.
Absender: Mrs Michelson | Hendricks Immobilien
Betreff: Ihre Stelle bei Hendricks Immobilien
Guten Abend Mrs Wellington,
ich freue mich sehr Ihnen mitteilen zu können, dass wir Ihnen die Stelle als Assistenz der Geschäftsführung anbieten möchten.
Geben Sie mir gerne Bescheid, ob wir gemeinsam in weitere Vertragsverhandlungen einsteigen können.
Zu unserem nächsten Gespräch treffen wir uns dann gemeinsam mit unserem Geschäftsführer.Ich hoffe sehr, dass Ihnen unsere Unternehmung zusagt.
Rufen Sie mich gerne an.
Freundliche Grüße
Nicole Michelson
- HR -
Auweia.Das ist genial! Urplötzlich strahle ich los. Ich freue mich wirklich. Riesig.Wie soll ich jetzt noch Schlaf finden? Ich muss unbedingt Josh davon berichten.
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Untamed
RomanceVor acht Jahren hat sich Lexi verändert. Sie ist nicht mehr dasselbe, nette Mädchen. Seit acht Jahren ist sie voller Wut und voller Hass. Denn man hat ihr ihren einzigen Angehörigen, ihren Vater, genommen. Bis heute schweigt ihr Vater über den Grund...