4. Kapitel

3.4K 273 63
                                    

"Guilt is about something you do. Shame is about who you are."

Bill Konigsberg - Openly Straight

MADDOX

„WAS IST mit ihm? Kann ich zu ihm?"
„Ihr Sohn hat eine Platzwunde an der rechten Schläfe erlitten, wir mussten sie mit insgesamt fünf Stichen nähen. Dazu kommt eine mittelschwere Gehirnerschütterung. Wir würden ihn gerne noch über Nacht hierbehalten, nur zu Beobachtung."
„Wie in Teufels Namen ist das passiert?"
„Das müssen Sie Ihren Sohn selbst fragen, Ma'am."
„Dann darf ich also rein?"
Als Antwort wurde die weiße Tür geöffnet. Sobald meine Mutter den ersten Schritt über die Türschwelle getan hatte, landeten ihre braunen Augen auf mir. Sie weiteten sich, ihre Hand flog zu ihrem Mund.
„Um Gottes Willen Maddox, was hast du angestellt?", atmete sie geschockt.
Sie kam zu mir herüber, setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett, in dem ich lag und begutachtete den weißen Verband um meinem Kopf.
„Wie hast du das gemacht?", fragte sie noch einmal. Wäre ich nicht mit haufenweise Schmerzmitteln vollgepumpt, hätte mir ihre Fragerei wahrscheinlich noch mehr Kopfschmerzen bereitet.
Ich zuckte mit den Schultern, antwortete nicht. Ich konnte nicht zulassen, dass mein Vater davon erfuhr. Er würde mich umbringen.
„Weiß er hiervon?", fragte ich und schaute meiner Mutter dabei nicht in die Augen. Sie konnte nichts dafür, das wusste ich, aber auf eine abgefuckte Weise war es doch alles irgendwie ihre Schuld.
Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Ich atmete leise auf.
„Können wir dann gehen?"
Sie presste die Lippen zusammen, schüttelte wieder den Kopf. Nein.
„Warum nicht?" Ich musste hier weg, bevor mein Vater etwas davon erfuhr.
„Die Schwester hat gesagt, du sollst zur Beobachtung hier bleiben." Sie legte ihre Hand auf meinen Arm und drückte kurz zu, als würde sie mich beruhigen wollen. Ihre Hand war kalt.
„Mum, ich kann nicht hierbleiben." Ich hasste es, wie meine Stimme einen flehenden Unterton angenommen hatte. „Ich wurde vom Footballteam suspendiert", gab ich schließlich zu. „Wenn er das rausfindet..." Ich ließ das Ende des Satzes mit Absicht offen im Raum stehen.
Meine Mutter schürzte ihre Lippen. Dann nahm sie ihre Hand von meinem Arm - komischerweise fühlte sich die Stelle nun noch kälter an.
„Wie stellst du dir das vor? Du hast eine Gehirnerschütterung. Damit ist nicht zu spaßen, Maddox", sagte sie schließlich. Ich wusste, was sie vorhatte. Sie versuchte mir ein schlechtes Gewissen einzureden.
„Du kennst dich mit dem Scheiß doch aus. Du kannst zu Hause auf mich aufpassen", versuchte ich sie zu überreden.
Meine Mutter war selbst Krankenschwester.
„Bitte, Mum", fügte ich etwas leiser hinzu, um die Mauer, die sie versuchte um sich herum aufzubauen, zum Einsturz zu bringen.
Sie schaute mir einen Moment lang in die Augen, bevor sie ihren Blick abwandte und leise fluchte. Sie fuhr sich kurz durch die Haare und atmete tief durch, bevor sie schließlich nachgab.
„Okay, ich unterschreibe die Entlassungspapiere. Aber das bleibt unter uns, verstanden?"
Ich nickte. Als sie aufstand und rausging, ließ ich langsam die Luft entweichen, von der ich nicht einmal bemerkt hatte, dass ich sie angehalten hatte. Fuck, das war knapp. Mir wurde übel als ich an das dachte, was mich erwarten würde, wenn mein Vater von der Suspendierung Wind bekam. Er würde mir die Scheiße aus dem Leib prügeln.
Minuten später kam meine Mutter wieder, in der einen Hand Kopien der unterschriebenen Entlassungspapiere, in der anderen Hand ihre Autoschlüssel.
„Kannst du mich zur Schule fahren?", fragte ich, als ich neben ihr hertaumelte.
Fuck, mein Schädel tat durch die ganzen Schmerztabletten zwar nicht weh, mein Gleichgewichtssinn war aber dafür hin.
„Warum soll ich dich zur Schule fahren?"
„Mein Auto steht da noch."
„Du kannst so nicht Auto fahren", sagte sie monoton, als sie mir die Eingangstür aufhalten musste.
„Wenn mein Auto nicht zu Hause steht, wird er fragen stellen, Mum."
Danach sagte sie für eine lange Zeit nichts.
„Sind deine Freunde noch in der Schule?", fragte sie schließlich, als wir ins Auto stiegen und vom Parkplatz des Krankenhauses fuhren.
„Ja." Nein.
Sie seufzte. Ich wusste. dass ich gewonnen hatte, behielt aber meine teilnahmslose Miene aufrecht.
„Gut", sagte sie, während sie vor dem Schulgebäude hielt. „Lass dich von einen deiner Freunde nach Hause fahren. Und wehe ich muss erfahren, dass du alleine gefahren bist. Dann sind die Autoschlüssel weg, haben wir uns verstanden?"
Ihr Ton war ernst.
Ich verdrehte die Augen, nickte jedoch.
„Dann bis gleich", verabschiedete sie sich, als ich ausstieg. Ich sah dem Wagen noch beim Wegfahren hinterher, bis er an der nächsten Kreuzung nach links abbog und ich ihn nicht mehr sehen konnte.
Ich straffte meine Schultern, bevor ich mich auf den Weg zu meinem Auto machte. Obwohl ich vielleicht drei Parkreihen laufen musste, kam mir der Weg unendlich lang vor. Mein Schädel begann wieder leicht zu pochen. Vielleicht hätte ich den Wagen doch einfach hier lassen sollen.
Der Wagen hat 'nen Platten, hätte ich sagen können. Und meine Mutter hätte mich gedeckt. Vielleicht hätte ich auch noch ein paar Leute hingeschickt, damit sie meinen Reifen aufschlitzten. Dann wäre meine Lüge niemals aufgeflogen.
Aber soweit hatte ich natürlich nicht gedacht.
Der dunkle Lack meines Autos glänzte in der brühenden Mittagssonne. Ich war heute Morgen zu spät gekommen und irgendein Mistkerl hatte mir meinen Parkplatz weggenommen.
Ich kramte meine Schlüssel aus meiner Jackentasche hervor und versuchte den Schlüssel in das Schlüsselloch zu stecken, aber plötzlich sah ich die Scheiße doppelt. Ich schloss kurz meine Augen und atmete tief durch, bevor ich es noch einmal versuchte. Alles verschwamm vor meinen Augen und ich musste blinzeln, damit sich meine Sicht wieder einigermaßen klärte. Fuck, wie zur Hölle sollte ich Autofahren, wenn ich nicht mal die verdammte Tür aufbekam? Ich stocherte blind herum, in der Hoffnung, das Schlüsselloch irgendwie per Zufall zu treffen, doch dann rutschte mir der Schlüssel aus der Hand und landete mit einem grässlichen Klirren auf dem Boden.
Ich schlug wütend mit der Faust auf das Dach. Verdammte Scheiße!
„Das ist Vandalismus", sagte plötzlich eine monotone Stimme hinter mir.
Ich stützte mich mit meinen Ellbogen auf das Dach ab und fuhr mir mit den Händen durch die Haare, um mich zu beruhigen. Der Verband rutschte dabei leicht nach hinten.
„Hast du mir -"
Ich wirbelte herum- vielleicht ein wenig zu schnell - und musste mich gleich darauf mit dem Rücken an das Auto lehnen, damit ich nicht umfiel. Dann erkannte ich den Typen, der vor mir stand.
Es war der selbe Typ wie vordem Krankenzimmer. Wie hieß der noch gleich? Irgendein Kirchenname. Isaiah? Nein. Josiah.
„Was willst du?", fragte ich genervt und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie beschissen es mir eigentlich ging.
Der Lockenkopf legte seinen Kopf auf die Seite. "Wurdest du nicht erst vom Krankenwagen abgeholt?"
Ich verdrehte die Augen.
„Ich weiß, dass du das warst." Er kniff die grünen Augen leicht zusammen, als würde er versuchen, mein Inneres zu lesen.
Plötzlich wurde mir sein durchdringender Blick zu unangenehm und ich tat das, was ich am Besten konnte.
„Verpiss dich."
„Erst wenn du aufhörst, andere Wagen zu beschädigen." Er hörte sich an, wie ein verdammter Lehrer. Wer denkt er, wer er ist?
„Das ist mein Wagen, Creeper."
Er sah nicht wirklich überzeugt aus und hob eine Augenbraue.
„Beweis es."
„Ich muss dir gar nichts beweisen, du kleine Ra -"
„Sind das deine Schlüssel?", unterbrach er meinen Ausbruch und ich war für einen Augenblick lang zu überrumpelt, um zu antworten. Was sollte das?
Ich folgte mit meinem Blick seinem Zeigefinger, der auf den Boden neben mir deutete. Dann schaute ich wieder hoch in sein Gesicht und war überrascht zusehen, dass seine Augen schon auf mir lagen. Ich wandte den Blick ab. Was starrte er mich so an?
„Nein." Ich log. Damit er endlich wegging und mich in Ruhe ließ.
„Ich weiß, dass es deine sind."
„Woher willst du das wissen?" Ich konnte spüren, wie ich wütend wurde. Der Typ ging mir gerade richtig auf die Eier.
„Weil das Zeichen der Marke auf dem Autoschlüssel dasselbe ist, wie von dem Auto."
Ich schaute ihn an. Er war nicht dumm.
„Toll gemacht, Sherlock", erwiderte ich sarkastisch. "Kannst du mich jetzt endlich in Ruhe lassen und dich verpissen?" Ich bückte mich, um meine Schlüssel aufzuheben. Doch mitten in der Bewegung wurde mir plötzlich unglaublich übel und ich musste mich an dem Griff der Autotür festhalten, um nicht umzukippen.
„Warte." Ich sah im Augenwinkel, wie er mir näher kam und wich automatisch zurück. Er ignorierte meine Bewegung und beugte sich neben mir runter, um meine Schlüssel aufzuheben. Er drehte seinen Kopf in meine Richtung und ich schaute ihn an, im Augenwinkel sah ich meine Schlüssel von seinem Zeigefinger baumeln. Er war mir so nahe, dass ich seinen Geruch in der Nase hatte.
Ich richtete mich abrupt auf und versuchte seinen stechenden Blick zu ignorieren. Was zur Hölle lief falsch mit ihm? Er erhob sich langsam und hielt mir meine Schlüssel hin. Ich riss ihm sie aus der Hand, ein Danke blieb mir irgendwo in der Kehle stecken.
„Willst du so wirklich Autofahren?",fragte er, als er mich dabei beobachtete, wie ich versuchte, mein Auto aufzuschließen.
„Was geht dich das an?", fuhr ich ihn an und erhaschte sein Stirnrunzeln im Seitenspiegel.
Plötzlich fiel mir der Schlüssel wieder aus der Hand.
„Fuck!" Diesmal konnte ich mich nicht mehr kontrollieren und trat mit dem Fuß gegen die scheiß Tür. Das konnte verdammt nochmal nicht wahr sein, wieso zur Hölle konnte ich nicht mal meinen eigenen Wagen aufschließen? Fuck, ich hasste Miller. Ich hasste ihn so verdammt sehr.
„Du solltest jemanden anrufen, der dich fährt", sagte der Creeper ruhig, unbeeindruckt von meinem Ausbruch. „Was ist mit deinen Eltern?"
Ich war kurz davor, ihn zusammenzuscheißen, als mir klar wurde, dass das nichts brachte. Egal wie sehr ich ihn beschimpfte, er ging einfach nicht. Außerdem wusste ich, dass mir meine Wut nur unnötig Energie raubte. Ich sank mit dem Rücken gegen das Auto zurück und schloss die Augen.
„Sind arbeiten", antwortete ich.
„Hast du Geschwister, die dich fahren können?"
„Nein."
„Freunde?" Ich schüttelte den Kopf. Sie waren alle am Strand und wahrscheinlich schon betrunken wie sonst was.
Einen Moment lang sagte er nichts, als würde er überlegen. Nach einiger Zeit ertönte seine Stimme wieder, diesmal jedoch nicht an mich gerichtet.
„Gabe, ich bin's."
Ich öffnete irritiert die Augen und sah, wie er mit seinem Handy telefonierte. Wer ist Gabe?
„Nein, jetzt hör' mir doch mal zu", erwiderte Creeper genervt. „Kannst du mein Auto nachher nach Hause fahren?"
Ich beobachtete, wie er sich auf die Unterlippe biss, während er stirnrunzelnd zuhörte.
„Ist doch egal warum", sagte er. Er verdrehte die Augen.
„Ja,mach ich. Danke." Und er legte auf. Bevor er bemerken konnte, dass ich ihn beobachtet hatte, schaute ich weg.
„Ich fahr dich nach Hause", sagte er, nachdem er das Handy in seiner Hosentasche verschwinden ließ.
Ich sagte nichts. Vielleicht sollte ich es, aber ich tat es nicht. Ich sollte verdammt nochmal froh sein, dass mich jemand nach Hause brachte und mein Vater nichts davon mitbekommen musste.
Creeper öffnete die Fahrertür und setzte sich wie selbstverständlich hinters Lenkrad. Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, ihn da wieder herauszuzerren und mich selbst ans Steuer zu setzen, doch ich wandte den Blick ab. Tief im Inneren wusste ich, dass ich nicht fahren sollte.
Ich ließ mich auf meinem Beifahrersitz sinken. Es fühlte sich verdammt komisch an. Ich saß noch nie in meinem eigenen Auto auf dem Beifahrersitz.
„Du stellst nichts um", sagte ich harsch, als seine Hand zu dem Verstellrädchen am Sitz glitt.
Er hielt inne, starrte mich an.
„Du bist größer als ich. Wie soll ich so fahren?
„Du kommst an die Bremse und ans Gas. Das reicht."
„Klar reicht das. Wenn du nochmal ins Krankenhaus willst."
Mein Kiefer mahlte.
„Ich werde so ganz bestimmt nicht losfahren. Ich weiß ja nicht, wie es mit dir ist, aber mir ist mein Leben schon noch was wert."
„Fuck, dann stell den Scheiß doch um!" Ich sah im Augenwinkel, wie er leicht zusammenzuckte, blieb jedoch hart. Er pisste mich gerade so an, wäre ich nicht auf ihn angewiesen, hätte er schon längst eine sitzen gehabt.
Er antwortete nicht und als er den Sitz höher und weiter nach vorne stellte, hatte ich das Gefühl, dass er es mit Absicht langsamer machte, damit ich es auch bloß mitbekam. Er legte es wirklich darauf an.
„Es war dieser Eric, oder?", sagte er plötzlich, als wir an der Kreuzung links abbogen.
„Woher weißt du das?" Eigentlich wollte ich nichts sagen, aber meine Neugier war gerade stärker.
„Er hat damit in Englisch geprahlt", zuckte er teilnahmslos mit den Schultern.
„Natürlich hat er das", murmelte ich. Dieser Mistkerl.
„Du hast ihm ordentlich was mitgegeben. Ich glaube, sein Nasenbein ist verstaucht oder so."
„Gebrochen wäre besser." Dann dürfte er die nächsten Spiele auf keinen Fall mitspielen. Coach Henson lässt niemand Verletztes mitspielen, zu hohes Risiko.
Ich spürte seinen Blick auf mir, als wir vor einer roten Ampel hielten. Ich konnte fühlen, wie die Wut in mir langsam abebbte und ich hatte keine Ahnung, wieso.
„Du magst ihn nicht." Es war keine Frage, eine Feststellung.
„Da bin ich der Einzige."
„Nicht wirklich. Er ist arrogant. Denkt, er wäre der Beste oder so", sagte er, runzelte dabei die Stirn. Und so wie er es sagte, wusste ich, dass er bereits mit Miller zu tun gehabt haben musste.
Ich schaute ihn milde überrascht von der Seite an. Er war einer der Einzigen, die Miller nicht mochten.
„Bist du nicht einer von ihnen? Von den Beliebten, meine ich", fügte er hinzu, als ich nicht antwortete.
Ich nickte. Was sollte ich noch mehr dazu sagen? Es war offensichtlich, dass ich dazugehörte.
„Warum macht ihr das?"
„Was?"
„Warum stellt ihr all den Neuen ein Bein? Ich bin fast die Treppe heruntergeflogen", sagte er.
Wenn mich nicht alles täuschte, hatte seine Stimme sogar einen verärgerten Unterton angenommen.
Ich zuckte desinteressiert mit den Schultern.
„Ist Tradition." Wenn sich dabei jemand verletzte, war das eben so.
„Tolle Tradition."
„Wenn du was dagegen hast, ist das nicht mein verdammtes Problem. Find dich damit ab", entgegnete ich genervt. Ich hatte den Scheiß nicht eingeführt, es war nicht meine Schuld, also sollte er den Mund halten und mich nach Hause fahren.
Mein Blick wanderte eher unabsichtlich zu seinem Bein, doch ich konnte sowieso nichts erkennen.
„Bist du genervt?", fragte er und ich hätte fast gelacht.
„Ja." Fuck, ja.
„Okay."
Ich starrte ihn an. Okay? Das war alles? Ich schüttelte den Kopf und schaute aus dem Fenster. Okay.
Zwei Minuten später lenkte er den Wagen in die Auffahrt. Meine Mutter war schon wieder zu Hause, mein Vater noch nicht.
Der Motor wurde abgestellt, ein paar Sekundenlang herrschte Stille.
„Ich tu' jetzt einfach so, als hätte ich ein Danke gehört", sagte Creeper monoton.
Ich wusste nicht warum, aber ich musste lachen. Dann spürte ich seinen Blick auf mir, und hörte augenblicklich auf. Fuck, was machte ich hier eigentlich? Sitze im Wagen und lache mit Creeper. Fucking toll.
Ich stieg aus, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. Über das Dach hinweg verlangte ich nach meinen Schlüsseln, die er mir in die Hand drückte. Sie waren noch warm von seiner Berührung.
Dann drehte er sich um und ging, ohne sich zu verabschieden. Und ich schaute ihm hinterher, bis er in das gegenüberliegende Haus verschwand und fragte mich, was zur Hölle bei diesem Typen nicht richtig lief.

„Maddox, es gibt Essen", rief meine Mutter nach oben.
Fuck. Ich war noch nicht fertig.
Ich knallte meine Badezimmertür zu, nur für den Fall, dass sie noch einmal hochkam. Mein Vater hasste es, wenn ich zu spät zum Essen kam.
„Ich komm gleich, Moment", rief ich zurück und befeuchtete hastig den Lappen, um mir das getrocknete Blut von der Schläfe zu wischen. Der weiße Verband mit dem rotem Fleck lag schon zusammengeknüllt im Mülleimer.
Ich kniff die Augen zusammen, als ich aus versehen mit dem Lappen gegen die genähte Wunde kam, ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Kopf. Fuck.
Mit der Hand fuhr ich mir durch die Haare und schob sie ein wenig zur Seite, damit sie die Naht zumindest grob bedeckten. Wenn ich Glück hatte, würde mein Vater nichts davon bemerken.
Aber das hatte ich nicht. Hatte ich selten.
Schon als ich das Esszimmer betrat, spürte ich seinen durchdringenden, penetranten Blick auf mir. Den intelligenten Augen hinter der Brille entging nichts. Er legte seinen Kopf leicht auf die Seite, so als betrachte ein Raubtier seine Beute, kurz bevor es zum tödlichen Sprung ansetzte.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich hasste es, dass er so eine einschüchternde Wirkung auf mich hatte. Neben ihm war ich ein kleines verängstigtes Kind und ich konnte nichts dafür. Ich konnte verdammt nochmal nichts dafür. Ich hasste ihn.
„Was hast du am Kopf, Sohn?", fragte er mit gespieltem Interesse, seine Augen funkelten animalisch hinter der Brille. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Ich konnte fast nichts dafür, als ich hilfesuchend zu meiner Mutter schaute. Sie versuchte mir ein beruhigendes Lächeln zu schenken, doch mir konnte sie nichts vormachen. Ich sah, wie ihre Hand um die Gabel leicht zitterte.
Mein Vater hatte von dem Blickkontakt nichts mitbekommen.
„Es ist nichts, Dad. Nur..." Ich zögerte bei seinem Blick. „Nur eine kleine Schramme." Ich brachte ein brüchiges Lächeln zustande.
Seine Augen verengten sich leicht, doch er ließ sich nicht anmerken, ob er mir die Lüge abkaufte oder nicht. Ich atmete tief durch, als er sich seinem Teller zuwandte und anfing zu essen.
„Das Steak hätte noch ein bisschen länger drinnen bleiben können, findest du nicht auch, Janet?", sagte er nach einer Weile, nachdem er sich lange Zeit mit dem Kauen des Fleisches gelassen hatte. Mein Blick schoss zu meiner Mutter, die ihr Besteck zur Seite legte.
„Das tut mir Leid. Soll ich es wieder reinstellen?" Sie war bereits aufgestanden, bereit, ihm den Teller wieder abzunehmen, doch er schüttelte bloß den Kopf.
„Ist schon in Ordnung. Was anderes bin ich ja sowieso nicht gewohnt, nicht?" Er lächelte, doch es war ein falsches, fast schon selbstbemitleidenes Lächeln und kalt wie Eis.
Meine Mutter sank in den Stuhl gegenüber von mir zurück.
Eine Zeit lang war es still. Ich hörte nur das Kauen meines Vaters und die Uhr, die über der Tür zum Wohnzimmer tickte.
 „Weißt du noch, als ich im letzten Jahr mit deinem Coach gesprochen hatte?", sagte er plötzlich. Ich schaute auf, doch sein Blick lag seelenruhig auf seinem Teller. Er fuhr mit dem Essen fort, als hätte er nichts gesagt.
„Ja, Dad", antwortete ich, meine Hand um das Messer verkrampfte sich. Ich hatte ein ungutes Gefühl im Magen. Ein verdammt ungutes.
„Ich hatte ihm zu verstehen gegeben, mich bitte über deine Fortschritte im Team zu informieren. Hatte ich das nicht?" Als ich mit einem flauen Gefühl im Magen aufschaute, lächelte er mich freundlich an. Aber ich wusste, dass das nicht echt war. Und es war ein schlechtes Zeichen.
„Ja. Ja, das hatte ich", nickte er sich selbst zu, als ich nicht antwortete. „Und weißt du, was mich heute erreicht hat? Ein Anruf. Von deinem Coach."
Er hatte immer noch dieses grässliche Lächeln auf den Lippen, als würde er hervorragende Neuigkeiten haben.
„Richard, bitte", mischte sich meine Mutter flehend ein.
Mein Vater hob die Hand, brachte sie zum Schweigen. „Halt dich daraus, Janet. Ich rede mit unserem Sohn."
Ich hatte vielleicht zwei Bissen gehabt, wollte mich aber am liebsten übergeben. Ich wusste, was jetzt kam.
„Dein Coach hat mir erzählt, du wärst heute zu spät zum Training gekommen. Ist das wahr?" Er war immer noch seltsam ruhig.
„Ja, Dad." Ich entschloss mich für die Wahrheit.
„Interessant." Er rieb sich über die Bartstoppeln an seinem Kinn. „Und dann hat er mir erzählt, dass er dir den Titel als Teamkapitän aberkannt hat. Ist das auch wahr?"
Ich nickte.
Er nickte verständnisvoll. „Du hast dich danach geprügelt?"
Ich nickte wieder. Meine Schläfe pochte.
„Du wurdest suspendiert." Er lächelte, mir wurde schlecht.
„Ist das wahr?" Seine Augen funkelten gefährlich.
Ich wollte antworten, aber ich konnte nicht.
„Richard -"
„Ist das wahr!?", brüllte er und ich kniff die Augen zusammen. Die vorherige Ruhe war wie weggeblasen.
Eine Sekunde später hörte ich Glas an der Wand zerschmettern, ein geschockter, leiser Aufschrei meiner Mutter folgte. Ich duckte mich instinktiv und keine Sekunde zu früh; genau im selben Moment spürte ich den Luftzug der Hand meines Vaters über meinen Kopf herziehen.
Das war ein Fehler gewesen. Dass er mich nicht erwischt hatte, schien ihn noch wütender zu machen.
„Komm her, du missratenes Stück Scheiße!"
Und dieses Mal konnte ich mich nicht ducken. Seine flache Hand knallte mit voller Wucht gegen meine Wange und ich sah Sterne. Der nächste Schlag kam sofort danach. Er zerrte mich von meinem Stuhl runter und seine Fäuste prasselten wie Regen auf mich ein.
Und ich lag nur still da, ließ es über mich ergehen wie ein wehrloses Kind und lauschte dem leisen Schluchzen meiner Mutter aus der Ferne, während er seiner Wut freien Lauf ließ.

Paper Planes - Alles schwarz und weiß: Eine LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt