13 | Du schon wieder

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• 2Wei - Survivor •

Als wir reinkommen, höre ich das Gebrüll der Jungs schon. Ich rümpfe die Nase. Es riecht nach Schweiß und Männerdeo. Absolut keine gute Mischung.

»Hey, wo-«, fange ich an und drehe mich zu meinem Bruder um, aber da rennt Jonah auch schon an mir vorbei zu den Umkleiden und lässt mich einfach stehen.

Ich verdrehe die Augen, schaue mich dann aber unauffällig nach Nate um. Es dauert nicht lange bis meine Augen ihn schließlich erblicken. Er steht im Ring und trainiert gerade mit einem kleinen Mädchen, das vermutlich nicht älter als Jonah ist. Er steht mit dem Rücken zu mir, aber ich erkenne ihn alleine schon an seinem Tattoo, das mich selbst aus dieser Entfernung anzustarren scheint. Die dunklen Augen machen mir immer noch Angst, andererseits haben sie auch fast schon etwas hypnotisierendes, das mich nicht mehr loslässt.

Mein Blick klebt minutenlang an seinem Rücken. Seine Muskeln bewegen sich bei jeder Bewegung. Ich schlucke, während mein Blick zu dem jungen Mädchen schweift. Sie boxt auf die Stoßkissen in Nates Händen ein, während er ihr irgendetwas zu ruft. Sie ist vielleicht erst zwölf und könnte mich wahrscheinlich mit einem einzigen Schlag k.o. hauen.

Mit jedem Wort, das Nate ihr zu ruft, wird ihr Blick verbissener und ihre Schläge scheinen an Kraft zuzunehmen.

Ich bin überrascht, auch Mädchen hier zu sehen. Das letzte Mal, dass ich hier gewesen bin, habe ich nur Jungs gesehen. Wenn sie hier auch Mädchen aufnehmen, sollte ich vielleicht auch mit dem Kickboxen anfangen.

Jonah kommt aus der Umkleide gerannt, als das Mädchen gerade aus dem Ring steigt. Ich habe mich inzwischen wieder auf die selbe Bank wie auch letzte Woche schon gesetzt und beobachte die beiden. Als Jonah sie sieht, geht er auf sie zu und die beiden reden kurz miteinander. Mein Bruder grinst, aber sein Grinsen wirkt nicht so überheblich wie sonst, sondern fast schon ein wenig verunsichert. Ich erwische mich dabei, wie sich mein eigener Mund zu einem Grinsen verzieht. Selbst aus dieser Entfernung kann ich erkennen, dass das Mädchen hübsch ist. Mein kleiner Bruder ist ja ein richtiger Fuchs.

Schließlich wird das Mädchen von einer älteren Frau gerufen, die etwas jünger als meine eigene Mutter zu sein scheint, und geht, nachdem sie meinem Bruder und Nate zum Abschied zugewunken hat. Als Jonah sich umdreht, um in den Ring zu steigen, sehe ich, dass seine Wangen rot sind und ich muss innerlich kreischen. Mein kleiner Bruder ist das erste Mal verliebt!

Dieses Mal zwinge ich mich, die gesamte Stunde über nur in mein Buch zu schauen. Ab und zu werfe ich einen hastigen Blick in Nates Richtung, aber nie länger als drei Sekunden.

Auch von dem mysteriösen Mädchen, von dem mein Bruder mir erzählt hat, ist nichts zu sehen. Erleichtert atme ich aus. Vielleicht hat er sich das Ganze nur eingebildet? Vielleicht hat er eine sehr junge Mutter gesehen, die ihr Kind abholt und hat gedacht, dass sie Nates Freundin sei? Oder er wollte mich verarschen? Was es auch ist, ich hoffe, diese angebliche Freundin existiert einfach nicht.

Die Stunde zieht sich so sehr, dass mein Nacken ganz steif ist, als schließlich zwei Beine vor mir auftauchen. Ich muss in mich hinein grinsen. Erst jetzt fällt mir auf, dass mein Unterbewusstsein gehofft hatte, dass Nate nach dem Training zu mir kommen würde. So wie auch letzte Woche.

Mein Herz fühlt sich gleich viel leichter an, als ich den Blick hebe und in Nates intensive grau-grüne Augen blicke.

»Du schon wieder«, sagt er und obwohl seine Worte fast schon etwas harsch sind, klingt seine Stimme eher neckend als gemein. Er zieht die Stoßkissen aus, wirft sie neben die Bank auf den Boden und setzt sich wie auch letzte Woche wieder zu mir.

Ich verdrehe die Augen, muss mich aber zusammenreißen, nicht zu lächeln. In mir fängt es an zu kribbeln. »Meiner Mutter geht es immer noch schlecht.«

Nate hustet und lehnt sich schließlich zurück. »Echt?« Er mustert mich und ich bewundere seine dunklen, dichten Wimpern. »Jonah hat was ganz anderes erzählt.«

Mein Kopf wird augenblicklich rot. Ich spüre die Hitze, die mir ins Gesicht steigt, aber ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen und sage einfach: »Was auch immer er dir erzählt hat, er lügt.«

Nate tut so, als würde er über meine Worte nachdenken, aber wir beide wissen, dass ich diejenige bin, die lügt. »Hm, wenn du meinst.«

»Ich bin keine Stalkerin«, zische ich.

»Okay.«

»Wirklich nicht!«

»Okay.« Nate presst die Lippen aufeinander und ich könnte schwören, ich habe ihn ganz kurz schmunzeln sehen.

Ich werde wütend und meine Stimme lauter: »Verdammt, ich sage doch schon, dass ich dich nicht stalke!« Doch eine Sekunde nach meinem kleinen Ausbruch, schäme ich mich und spiele nervös mit dem Buch in meiner Hand herum und sage: »Ich wusste nicht, dass bei euch auch Mädchen trainieren können.«

Nate wirft mir einen seltsamen Blick zu. »Natürlich. Bei uns kann jeder trainieren.«

»Also dürfte ich auch?«

Er wirkt überrascht. »Hast du Interesse?«

Ich zucke mit den Schultern. »Es sieht... interessant aus.«

»Interessant?« Er scheint kurz nachzudenken, dann schaut er sich um, aber außer uns beiden ist niemand mehr hier. Die Jungs sind alle in den Umkleiden und unter den Duschen. Plötzlich steht er auf. »Komm mit.«

»Was? Wohin?«

Er nickt in Richtung Ring, hebt seine Stoßkissen auf und sagt mit einem skeptischen Blick auf mich: »Zieh die Schuhe aus und lass die Tasche hier.«

Zwei Minuten später stehe ich Nate im Ring gegenüber. Er hält die Stoßkissen vor sein Gesicht. Ich trage zum ersten Mal in meinem Leben Boxhandschuhe. Es fühlt sich seltsam an. Als wären sie nicht echt, sondern irgendeine billige Attrappe.

»Schlag zu«, sagt er.

»Was? Einfach so?«, frage ich. Mit einem Mal überkommt mich Unsicherheit. »Was ist, wenn ich dir wehtue?«

Er wirft mir einen ungläubigen Blick zu, sagt dann aber: »Mach dir keine Sorgen. Schlag einfach mit ganzer Kraft zu. Ich halte einiges aus.«

Ich atme tief ein und aus, halte die Fäuste vor dem Gesicht, so wie die Leute es in den Filmen immer tun. »Du hast es nicht anders gewollt«, rufe ich theatralisch, im selben Moment in dem ich auch aushole und auf eins der Stoßkissen ziele.

»Aua!« Ich verziehe das Gesicht ein wenig. Der erste Schlag hat mir mehr weh getan, als ich gedacht hätte, aber es ist nur halb so schlimm, wie ich zuerst erwartet habe. Der Schmerz hält nicht länger als zwei Sekunden an.

»Versuch die Beine weiter auseinander zu halten«, weist Nate mich an. »Weiter in die Hocken«, fügt er hinzu, als ich tue, was er sagt und ihm einen fragenden Blick zu werfe. »Die Arme höher. Die Ellenbogen nicht so angewinkelt.« Er schleudert mir eine Anweisung nach der anderen ins Gesicht, während ich immer wieder auf ihn einboxe. Mit jedem weiteren Schlag fühlt es sich besser an. Und irgendwann bin ich so kaputt, dass mein ganzer Körper vor Schmerzen schreit.

»Ich glaube das reicht fürs Erste«, meint Nate mit einem Zwinkern und einem unauffälligen Nicken nach rechts. Meine Augen folgen seiner Bewegung und ich bemerke meinen Bruder, der mit noch nassen Haaren neben dem Ring steht und uns beobachtet.

Ich laufe knallrot an und lasse zu, dass Nate mir die Boxhandschuhe aussieht. Seine Hände berühren meinen Arm und ich wusste bis dahin nicht, dass eine so einfache Berührung so ein seltsames Gefühl in mir auslösen könnte. Ich schüttele den Kopf und versuche das seltsame Gefühl abzuschütteln.

Sobald meine Hände frei sind, springe ich aus dem Ring, nehme Jonah bei der Hand und verabschiede mich von Nate, ohne ihn noch einmal anzusehen.

Und während ich zum Auto renne, hoffe ich nur, dass er das heftige Klopfen in meiner Brust nicht auch gehört hat.

Kickass [PAUSIERT] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt