Fansein - M.Yg

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Wörter: 1.162
Zeichen: 5.661
Absätze: 18
erstellt: 5.7.2018
bearbeitet: 1.11.18

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„Ich will ins Beeeeett" beschwerte ich mich in Jin's Schulter, der neben mir mit dem Deckel einer Wasserflasche und einem Plüschaffen spielte. „Siehst du, jetzt hat er einen Hut auf." Ich verdrehte die Augen. Normalerweise sitzt ein aufgedrehter Hoseok neben mir, der so viel Scheiße labert, dass ich überhaupt nicht dazu komme, an mein Bett zu denken. Zu Jin's Verteidigung muss man aber sagen, dass er auch nicht sonderlich fit schien. Selbst mir dreht sich der Magen um, wenn mir in den Sinn kommt, hier nach noch mal sechs Stunden an der Choreografie zu arbeiten. Wieso tanzen wir überhaupt noch, ich bin Rapper gottverdammt, ich gehöre ins Produktionsstudio.

Egal. Egal egal egal. Ich hab mir das alles hier ausgesucht und ich zieh das jetzt durch. Wieso bekomme ich immer Identitätskrisen, wenn ich müde bin? Ich sollte mir ein „Maul nich so rum, 95% der Zeit geht's dir gut, du Spast" auf beide Arme tätowieren, damit ich das nie wieder vergesse und den anderen nicht dauernd auf den Geist gehe. Nur noch ein Durchgang, dann sind wir durch und ich kann endlich, endlich, endlich schlafen und essen. Außerdem warten noch so viele halbfertige Songs darauf, fertig geschrieben zu werden.

Versteh mich nicht falsch. Ich liebe Fansigns. Ich liebe es, ARMYs zu sehen und mit ihnen zu reden. Ich würde es am liebsten jeden Tag für mindestens sechs Stunden tun, auch ohne diese ganzen komischen formellen Sicherheitsvorkehrungen, die mich nur davon abhalten, Dinge zu tun und zu sagen. Am liebsten würde ich jede Frage beantworten und jeden umarmen. Am liebsten würde ich einfach ganz normal mit jedem reden können. Am liebsten hätte ich einfach Zeit ohne Ende. Stattdessen muss jeder alles, was er sagen will, auf ein Minimum komprimieren und ich muss aussprechen, was derjenige hören will, weil es scheißschwer ist zu so einem Fanmeeting zu kommen und ich keinem eine ungenügende oder gar schlechte Erfahrung geben will. Obwohl ich es nicht will, habe ich also wie so oft das Gefühl, in eine Rolle gesteckt zu werden, mit der ich nichts anfangen kann. Trotzdem hörte ich jedem aufmerksam zu und stellte selbst ein paar Fragen.

Sie scheint die letzte für heute zu sein, mh? Fast geschafft. Mit versucht-wachem Blick suchte ich in ihren blauen Augen, was sie brauchte. Sie sieht nicht aus, als wäre sie hier geboren. Ist sie den ganzen Weg hier her zu uns gekommen?

„Wie muss ich dich eigentlich ansprechen?" Fragte sie mit ungewöhnlich tiefer Stimme in gebrochenem Koreanisch. Süß.

„Das überlasse ich dir. Such dir etwas Nettes aus." Ich nahm ihr das kleine blaue Buch aus der Hand, in das zuletzt Jin neben mir unterschrieben hatte, streifte den Gummiverschluss über den Rand und blätterte bis zu einer leeren Seite. In Hoseok's krakeliger Handschrift waren einige Herzchen auf die vorherigen gemalt. „Dann nehme ich einfach nur Yoongi, wenn das für dich okay ist." Ich nickte, während ich unterschrieb. „Gerne."

„Du siehst müde aus, Yoongi. Ich hoffe, du kannst dich bald ausruhen", merkte sie an, während ich ihre Hand nahm. Sie war die einzige, die meine schweren Augenlider bemerkt hatte, aber es ist nicht wirklich ein Geheimnis, dass ich ständig müde bin. „Wir dürfen bald schlafen. Versprochen", versicherte ich ihr, wollte aber nicht nur über mich reden. „Wer gefällt dir denn am besten von uns?" Fragte ich neugierig, aber auch routinemäßig. Jemand meinte mal zu mir, dass Leute gerne verraten, wer ihr Bias ist. Ist wohl so.

„Hm, das kann ich gar nicht wirklich sagen", antwortete sie mir schüchtern, sah mich aber dabei direkt an, „ich finde der Charakter eines Menschen ist das Wichtigste." Sie schenkte mir ein warmes Lächeln und ihre Wangen drückten ihre Augen zusammen. Ein bisschen erinnerte sie mich an Jimin. „Du hast recht. Geht mir genauso." Ich spielte ein wenig mit ihren Fingern in meiner Hand, bevor ich mir mit der anderen wieder meinen Stift nahm. Ihr Blick war so wach und klar, obwohl sie sicher früh aufgestanden sein und viel warten musste. „Und so gesehen...kenne ich euch ja gar nicht. Ich weiß ja nicht, wie du bist, wenn die Kamera aus ist."

Huh? Genau das sage ich zu den Jungs auch immer, wenn sie am Schwärmen sind?

Komischerweise schaffte sie es, ihre Finger aus meinen zu lösen und ihr Buch zusammen zu falten. Wieso war ich plötzlich so traurig darüber? Ich wollte es nicht. Geh nicht. Rede mit mir. „Aber ich würde wirklich gerne wissen, wer du bist." Sagte sie sanft mit einem weiteren ihrer Lächeln und zog ihr kleines Buch vom Tisch herunter. Ich will auch wissen, wer du bist.

„Dankeschön, Yoongi. Auch für die Songs, die ihr schreibt." Sie lächelte, aber ihre Stimme klang, als würde sie etwas zutiefst bereuen. Was verbirgt sich hinter dir? Erzähl's mir. „Damit werde ich weiter machen, bis mein Herz keine Energie mehr durch mich hindurchströmen lässt." Warum sage ich so etwas Schnulziges? Sei still!

Sie jedoch kicherte nur in ihren Ärmel.
Bevor sie noch einmal Luft holen konnte, um etwas zu sagen, wurde sie unterbrochen.
Der Ton im Hintergrund signalisierte, dass der Tag für uns alle heute vorbei wäre und ich mich für die Verabschiedung bereit machen müsste. Warum genau jetzt!

„Sarangh-" quietschte ich, fast wie von dem Ton kommandiert. Bevor ich den Satz beenden konnte, schlug ich die Hand auf meinen Mund. Was ist mit mir los, verdammt.
„Sag das nicht." Ermahnte sie mich mit dem Zeigefinger auf ihre lächelnden Lippen gelegt und kramte kurz darauf in ihrer kleinen Ledertasche. „Hier. Für dich."
Sie stellte mir etwas unscheinbar Winziges auf den Tisch und drehte sich um.

„Warte!"
Ich nahm mir keine Zeit, um es näher zu betrachten. Fast reflexartig schoss meine Hand über den Tisch und packte sie am Handgelenk. Oh fuck.

Erschrocken über meine Eigene Geste traute ich mich erst nicht, sie anzusehen. Nach etwa drei Jahren Stille hob ich den Kopf und schaute in das Meer ihrer Augen - ihr Blick zeigte Überraschung, jedoch wusste ich nicht genau, ob Positive oder Negative. Sie starrte mich lediglich erwartungsvoll an. Verständlich...nur musste ich jetzt auch was sagen. Shit. Ihr Mund war leicht geöffnet und es machte mich kirre.

Von allen Worten und Sätzen, die mir in den nächsten 0,3 Sekunden einfielen, entschied sich mein Kopf für „bis dann".
Innerlich ist meine Handfläche gerade auf meiner Stirn gelandet. Klasse gemacht. Wirklich.

Sie aber lächelte nur, nickte und drehte mir wieder den Rücken zu, bevor sie davon schritt. "Schreib mir zurück!" Rief sie mir freudig von etwa fünf Meter entfernt an meinen Tisch zurück. Wie denn!?

Wer war das? Habe ich sie überhaupt nach ihrem Namen gefragt? Bin ich eigentlich bescheuert?
Erst jetzt bemerkte ich, dass sie mir einen kleinen Siegelstempel auf den Tisch gelegt hatte. Keine Nachricht, keinen Zettel. Nur diesen Stempel mit Holzgriff. Was willst du mir sagen? Wie soll ich dir denn zurück schreiben!

Mit einem Blick, als ob ich gerade Holly zu Hause zurück lassen musste, sah ich ihr nach und wusste: Ich muss wissen, wie sie heißt. Ich muss wissen wer sie ist. Und Ich muss sie wieder sehen. Kein Zweifel.

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