Schlaf

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Bei jeder Umdrehung im Glas stieß der Löffel an und das Glas klang. Es war beinahe wie eine Totenglocke. Die Flüssigkeit darin war neblig weiß.

In ihrem Kopf drehte sich auch alles, wie in der Flüssigkeit. Es war alles zuviel gewesen in der letzten Zeit, die Ereignisse hatten sich überschlagen und waren wie eine Flutwelle über sie hereingebrochen. Nun war sie müde, todmüde. Sie wollte schlafen, lange schlafen.

Inzwischen hatte sich im Glas alles aufgelöst, so würde es einfacher sein, schneller gehen. Tabletten schlucken war ihr jedesmal schwergefallen.

Ihr Bruder war immer für sie dagewesen, hatte sich um sie gekümmert, ihr geholfen. Immer war er stark gewesen, hatte sie aufgefangen.

Bis das Schicksal gnadenlos zuschlug. Im Krankenhaus lag er schwach im Bett, blaß, quälte sich. Er wollte doch leben, aber er konnte nicht mehr, die Krankheit war stärker. Sie litt mit ihm, sie waren doch Zwillinge, er durfte sie doch nicht verlassen.

In seinem Sarg sah er wieder so zufrieden aus, es musste schön sein, wo er nun war.

Sie hatte ihren Bruder so sehr geliebt. Nun setzte sie das Glas an und trank es in einem Zug leer.

Auch der Schlaf hatte einen Bruder.

Sein Bruder war der Tod...

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