AnnE and Gilbert

2. Palast

"Mit mir ist nichts. Ich wollte nur so gerne wieder an dieser bezaubernden Runde teilnehmen." Ehrlich gesagt war das gar nicht geflunkert, ich will wirklich wissen wie es bei der Geschichte von Diana weitergeht. Mein Blick geht nach rechts zu Ruby, diese wickelt sich eine ihrer prächtigen goldenen Haarsträhnen um den Finger. Ich lächle sie begeistert an. "Also wie geht es weiter?" Frage ich aufgeregt,  stütze meine Ellenbogen auf meine Oberschenkel und lege mein Kinn auf meine Handflächen. Diana lächelt, aber als sie gerade weiter reden wollte, schaut sie zu meinen Sachen. "Wolltest du nicht Milch holen?" Als ich diesen Satz aus ihrem Mund höre, konnte ich nicht anders und klatsche mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Was war denn mit mir los? Es ist so, als würden meine normalen Charakterzüge heute von meiner vergesslichen Ader zurückgehalten werden.

"Aber wenn du nicht draußen warst um deine Milch zu holen, was hast du dann gemacht?" Fragt mich Ruby. Jetzt war es zu spät. Ich muss ihnen von meiner Unterhaltung mit Gilbert erzählen, obwohl ich es Ruby ersparen wollte. Plötzlich spüre ich einen kalten Luftstoß und bemerke wie das Laken, welches uns eigentlich von der Klasse abgrenzen sollte, zu Boden fällt. "Die Pause ist wohl vorbei." Höre ich hinter mir jemanden sagen. Erleichtert erhebe ich mich und bring zusammen mit den anderen meine Sachen zurück. Scheint als wäre das Schicksal heute auf meiner Seite.

Nach der Schule gehe ich mit Diana aus dem Gebäude, nachdem ich mich von den Anderen verabschiedet habe. Wir beschließen uns heute wieder zu dritt im Wald zu treffen, um unser zweites Zuhause wieder aufzubauen. Ich gehe gerade mit Diana über den Hügel, der von der Schule zum Weg führt. "Ich finde wir sollten unseren neuen Palast im Wald auch irgendwann Cole zeigen." Werfe ich ins Gespräch ein und lächle Diana an. "Natürlich sollten wieder das. Aber erst wenn er fertig ist." Meint Diana und in meinen Gedanken male ich mir schon alles aus. "Wenn was fertig ist?" hören wir plötzlich eine Stimme hinter uns. Diana dreht sich überrascht um, ich hingegen konnte mir genau vorstellen wer da auf uns zukommt. "Hallo Gilbert." Höre ich die freundliche Stimme von Diana neben mir. Sie bleibt stehen, was ich ihr gleich tue und mich letztendlich auch umdrehe.

Gilbert steht nun genau vor uns und lächelt wieder sein kleines schiefes Grinsen. "Schönen Tag auch euch." Bei diesem Satz schaut er ausgesprochen lange in meine Richtung, wobei ich mir langsam unwohl vorkomme. "Können wir weiter, Diana? Der Hof für unseren Palast wartet nicht auf uns." Meine ich und schweife wieder in meine Gedanken ab. " Doch genau das tut er, Anne." Sagt Diana deutlich und holt mich so in die Unterhaltung zurück. "Welcher Palast?" Fragt uns Gilbert und schaut mich dabei interessiert an. "Kein Palast." Erklärt Diana. "Also?" Fragt Gilbert erneut, scheint aber keinesfalls genervt zu sein. Stattdessen lächelt er wieder in meine Richtung, wobei ich mich wieder unter Druck fühle. Trotzdem schaue ich ihn auch in die Augen. Eins muss man ihn lassen, immer wenn ich ihn in die Augen schaue bin ich von diesen fasziniert. Aus den Augenwinkeln sehe ich Diana komisch grinsen und schaue schnell weg. "Das geht dich nichts an, Gilbert Blythe." Meine ich nun und ziehe Diana am Arm mit mir den Weg entlang.

"Schade, denn wie ich gehört habe ist euer Palast noch nicht fertig und ich könnte euch durchaus dabei helfen." Höre ich ihn noch das letzte mal rufen, bevor Diana und ich schon zu weit vorgeschritten waren.

An der Kreuzung angekommen umarme ich Diana und lächle sie an. " Du wirst schon sehen, unser Palast wird wunderbar auch ohne Gilbert." Meine ich aufmunternd und sie schaut mich nur mit einem Blick an, denn ich nicht deuten kann. "Anne, sei mir nicht böse. Aber Gilbert könnte durchaus eine große Hilfe sein und du weißt genauso wie ich das der Palast nicht wieder so wird wie früher." Meint sie mit den Blick auf den Boden. "Wir können gerne unseren neuen Palast im Wald mit Gilbert teilen, aber wir kriegen den jawohl ohne ihn gebaut." Meine ich und werfe dabei die Hände in die Luft. "Ok." Sagt Diana, bis wir uns verabschieden und jeder seinen Weg nach Hause geht.

Kurz bevor ich die Tür öffne, beende ich das einseitige Gespräch mit den wunderschönen Marienkäfer und wende mich der Gegenwart zu. In der Küche treffe ich auf Marilla, welche ich fröhlich hüpfend begrüße. "Du brauchst nicht wie ein gestochener Marienkäfer herumzulaufen, du kannst mir besser mit dem Essen helfen." Sagt Marilla mit einem leicht genervten Unterton. "Gerne Marilla." Antworte ich fröhlich und stehe keinen Moment später neben ihr und gehe ihr zur Hand. "Ich werde heute mit Matthew in die Stadt gehen. Ich möchte das du solange bei Diana unterkommst. Ich habe mit Dianas Mutter schon darüber gesprochen." Als ich das höre, lasse ich die Hände vom Essen und umarme Marilla lächelnd. Kurz zuckte sie überrascht zurück, bis sie ihre Arme auch um mich legte. Dadurch drückte ich mich nur noch fester an sie. "Was ein wunderbarer Tag, nicht wahr Marilla? Außer ein paar unangenehmen Momenten." Den letzten Satz murmle ich eher zu mir selber.

Ich kann es kaum erwarten Diana wieder zusehen. Als war nach gefühlten Stunden endlich da waren, sprang ich förmlich von der Kutsche. " Nicht so hastig, Anne." Meint Marilla und hielt mich am Arm zurück. Ich nicke grinsend und gehe diesmal langsam mit Marilla Richtung Tür.

Dianas Mutter öffnet uns die Tür. "Schönen guten Tag." Begrüße ich sie und sie nickt kurz und geht dann einen Schritt zur Seite. Langsam aber voller Freude gehe ich an ihr vorbei. "Sie sind im Wohnzimmer." Ich danke ihr und gehe danach hastig Richtung Wohnzimmer. Mit sie meint sie wahrscheinlich Diana und ihre kleine Schwester.

Im Wohnzimmer angekommen, sehe ich zuerst eine strahlende Diana und umarme sie heute zum dritten Mal. "Ich hoffe du findest es nicht so schlimm." Meint sie plötzlich und noch bevor ich fragen konnte, was sie meint, erblicke ich eine andere Person im Raum, welche deutlich größer ist als Dianas Schwester. "Guten Tag, Anne."