9. Veränderungen

564 18 2
                                    

"Danke."

Ihre sanfte Stimme lässt meinen Blick hochfahren und erneut fesseln mich ihre Augen.

"Für dich immer."

Ein warmes Gefühl löst sich in mir, als ich ihr leichtes Lächeln sehe. Für ein paar Minuten schauen wir uns nur in die Augen und am liebsten würde ich erneut nach ihrer Hand greifen, aber ich kann mich beherrschen.

So schnell, wie sie ihre Hand das letzte Mal weg gezogen hat, kann sie nichts von mir wollen.
"Gute Nacht, Anne." Sie schaut mir ein letztes Mal in die Augen und kurz darauf, sehe ich nur noch ihre Gestalt durch das Tor gehen.

Auf einmal höre ich ein Flüstern:
"Gute Nacht, Gilbert."
Ein Lächeln bildet sich auf meinen Lippen, obwohl sie sich nicht erneut umdreht, reicht mir ihre Antwort.

-----------------------------------------------------

Alle greifen bereits nach ihren Büchern, um gleich so schnell wie möglich zu gehen. Doch Miss Stacy schaut ein letztes Mal mit einem breiten Lächeln durch die Gruppe. Sie schnappt ein Stappel Blätter vom Pult.

"Ich habe wunderbare Neuigkeiten. Wie ihr wisst, ist bald Weihnachten und ich muss zugeben, dass ich ein großer Liebhaber der Adventszeit bin. Deswegen..." Mit einem breiten Lächeln erhebt sie nochmal die Stimme. "...werden wir eine kleine Feier machen! Mit allen drum und dran, also Gästen, Weihnachtsliedern und Keksen." Die Jungs neben mir fingen an drauf los zu reden, genauso wie die Mädchen. In meinen Augen ist eine Weihnachtsfeier nichts besonderes, passiert hier ja schließlich gefühlt jedes Jahr.

Stattdessen etwas neues zu feiern, zwar die Weihnachtstraditionen bewahren, aber es gibt so viele erlangene Errungenschafen, die ein Fest verdienen. Eines Tages schaffe ich es vielleicht etwas zu erreichen für das sich eine Feier lohnt.

Automatisch wandert mein Blick nach links und der Rotschopf freut sich anscheinend genauso, wie die anderen. Wenn nicht, sogar noch mehr. Unterbewusst fange ich an zu grinsen und schau ihr dabei zu, wie sie aufgeregt mit den Händen fuchtelt und eifrig mit Diana redet. Erst eine Hand, die sich von hinten auf meine Schulter legt, zieht mich in die Realität zurück.

Die grünen Augen von diesem möchtegern Macho auf zwei Beinen, fokussierten meinen Blick. Augenblicklich spannte sich alles in mir an, was ich mir aber nicht anmerken lasse. Diese Genugtuung muss ich diesem Taugenichts nicht auch noch geben. "Was willst du?" Ich zwang mich zu einem gekünstelten Lächeln, während er breit grinsend seine Zähne zeigt.

Annes Sicht

Plötzlich vernahm ich ein gefährliches Zischen oder fast schon ein Knurren rechts von mir. Ohne darüber nachzudenken drehe ich mich in die Richtung und hielt den Atem an. Wie kann es auch nicht anders sein? Natürlich müssen Alexander und Gilbert sich gegenseitig provozieren. Unerwartet fing ich an zu grinsen.

Die beiden halten mich nicht davon ab, das Weihnachtsfest zu lieben, schon fast zu vergöttern. So viele Bücher haben mir bereits verschiedene Einblicke in Weihnachtswunder ermöglicht. Vielleicht wartet dieses Jahr ein kleines Wunder sogar auf mich.

Die anderen Jungs blickten genau wie ich gespannt auf die Beiden, während ich die Mädchen weiterhin über Kekse und Kleider flüstern hörte. Lediglich Diana schien neugierig und flüsterte mir ins Ohr: "Was ist denn bei den Beiden los? Ich sage dir, wenn Blicke töten könnten, wäre Alexander schon längst nicht mehr unter uns." Ich fing an zu kichern. Dabei konnte ich ihr nur Recht geben.

Mit diesem Blick will niemand angesehen werden. Auch die anderen Jungs wagten es nicht sich einzumischen oder auch nur einen dummen Spruch abzugeben. Sogar Billy schien sich deutlich in seinem Stuhl zurückzuziehen. "Naa Blythe. So heißt du doch, oder? Hat es dir die Sprache verschlagen." Die neckende Stimme und das breite Grinsen ist nicht zu übersehen, während er mit den Armen, nach vorne gebeugt, da sitzt.

Zum ersten Mal wage ich ein Blick zu Gilbert und bereue es gleich wieder. Seine Kiefermuskeln treten nur so hervor und seine Hände sind zu Fäusten geballt. Auf seinen Armen erkennt man die herausstechenden Adern, als er seinen Blick für einen Moment abwendet. Dann passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte, er fing an zu lächeln. Es war gekünstelt, keine Frage, aber er zwingt sich tatsächlich zu einem Lächeln und blickte Alexander direkt in die Augen.

"Freu dich nicht zu früh." Seine plötzliche gelassene Ausstrahlung ist nicht zu übersehen, aber seine Worte waren nur ein böses Knurren, was mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Seine tiefe Stimme hallt noch jetzt in meinen Kopf über und Alexander zuckt nicht unmerklich zusammen. Für einen kurzen Moment, erkannte man so etwas wie Angst und Respekt in seinen Blick, bis an diese Stelle wieder ein Grinsen trat.

Gelassen und mit verschränkten Armen vor der Brust lehnt er sich in seinem Stuhl zurück. Ein letztes erhaschtes Lächeln von ihm und mein Fokus wandert zurück zu Miss Stacy.

-----------------------------------------------------

Bereits von weitem erkenne ich mit einem Lächlen auf den Lippen Matthews grauen Haarschopf versteckt unter seinem braunen Hut. Mit den Stiefeln tief im Matsch auf unserem Feld hebt er zum Gruß die Hand, als er mich erkennt.

Ich konnte mich nicht halten, hüpfend sprang ich über unseren Hof, hinauf zur Haustür. Der bloße Gedanke an Weihnachten, ließ mich strahlen, was mich einem Fremden gegenüber wahrscheinlich, als verrückt erscheinen ließe.

Doch Marilla schien lediglich gestresst, als ich sie in der Küche erblickte. Vom Schrank zur Feuerstehle lief sie umher, die Hände im Teig eines Brotes, würde ich jetzt glatt vermuten.

"Marilla? Kann man dir irgendwie helfen? Und ist es jetzt ein schlechter Zeitpunkt dir von der aufregenden Neuigkeit zu erzählen?" Besorgt, aber glücklich schaue ich zur herumlaufenden Marilla, in der Hoffnung einen Moment Aufmerksamkeit ihrerseits erhaschen zu können. Keine Chance.

"Ich....kaann..gerade nicht, muss.. erst das Brot für die neunen Nachbarn... fertig haben." Ihr Blick schweift kurz zu mir und mein Grinsen verblasst. "Neue Nachbarn?"

"Ach Mädchen denk doch einmal kurz nach und nutz deinen Verstand nicht ausschließlich für deine Fantasiegeschichten." Leicht gekränkt, aber in dem Wissen, dass nichts davon ihrer wahren Meinung entspricht, fing ich kurz an zu denken. Natürlich! Sie muss Alexander meinen!

"Du sitzt doch mit deren jüngsten Kind zusammen im Unterricht, wenn es mich nicht täuscht. Dann kannst du mir ja auch Gesellschaft leisten beim Besuch abstatten." Ein kleines erleichtertes Lächeln bildet sich auf ihrem Gesicht, als sie das Brot beiseite schiebt und sich den Schweiß von der Stirn wischt.

"Ähmm die Möglichkeit ist da, das ist richtig. Aber ob das die beste Idee ist weiß ich nicht so recht.."
Überforderung stand förmlich auf meiner Stirn geschrieben, beim geschockten Betrachten des Brotes.

"Ach hab dich nicht so. In einer Stunde gehen wir los."

Und so kam es, dass ich mich mit einem Geschenkkorb neben Marilla auf dem Weg zu den neuen Nachbarn befinde. Das kann interessant werden.

AnnE and Gilbert Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt