Ich starrte ihn an.
„Shiva?", fragte ich, auch wenn das, was da vor mir stand, ganz offensichtlich kein Mädchen war.
„Fast", erwiderte er. „Shivan. Darf ich mich setzen?"
Ich nickte, mit meinem Blick verfolgte ich wie er den Stuhl zurückzog und sich niederließ.
Sein Haar war braun und zu einem Knoten hinten an seinem Kopf gebunden, während die Seiten auf ein paar Millimeter ausrasiert waren. Ich schaute ihm ins Gesicht, registrierte sein nervöses Lächeln und dass er auf seiner Unterlippe herumkaute. Zwischen seinen Augenbrauen war eine blasse Narbe auszumachen, stellte ich fest, während mein Gehirn noch immer nicht verstehen wollte, was hier vor sich ging. Unverhohlen starrte ich ihn an.
„Und? Wie war deine Fahrt?"
Seine Hände lagen auf dem Tisch und er krampfte sie so fest ineinander, dass seine Fingerknöchel weiß anliefen.
Ich antwortete nicht. Stattdessen holte ich mein Handy heraus, um Syl mit zitternden Fingern eine Nachricht zu schicken.
Sie ist da, tippte ich, auch wenn er gar keine sie war. Syl hatte von Anfang an Recht gehabt, verdammte Scheiße. MissMolotov hatte mich verarscht. War das hier jetzt sein Triumph?
„Miss Molotov", schaffte ich hervorzubringen. Meine Stimme klang vorwurfsvoll, das hörte ich und war stolz drauf. In meinem Inneren war nämlich nichts als Chaos.
Sein Lächeln verschwand und er senkte den Blick auf seine Hände. Verkrampfte sie fester.
„Ja", sagte er dann so leise, dass ich ihn über die Hintergrundgeräusche des Cafés hinweg kaum verstehen konnte. Über klirrende Kuchengabeln, leises Gerede und Gelächter und das Schlabbergeräusch der Hundezunge im Wasser. „Ich weiß. Tut mir leid."
Er sollte sich jetzt mal nicht in die Opferrolle stellen, immerhin hatte er mich verarscht.
„Macht dir das Spaß?", fragte ich.
Er blickte auf, schaute mich erschrocken an.
„Was?"
„Na, irgendwelche Leute im Internet zu verarschen."
„Nein, nein, das wollte ich überhaupt nicht. Zumindest dich wollte ich nie verarschen."
Wieder senkte er seinen Blick.
„Hast du aber", stellte ich fest. Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme, damit ich meine zitternden Finger verbergen konnte.
Was tat ich hier? Wieso ging ich nicht einfach?
„Tut mir leid", wiederholte er ohne aufzusehen. „Das ist ganz blöd gelaufen. Ich hab mir den Account zum Spaß gemacht und, ja gut, vielleicht wollte ich andere damit verarschen, dass ich mich als Frau ausgebe. Aber nach einer Weile ..." Jetzt hob er den Blick und schaute mich an. „Ich ... Mit dir zu schreiben war echt schön. Irgendwie ... Dann hast du nach dem Treffen gefragt und ich wusste nicht, was ich tun soll. Deswegen hab ich auch nicht geantwortet."
Zum Ende hin wurde seine Stimme immer leiser.
„Du hättest sagen können, dass du kein Mädchen bist", warf ich ein.
Er nickte langsam, schaute auf seine Hände, dann wieder zu mir.
„Ich hatte Angst, dass du mich dann nicht mehr treffen möchtest", flüsterte er und senkte erneut den Blick.
Natürlich hätte ich ihn dann nicht getroffen. Von vorne bis hinten hatte er mich angelogen, die ganze Zeit. Syl hatte es gewusst und ich Trottel hatte ihm nicht geglaubt. Scheinbar gab es wirklich keine Frauen im Internet.
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Im Internet gibt es keine Frauen
Roman pour AdolescentsIm Internet gibt es keine Frauen. Das ist allgemeingültiges Wissen und auch Denny, der leidenschaftliche Call of Duty-Spieler, ist sich dessen bewusst. Aber als er online die geheimnisvolle MissMolotov kennenlernt, wirft er alle guten Vorsätze über...