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Schwer atmend kam ich zum stehen.
Der holprige Kiesweg unter mir war schon vor einiger Zeit in moosigen Waldboden übergegangen und die Luft war eindeutig frischer geworden. Sanfter Wind strich durch die Bäume und striff mit kühlen Fingern über meine glühenden Wangen.
Der Wald war für mich die beste Lösung gewesen, um Lucian abzuhängen, jedoch hatte bei diesem Vorhaben auch sein Lycanthropenfreund in Wolfsgestalt geholfen, der ihn über den Haufen gerannt hatte.
Dennoch war ich weitergelaufen, nicht nur, um ihm zu entfliehen, sondern auch der Szene, die sich unweigerlich wieder in meine Gedanken schlich.
Tara, die sich fast schon gegen ihn schmiegte und ihn verträumt anlächelte, während er nur Augen für sie zu haben schien.
Es tat weh, zu wissen, dass sie ihm sogar jetzt schon näher sein konnte als ich, und es tat weh zu wissen, dass dafür ich allein die Schuld trug.
Weil ich immerzu vor ihm flüchtete.

Meine Augen hatten verdächtig zu brennen angefangen und mein Herz zog sich krampfhaft zusammen. Fast hatte ich Angst, es würde gänzlich aufhören zu schlagen.
Schwer atmend lies ich mich mit dem Rücken gegen einen Baum sinken und an dessen rauen Rinde, die hart in meinen Rücken bohrte, hinab gleiten. Inzwischen versuchte ich mich auf meine Umgebung zu konzentrieren, nur um diese ganzen Gefühle in den Hintergrund zu drängen.
Irgendwie schaffte ich es, das Wasser, dass sich in meinen Augen sammelte, wegzublinzeln und rieb mir stattdessen über die Stirn.
Mein Blick fiel auf die schwarze Arzttasche, die unachtsam im Moos vergraben lag.
Verflixt! Hektisch packte ich den dunklen Stoff, raffte mich auf, wischte mir eine verirrte Träne aus dem Augenwinkel und raste dann los. Eigentlich war ich nur aus dem Haus gekommen, da es einen Notfall bei Michael, einem Lycanthropen in meinem Alter, gab.

Mit fliegenden Schritten näherte ich mich der Rudelsiedlung und huschte flink durch die Abkürzungen, die ich mit der Zeit verinnerlicht hatte. Leicht ausser Atem kam ich an dem Haus an und klopfte mit verwehten Haaren an der dicken Holztür vor mir.
Keine Sekunde später flog diese auf und ein besorgtes Gesicht blickte mir entgegen. Es gehört zu Merlinda, Michael's Mutter, die bei meinem Anblick angespannt ausatmete.
"Kamaria, endlich bist du hier. Michael hat sich verletzt und irgendwie will seine Wunde nicht heilen, ich weiss garnicht was ich noch tun soll und..."

Ich hob die Hand, um ihren panischen Redefluss zu stoppen und deutete ins Haus. Sie schien zu verstehen, denn sie trat zurück in den Gang und führte mich hektisch in das lichtdurchflutete Wohnzimmer.
Dort lag Michael, zusammengekauert mit dem Rücken auf der Couch. Seine rechte Hand hatte er sich auf die linke untere Bauchseite gepresst und augenblicklich schlich sich der eisenhaltig schwere Geruch von Blut in meine Nase. Er vermischte sich mit einem kaum merklichen Gestank nach Schwefel. Hätte man nicht gewusst, was das hieß, hätte man es nicht einmal bemerkt.
Ich jedoch wusste nur zu genau, was es bedeutet.

Verbissen lies ich mich neben der schwarzen Couch nieder und stellte die Tasche neben mich.
Es kostete mich einiges an Überwindung und guten Gedanken, um mit zittrigen Fingern Michael's Hand zu umschließen. Er konnte mir nichts tun, er würde mir auch nie etwas tun. Ganz ruhig, Kamaria.
Michael stöhnte gequält auf, während ich seine Finger von seinem Bauch zog und schnellstmöglich neben seinem verkrampften Körper ablegte.
Mit spitzen Fingern zog ich den Saum seines blutverklebten Shirts nach oben und legte damit die Bauchwunde frei.
Wie vermutet hatte sich ein dunkler, leicht purpurner Rand darum gebildet.

Ohne den Blick von seinem Bauch zu nehmen kramte ich einen Block und einen Kugelschreiber aus meiner Arzttasche hervor und kritzelte schnell einige Anweisungen an Merlinda, die mit ringenden Händen am Kopfende der Couch wartete, darauf.
Diese eilte gleich darauf los.
Vorsichtig striff ich mir Handschuhe über, um den Kontakt mit dem Gift zu vermeiden. Jetzt musste es schnell gehen.
Merlinda hatte mir mittlerweile eine Schüssel mit Eiswasser, ein raues Handtuch und zwei Kamillenteebeutel gebracht.
Sorgfältig benetzte ich Michaels Haut mit dem kalten Wasser und rieb mit dem Tuch über die dunkel verfärbten Wundenränder, auch wenn ihn das dunkel aufknurren lies. Seine Zähne hatten sich merklich zugespitzt und ragten über seine blutigen Lippen hinweg.

Moonlight - Das Schweigen der Wölfin | #Pessi - Award2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt