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Ich hatte wieder vor dem prasselnden Kaminfeuer Platz genommen und drehte nun das kleine Buch in meinen Händen.
Es war kaum größer als 15 Zentimeter und der Einband, der im Schein der züngelnden Flammen eine rötliche Farbe annahm, fühlte sich unter meinen Fingerkuppen erstaunlich weich an.
Vorsichtig löste ich den Gummi, der die blanken Seiten geschlossen hielt, und klappte den Buchdeckel auf.
Es sah aus, wie ein Skizzenbuch, nicht karriert oder liniert.
Und auf der ersten Papierseite stand etwas in geschlungenen Buchstaben geschrieben.

Nur, weil du nicht mit mir redest heißt das nicht, dass wir nicht kommunizieren können.
Ich will wissen, was in dir vorgeht.
Und ich will, dass du mir vertrauen kannst,
Bambi.

~Lucian

Ich schluckte hörbar, während meine Fingerspitzen über das beschrieben Papier strichen.
Er versuchte wirklich, mich kennenzulernen und diese Absicht erschwerte es mir immer mehr, ihn von mir fern zu halten.
Aber ich wollte ihn nicht in meine Probleme mit hineinziehen, wollte ihm nicht meine Vergangenheit und gebrochene Gegenwart zumuten.
Wollte ihm nicht zeigen, was mich meiner Worte beraubte und verstummen lies.
Denn soetwas würde ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind wünschen.

Unterbewusst hatte ich meinen Ärmel nach oben geschoben und fuhr die längliche Narbe an meinem Handgelenk nach. Sie war nicht zu übersehen, nur langärmlige Oberteile konnten diese Teile meines Körpers verdecken.
Direkt darunter hatten sie mich gezeichnet.
Es waren drei unscheinbare Linien, die nach unten hin zusammen liefen.
Jede von ihnen hatte eine besondere Bedeutung.
Jagen - Studieren - Eleminieren.
So wurde es mir - uns allen - immer wieder eingebläut.
Meine Erinnerung an diesen dunklen Ort wurde jäh durchbrochen, als ich die Haustüre zufallen hörte.

Schnellstmöglichst zog ich meinen Ärmel wieder über mein Handgelenk und drehte gerade rechtzeitig den Kopf zum Türrahmen, um meinen Vater das Zimmer betreten zu sehen.
Seine ganze Haltung strahlte pure Erschöpfung aus, in seinen Augen spiegelte sich Verzweiflung wieder.
Sie waren also auf keine Lösung gekommen, so wie alle diese Rudel vor uns, die dem selben Problem entgegen geblickt hatten.
Jetzt existierte keines von ihnen mehr.

Langsam erhob ich mich und legte das Buch auf die Couchpolster hinter mich.
Mein Vater sah mich nicht an, sein Blick haftete auf dem Kaminfeuer, welches tanzende Schatten in sein Sorgenzerfurchtes Gesicht zeichneten.
Ich konnte ihm nicht helfen, dafür wusste ich selbst nicht gut genug über diese Organisation bescheid. Sie verstanden es, ihre Machenschaften im Geheimen zu halten.

Das einzige, was ich tuen konnte, war, ihm zu zeigen, dass er nicht alleine war.
Dass wir das zusammen schaffen würden, egal wie. Unser Rudel, unsere Familie, würde nicht zugrunde gehen.
Also tat ich etwas, was wir beide in diesem Moment nicht erwartet hätten.
Ich trat an ihn heran und legte nach kurzem Zögern sanft meine Arme um seinen Oberkörper.
Auch wenn mein Herz bei diesem Körperkontakt seinen Takt augenblicklich erhöhte, machte ich mir klar, dass ich hier meinen Vater umarmte.

Der, der mich bedingungslos liebte und mich nicht verletzten würde.
Allmählich schien er seine Überraschung zu überwinden, denn langsam hob er ebenfalls seine Arme und legte sie federleicht um mich, damit ich jederzeit zurücktreten konnte.
Ich spürte, wie ein leiser Ruck durch seinen Körper ging und konnte ihn leise Schniefen hören.
Mein Vater weinte. Stumm drückte er mir einen Kuss auf die Stirn und ich entfernte mich wieder etwas von ihm, blickte in sein Gesicht, über welches einzelne Tränen kullerten.

"Danke, Schatz."
Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und atmete tief durch, bevor er ein müdes Lächeln aufsetzte.
"Ich lege mich jetzt hin, ok? Morgen werde ich dir mehr erzählen."
Ich nickte leicht und blickte ihm besorgt hinterher, wie er schleppenden Schrittes das Wohnzimmer verlies und in sein Zimmer verschwand.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 26, 2019 ⏰

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Moonlight - Das Schweigen der Wölfin | #Pessi - Award2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt