Kapitel 4

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Kurz darauf hält der Zug an und ich werde direkt in ein sogenanntes Erneuerungsstudio gebracht, indem schon Venia, eine Frau mit blauen Haaren und goldenen Tattoos, Octavia, eine eher rundliche Frau mit blasser, hellgrünen Haut und Flavius, ein Mann, mit orangefarbenen Korkenzieherlocken und lila Lippenstift auf mich warten. Ich denke mir gleich, dass sie aus dem Kapitol kommen, womit ich auch Recht habe, wie sich kurz darauf herausstellt. Die drei sind nämlich mein Vorbereitungsteam, das mich für die Eröffnungsfeier heute schon so weit vorbereiten soll, dass Cinna, mein Stylist, mir später nur noch das Haar frisieren, das Make-Up machen und das Kostüm anziehen muss. Dafür reiben sie mich mit einem körnigen Schaum ein, der ziemlich weh tut. Es fühlt sich so an, als ob mir die ganze Haut abgezogen wird. Aber das soll nur den ganzen Dreck aus Distrikt 12 entfernen.

Von den Gesprächen, die sie mit ihrem komischen Kapitol Akzent führen, finde ich heraus, dass sie den Tributen als Erstes normalerweise noch die ganzen Haare, die irgendwo am Körper wachsen (außer die am Kopf natürlich) wegmachen. Ich überlege kurz, wieso sie das bei mir nicht gemacht haben, aber es liegt wahrscheinlich daran, dass ich erst zwölf Jahre alt bin und dementsprechend wenig Körperbehaarung habe. Oder es liegt daran, dass ich blond bin und dass man die Haare deshalb nicht sehen würde, selbst wenn ich welche hätte. Naja, wahrscheinlich liegt es an beidem.

Das bringt meine Gedanken auf Katniss. Bei ihr hätten die drei bestimmt eine Menge zu tun, so viele Haare, wie sie hat, denke ich teils belustigt und teils sehnsüchtig.
Denn auf einmal kommt das Gefühl zurück, das ich schon die ganze Zeit versucht habe zu unterdrücken. Ich habe Heimweh. Ich vermisse Katniss. Ich vermisse meine Mutter. Ich vermisse meinen Kater Butterblume und ich vermisse meine Ziege Lady. Ich will einfach nur nach Hause. Dummerweise kann ich das hier unter diesen Umständen schlecht sagen. Also presse ich nur meine Lippen zusammen und halte meine Tränen, so gut es eben geht, zurück, und versuche zu ignorieren, dass drei wildfremden Menschen an mir herumhantieren, als ob ich eine Puppe wäre. Die sind übrigens gerade dabei meine Nägel in eine gleichmäßige Form zu bringen.
Danach sind sie wohl fertig, denn sie betrachten zufrieden ihr Werk und Flavius meint ganz begeistert: "Kommt, wir rufen Cinna!". 

Kurz nachdem die drei aus dem Raum gerannt sind, kommt auch schon ein junger Mann herein. Das muss Cinna sein! denke ich sofort, obwohl er überhaupt nicht so aussieht, wie ich es mir vorgestellt habe. Gar nicht so komisch und künstlich wie die anderen Leute hier. Im Gegenteil! Seine kurzen, braunen Haare sind nicht gefärbt und im Gegensatz zu meinem Vorbereitungsteam trägt er keine seltsamen Klamotten, sondern lediglich ein schlichtes, schwarzes Hemd und eine Hose. Nur an dem goldglitzernden Eyeliner, den er aufgetragen hat, kann man erkennen, dass er aus dem Kapitol kommt.

„Hallo Primrose. Ich bin Cinna, dein Stylist", sagt er mit ruhiger Stimme und sogar ohne den verrückten Akzent, den hier alle haben! „Hey", erwidere ich schüchtern. „Komm doch mit und wir plaudern ein bisschen.", schlägt er freundlich vor.

Ich nicke und folge ihm dann in einen kleinen Salon. Dort steht nur ein niedriger Tisch zwischen zwei roten Sofas und Cinna bietet mir an, mich auf eines zu setzen. Er selbst setzt sich gegenüber. Auf einmal springt die Tischplatte auf und unser Mittagessen wird auf einer zweiten Tischfläche hochgefahren. Es gibt Hühnchen und Orangenstücke in Sahnesoße einem Bett aus perlweißem Getreide, kleine grüne Erbsen und Zwiebeln, Brötchen in Blumenform und zum Nachtisch ein honigfarbener Pudding. Ich frage mich kurz, woher plötzlich das ganze Essen kommt, bis mir der Knopf, seitlich am Tisch, auffällt, den Cinna wohl gedrückt haben muss. Wie es wohl zu Hause wäre, wenn man nur auf einen Knopf drücken muss, um direkt die leckersten Sachen serviert zu bekommen, überlege ich, kann es mir aber einfach nicht vorstellen. Meine Mutter und ich sind darauf angewiesen, dass Katniss jagen geht. Bevor sie das getan hat, wären wir nämlich fast verhungert und ich kann mich leider noch gut daran erinnern, obwohl es schon mehrere Jahre her ist...

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