Kapitel 11 - Ein Leben ohne Liebe

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Cloves POV;

Cato wirkt angespannt. Man kann es ihm nicht ansehen, doch ich spüre die Spannung. Ich spüre, wie er sich versteift. Das Lächeln auf seinen Lippen wirkt für mich seit gestern nicht mehr echt. Nicht, seit ich seine andere Seiten kennenlernen konnte. Er lügt. Ich kann nicht sagen, wo er mit seinen Gedanken hängt. Ich habe auch keine Zeit dafür.

Die Parade zieht ihre Runden und ich winke. Mein eiskalter Blick schweift durch die Menge. Ich habe mich nach Cliffs Einverständnis dazu entschieden, nicht zu lächeln. Keinen auf nettes Mädchen aus dem kleinen Dorf zu machen. Weil ich das nicht bin. Weil ich das nie wieder sein will. Sie lieben uns, das weiß ich. Wir sind Gewinner. Im Kapitol sind wir Gewinner. Cato scheint durch den lauten Jubel aus seiner Trance gerissen zu werden. Unverblümt funkelt er mich an - er denkt, so würde ich das eben Geschehene vergessen. Sein Blick wandert dann zur Menge. Er winkt. Er lächelt. Cato lebt sein bestes Leben. Doch wie macht er das? Wie kann er diesen Schalter umlegen? Wieso kann er alle überzeugen, dass es ihm gut geht? Und wie lange übt er das schon?

Die Wagen werden langsamer, die Pferde halten an. Ein Stylist hilft mir vom Wagen runter, ich will seine Hilfe jedoch nicht annehmen und steige vom Wagen, ignoriere die helfende Hand, die er mir entgegenbringt. Cato springt vom Wagen und kommt mit einem schweren dumpfen Ton am Boden aus, alle Tribute blicken überrascht zu uns. Cato funkelt sie wütend an. Sein Gesicht verzerrt sich zu einem grausamen Lächeln, als er schließlich mit seinen Händen eine Geste macht, die eines Messerschnittes an einer Kehle gleichkommt. Verunsichert wenden sich einige Tribute ab, andere hingegen können nicht aufhören ihn anzustarren. Ich rieche ihre Angst. Ihre Hoffnungslosigkeit. Sie sind verloren. Sie haben bereits verloren.

Catos Blick gleitet nun zu mir. Ich bin unbeeindruckt. Ich fürchte mich nicht vor ihm. Das begreift auch er nun und es macht ihn rasend. "Was schaust du mich so an?", faucht er und geht einen Schritt auf mich zu. Ich weiche nicht zurück. Stattdessen beschließe ich, ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Den Kuss von gestern, der mir immer noch das größte Gedankenwirrwarr bereitet, heute gegen Cato einzusetzen. Vorsichtig gehe ich auf meine Zehenspitzen und beuge mich zu seinem Ohr hin, ehe ich mit leiser, aber selbstsicherer Stimme zu ihm spreche. "Ich habe keine Angst vor jemanden, der so küsst, wie du es tust." Herausfordernd lächle ich ihn an. Dann ziehe ich mich wieder zurück und gehe mit meinem Stylisten zurück, weg von der Parade, weg von dem verwirrten Cato. 

Sein Kuss war wunderschön, seine Hände wärmend und beruhigend, sie schenkten mir Geborgenheit. Jetzt, nach dem Kuss, weiß ich, dass auch er nur eine Fassade aufrecht erhält. Dass ich ihm nun nicht mehr egal sein kann. Ich weiß, dass ihn das ärgert und ich habe vor diese Karte auch noch mehrmals gegen ihn auszuspielen. Ich habe vor, seine Schwachstelle zu sein. Möchte, dass dieser Kuss ihn selbst ins Aus geschossen hat. Aber ich weiß, dass dem nicht so ist. Dass dieser Kuss in Wahrheit mich ins Aus katapultiert hat. Weil Cato mir nun nicht mehr egal sein wird. Weil er für immer mein erster Kuss sein wird. Und er bald sterben wird. Kein Mädchen sollte seinen ersten Kuss sterben sehen.

Ich hasse ihn dafür. Küsse waren mir nie etwas wert. Doch dann kommt Cato und küsst mich. Küsst mich, ohne mich zu fragen. Ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was das für mich heißen würde. Er küsste mich, nur damit ich meinen Mund halte. Weil er denkt, dass ich lüge. Er lässt mich alleine mit einer Erinnerung die doch plötzlich so viel bedeutet. Einen Meilenstein in meinem Leben, den ich bewusst zurückgestellt hatte. Bis nach den Spielen. "Nach den Spielen kannst du dich verlieben, Clove", hatte ich mir immer geschworen. Das hat mir meine Mutter immer gesagt. "Wenn du alt genug bist, um nicht mehr bei der Ernte gezogen werden können, dann darfst du dich verlieben. Aber doch noch nicht jetzt, Kindchen. Brich dir dein Herz nicht freiwillig." 

Meine Mutter ist eine Frau voller Angst. Angst vor dem Tod und noch mehr Angst vor dem Leben. Mein großer Bruder hatte sich verliebt, er war fünfzehn. Wir hatten uns alle so für ihn gefreut. Doch dann wurde Abigail zu den Spielen geschickt und starb. Das brach meinem Bruder das Herz. Er hatte sich nie davon erholt. Sein Wunsch, bei ihr zu sein, war so stark, dass er schließlich in den Minen einen Unfall verursachte. Mein Bruder starb, als ich neun war. Seit damals fürchtet sich meine Mutter. Sie hat Angst, mich würde das selbe Schicksal ereilen. Sie möchte, dass ich mich nach meinen Erntejahren in einen Jungen verliebe. In einer Welt, in der wir beide nicht zu den Spielen geschickt werden können. Sie will auch nicht, dass ich Kinder in die Welt setze. Sie möchte nicht, dass ich jedes Jahr um sie bangen möchte. Doch da muss sie sich nicht sorgen. Ich will keine Kinder. Der Tod meines Bruders schmerzt zu sehr, um Kinder in diese Welt zu setzen. Kinder, die vielleicht auch den Freitod wählen. Kinder, die mir das Herz brechen würden. Liebe bringt einen doch nur um.

Ich wähle bewusst dieses Leben, diese Einsamkeit. Und der Grund dafür ist simpel: Ich möchte nie wieder den Boden unter den Füßen verlieren. Ich will keinen geliebten Menschen mehr betrauern. Ich möchte nicht an einem gebrochenen Herzen sterben. Und ich werde mir mein Herz keineswegs von Cato brechen lassen. Das kann ich nicht.

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So, da ist wieder das erste Kapitel. Diesmal nur aus Cloves Sicht.

Das war mir wichtig, um Cloves Erinnerungen und Einstellung klar in der Vordergrund zu stellen.

Cato &' Clove - Forbidden Love (HG FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt