Kapitel 13 - Schlaflos im Kapitol

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Catos POV;

Ich sehe Clove nun schon seit fünf Minuten an. Beobachte sie dabei, wie sie in ihren Gedanken zu ertrinken scheint. Sie versinkt nicht, nein. Sie ertrinkt. Und das sehe ich. Nicht einmal meine Blicke kann sie auf sich spüren. Ansonsten hätte sie bereits wieder ihre Rolle der Eiskönigin eingenommen. Vorsichtig wäge ich die Situation ab. Ich kann sie einfach ignorieren. Nein, ich sollte sie sogar ignorieren. Doch selbst dafür wurde ich zu gut erzogen. "In Distrikt 2 sind wir zu allen nett und freundlich", meinte mein Vater immer.  Aber ich muss ihr widerstehen, dieser Neugier, was auch immer das ist.

Langsam erhebe ich mich und räuspere mich ein wenig verlegen. "Ich werd dich dann lieber alleine lassen", gebe ich so distanziert wie möglich bekannt. Clove hebt ihren Blick nun, lässt sich kaum anmerken, wie geistesabwesend sie eigentlich ist und nickt nur knapp. "Mir soll es recht sein." Ihre harten Augen durchbohren mich mit einer Kälte, die selbst mich überrascht. Mein Mund öffnet sich, es kommen jedoch keine Worte raus. Also schließe ich ihn wieder. Es dauert noch einige Sekunden, ehe ich meinen Blick von ihr lösen kann, aber dann verlasse ich den Raum. Begebe mich in mein Zimmer. Blicke aus dem Fenster. 

Die Leute im Kapitol sind Idioten. Mit ihren bunten Hüten und ihren ausgefallenen Kleidern. Sie sehen aus wie kleine Kinder, die in einen Farbtopf gefallen sind. Und ihre Sprache. Von der will ich gar nicht anfangen. Ich verachte sie. Sie machen sich ein schönes Leben mit all ihrem Geld, keinen Penny davon auch nur annähernd hart erarbeitet. Sie speisen wie die Könige, stolzieren herum als wäre das ihre Welt. Und doch ist keiner von ihnen außerhalb der sicheren Mauern ihres geliebten Kaptiols überlebensfähig. Sie sind Heuchler.


Cloves POV;

Ich weiß nicht, wie lange ich noch am Esstisch gesessen habe. Irgendwann hat Cliff mich jedoch so erstarrt vorgefunden, kalt und distanziert. Er hat mich mit einer Statue verglichen, nichtsahnend, dass ich doch so gerne eine wäre. Statuen ist alles egal. Sie sind kalt, aus Stein. Sie fühlen nicht. Sie atmen nicht. Sie sind einfach da, kreuzen stumm jedermanns Wege und doch tuen sie nichts. 

Schließlich hat Cliff mich weggeschickt. Er meinte, ich soll mich ausruhen, mich erholen. Es sei doch schon so spät. Und das Training würde vor morgen nicht anfangen. Und da sitze ich nun, stumm und mit einem leeren Kopf. Auf dem Rand meines Bettes - meines Kapitol-Bettes. Ein Avox-Mädchen war kurz hier. Sie hat die Kopfpolster aufgerüttelt. Diese will ich nun nicht mehr anfassen. Ich will nichts mit diesen Gestalten zu tun haben. Dennoch bemerke auch ich, wie mich langsam die Müdigkeit einholt. Unvermeidbar und doch ist sie da um mich einzuschüchtern. Aber ich will nicht schlafen, ich kann nicht schlafen. Ich will ihn nicht sehen, will diesen endlosen Albtraum nicht wieder und wieder erleben.

Also starre ich an die Decke meines Zimmers. Ich starre und starre und starre, eine gefühlte Ewigkeit vergeht. Und dann kann ich der Müdigkeit nicht mehr standhalten. Ich schlafe ein. 


Catos POV;

Ich kann nicht schlafen. Mein schlechtes Gewissen nagt an mir und doch sagt mir mein Kopf, dass ich das richtige getan habe. Wieso fühlt es sich dann so falsch an? Ich hab Clove doch nicht in Stich gelassen. Um jemanden in Stich lassen zu können, muss dieser jemand doch überhaupt erst auf einen zählen, oder etwa nicht? Seufzend erhebe ich mich, schleiche durch mein Zimmer, wandere im Kreis. Und dann höre ich es. Ein Murmeln, ich höre jemanden gedämpft sprechen. Durch die Wand allerdings hört sich die Stimme jedoch eher wie ein Murmeln an.

Neugierig öffne ich meine Zimmertür und betrete den Korridor des Apartments. Es ist dunkel. Alles ist leise. Ich höre Cliffs Schnarchen - das kann selbst die stärkste Wand nicht eindämmen. Mein Blick wandert von Cliffs Zimmertür zu der einzig übrigen. 

Cloves.

Die Geräusche kommen von ihr. Mit wem spricht sie? 

Unsicher stehe ich vor ihrer Tür. Ich weiß nicht, ob ich sie öffnen soll. Das letzte Mal als ich das gemacht habe, fand ich sie verstört und voller Tränen vor. Das möchte ich nicht nochmal durchleben. Als ich mich abwenden will, höre ich ihn. Einen gedämpften Schrei. Und dann den nächsten. Ich stürme durch die Tür und da liegt sie. Weinend, schreiend, um sich schlagend. Clove wirkt klein - kleiner als sonst. Sie hat sich zerbrechlich zusammengekauert und zuckt ununterbrochen, Tränen strömen über ihr Gesicht. Und sie schreit. Sie schreit vor Schmerz.

Ich kann kein Blut sehen, aber dass muss ich auch nicht. Niemand war hier. Niemand hat sie verletzt. Und sie kann sich hier nicht verletzen, zumindest nicht physisch. Alle gefährlichen Gegenstände sind aus allen Apartments entfernt worden, seit sich ein Tribut fast das Leben nehmen konnte. Snow war rasend. 

Clove weint.

Sie leidet.

Ohne zu überlegen lasse ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Cliff würde das auch nicht hören, nicht bei seinem Schnarchen. Doch daran denke ich gar nicht. Ich laufe zu Clove und halte ihre Hände fest, drücke sie vorsichtig ans Bett. Sie zappelt weiter, schlägt um sich, als würde ich sie verletzen wollen. "Clove, hey. Wach auf! Komm zurück." Ich rüttle sie wach, ziehe sie an mich, stelle sie ruhig. Sie reißt ihre Augen auf. 

Sogar die Tränen, die ihre verängstigten Augen verlassen, scheinen zu schmerzen. Ihre Augen scheinen zu brennen, ihre Nase ist ganz rot. Und sie ist kreidebleich. Als hätte sie einen Geist gesehen. Verstört starrt sie mich an. Sie starrt mich an und weint. "Ich kann das nicht mehr, i-ich .. ich will, dass es aufhört. Es muss aufhören", stammelt sie wie wild vor sich hin. Sie nimmt mich nicht war, sie ist noch immer in ihrer Welt. "Es soll aufhören!", schreit sie und drückt ihre Finger gegen ihre Schläfen, massiert augenscheinlich die Kopfschmerzen weg.

Sie schluchzt. Sie schluchzt so laut. So verloren und so zerbrochen. Ich komme mir hilflos vor. Klein gegen die Monster, die sie heimsuchen. Machtlos. "Clove", flüstere ich sanft. Doch sie sieht mich nicht an. "Clove, hey." Ich greife nach ihren Händen und sie zuckt zusammen, kneift ihre Augen zu. Ihr Herz schlägt ihr bis zur Brust, ihre Atmung schnappend. Jetzt erst realisiert sie es. Sie versteht, was gerade passiert ist. Und der Schmerz kehrt zurück, schlimmer als zuvor. Schmerz, den ich mir vermutlich nicht einmal vorstellen kann. 

"I-Ich .. es tut mir-.." Clove schüttelt ihren Kopf und sieht weg, vermeidet meinen Blick. "Soll ich gehen?", frage ich leise, leiser als ich es von mir kenne. Doch sie schüttelt nur energisch ihren Kopf. "Nein", wispert sie. Ihre Stimme bricht ständig ab und sie zittert unkontrolliert. Sie kann sich nicht beruhigen. Ihre Panik scheint eher zuzunehmen. Vorsichtig öffne ich ihr meine Arme und beiße mir auf die Unterlippe - diese Situation ist mir unangenehm, diese Machtlosigkeit und ihr Schmerz. 

"Ich weiß du möchtest meine Hilfe nicht, Clove. Und glaub mir, ich will deine Nähe nicht. Aber ich kann dich so nicht alleine lassen. Ich bin kein Monster." Mehr muss ich nicht sagen. Eigentlich muss ich gar nichts sagen, aber nachdem Clove wortlos nachgibt und sich in meinen Armen den Trost annimmt, möchte ich es. Ich will wissen, warum sie mitten in der Nacht rumschreit. Warum sie Schmerzen hat, die unerträglich zu sein scheinen. Schmerzen, die sie zerreisen. Und so kommt es, dass ich den Kloß in meinen Hals hinunter schlucke und meinen Mund öffne.

"Den Schmerz, den du da spürst, das war doch nicht nur ein Albtraum, oder?" Es herrscht Stille. Clove sammelt sich, das spüre ich. Behutsam lasse ich meine linke Hand ihren Rücken hoch und runter wandern, streiche mit der rechten immer wieder beruhigend über ihre Haare. "Sie verschlingen dich, nicht wahr?", frage ich weiter, nach der langen Stimme. Ich erwarte keine Antwort. Und dennoch bekomme ich sie.

"Sie ertränken mich, wie die kalte See. Und mir geht die Luft aus. Ich hab doch nur noch so wenig Luft, Cato", flüstert sie und da weiß ich es. Clove hat ein Herz. Und es ist mit Nadeln und Messern durchsät, in seinen letzten Zügen. Ihr Herz stirbt. Sie stirbt, aus Selbstschutz. Aus Schmerz. Weil Liebe für sie Schmerz bedeutet.

Doch das ist auch der Moment, in dem ich es weiß. Ich weiß, dass ich Clove nicht töten werde. Sie nicht töten kann. Ich will ihr den Schmerz nehmen. Ich will diesen dunklen Schleier lösen. Doch mehr als alles andere möchte ich zurück an den Tag vor der Ernte. Neu anfangen. Kein Wort mit ihr sprechen. Sie nicht kennenlernen. Damit ich kein Erbarmen habe.

Aber dafür ist es zu spät. Ich lasse sie los und verlasse den Raum. Laufe davon vor dem Mädchen, das in Glasscherben sitzt. Gehe zurück in mein Zimmer. Und frage mich, wie es weitergehen soll.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 13, 2018 ⏰

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Cato &' Clove - Forbidden Love (HG FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt