~~ Acht ~~
»Nein, das muss wer anders sein. Das kann er mir nicht antun.«, ich nehme ihr das Handy aus der Hand und lese. Verdammt, verdammt, verdammt. »Denise hat ihm ein Bild oben ohne geschickt. Du weißt was das heißt?« Nein, nein, nein. »Und er schreibt ihr, dass sie ihm wichtig ist.«, sie nimmt mir das Handy aus der Hand. Ich bin zu spät. Vorbei, alles vorbei. »Das heißt sie sind zusammen?«, ich wische mir die Träne weg. »Scheint so. Tut mir leid, Süße!«, sie streicht mir über die Haare als sie mich fest in den Arm nimmt. » Dieses Arschloch«, flüstere ich. »Er sagt mir noch am Handy, dass ich ihm wichtig bin und gleichzeitig ist er mit Denise zusammen?«, ich schrecke hoch als es an der Tür klopft. »Was ist da drinnen bei euch los? Macht die Tür auf!«, Thomas versucht die Tür aufzumachen. Wir sehen uns erschrocken um. Christina verstaut seine Sachen und läuft dann zur Tür. »Soll ich aufmachen?«, fragt sie mich. »Nein.«, ich schüttle mit dem Kopf. »Ja, sollst du! Sonst trete ich diese verdammte Tür auf!«, brüllt er wütend. Soll er ruhig. Der Kasten steht davor aber im nächsten Moment höre ich Christina kreischen, da der Kasten umflog und ein wütender Thomas in der Klasse steht. »Was. Soll. Das. Verdammt?«, schreit er. Er hievt den Kasten auf und stellt ihn richtig hin. Ich höre wie Christina mit ihm diskutiert während ich mich umdrehe und mir die restlichen Tränen weg wische. Immer wieder sieht sie besorgt zu mir rüber. »Alles klar?«, fragt mich Herr Schneider, der dazugekommen ist und streicht mir über die Wange. Ich trete ein paar Schritte zurück und bleibe auf Abstand von den Männern. »Sie wollte nicht, dass sie jemand weinen sieht!«, schreit Christina und blickt Thomas direkt in die Augen. Sein Blick schnellt zu mir. Seine Gesichtszüge werden weich und ein besorgter Thomas sieht mich an. »Hatte ich heute Früh doch recht?«, erkundigt Herr Schneider sich erneut. »Was war heute früh?«, forscht Thomas besorgt und sieht mich an. »Nichts. Entschuldigen Sie mich bitte.«, wortlos ziehe ich Christina mit mir.
Leider wird mir zu spät mitgeteilt, dass Thomas in den nächsten drei Wochen unser Klassenvorstand ist, da unser eigentlicher Klassenvorstand krank geworden ist. Das heißt, Thomas jeden Tag. Jede Stunde. Wir verbringen vier Stunden auf dem Klo bis eine wütende Direktorin rein stürmt und uns anschrie:»Nur weil ihr euren Abschluss in der Tasche habt, braucht ihr euch nicht wie Kinder benehmen! Ab in die Klasse!« Also trotten wir mit einem Abstecher in die Cafeteria wo wir uns einen Kakao holten, zurück zur Klasse. Aber die ist leer. »Draußen! Im Hof! Abmarsch!«, keift sie erneut. Draußen ist es warm. Christina zieht sich sofort ihren Sweater aus. Wiedereinmal bewundere ich meine beste Freundin. Sie ist wunderschön. Und dünn. »Haben es die Ladys dann auch mal geschafft?«, spottet Herr Müller. Sein Hemd hat er aufgekrempelt und neben ihm sitzt, Oh wunder, Denise. Ich verdrehe die Augen und lasse mich mit Christina auf die zweite Bank fallen. Mein Blick wandert zu den Jungs. Sie spielten Fußball und die Mädels sitzen in der Wiese mit halbmonden unter ihren Achseln und schwärmen für sie. Peinlich. »Jessica?«, fragt Denise lächelnd. Ich versuche zu lächeln doch es artet als Grimasse aus. Doch sie lässt sich davon nicht beirren. »Können wir reden?« Nein, können wir nicht! »Ich weiß es nicht ob ich will«, seufze ich. »Bitte?«, sie rutscht ein Stück von Thomas weg, der unserem Gespräch konzentriert folgt. Ich atme tief ein. »Okay.« Ich setzte meine Sonnenbrille auf und beobachte beide. Sie sehen sich an und lächeln. Autsch. Sein Blick landet auf mir, lächelnd als hätte es diesen Streit nie gegeben. Ich versuche erneut zu lachen und wieder funktioniert es nicht. Dazu hat er mich viel zu sehr verletzt. Sein Lächeln fällt ab und er beobachtet mich weiterhin mit einem gequälten Blick. Meine Gedanken wandern zu Stefan. Was er wohl gerade macht? »Was machen wir eigentlich die nächsten drei Wochen?«, mischt sich jetzt eine Klassenkameradin ein. »Ich dachte ihr wollt wie jetzt Unterricht machen?«, Thomas lacht. Ich sollte mir abgewöhnen ihn Thomas zu nennen. »Nein, Spaß beiseite. Lasst uns rein gehen. Da können wir abstimmen.«, Thomas erhebt sich.
Ich frage mich, warum Denise eigentlich hier ist? Sie ist in einer anderen Klasse. Ich sehe mich am Hof um und sehe, dass ihre Klasse auch draußen ist. Wir packen unsere Sachen und trotten hinter Thom,- Herr Müller in die Klasse. Drinnen setzen wir uns auf unsere Plätze und die Klasse wundert sich warum der Kasten woanders steht. Thomas, der nette Lehrer, lässt uns das erklären. »Christina und ich waren in der Pause hier und da ist mir ein Stift hinter den Schrank gefallen und dann haben wir ihn weggerückt.«, ich zucke mit den Achseln und lächle zuckersüß. Thomas sieht mich mit einer Mischung aus Wut, Sorge und Enttäuschung. »Klar«, schnaubte er verächtlich »Was ist Ihr verdammtes Problem?«, fahre ich ihn an. »Mein verdammtes Problem ist, dass ich dich nicht wiedererkenne! Verdammt nochmal, warum sagst du nicht einfach, dass du geweint hast?«, flucht er und kommt auf mich zu. Ich stehe ebenfalls auf. »Tja, das haben Sie wohl gerade für mich übernommen!« »Sonst hättest du es ja auch nie gesagt!« »Weil es weder der Klasse noch Sie etwas angeht! Es geht Sie verdammt noch mal nichts an!«, schreie ich noch einmal. Wir starren uns lange an bis sich Christina einmischt:»Okay, es reicht mir jetzt! Jessica setzten! Herr Müller, nach vorne zur Tafel!« Die Klasse tuschelt. In diesem Moment klingelt es zur 20 Minuten Pause. Thomas steht noch immer an dem Platz wo ihn Christina hin dirigiert hat und starrt mich an. Als Thomas die Klasse verlassen will, hält ihn Christina zurück. »Schön hiergeblieben. Ihr beide redet jetzt.«, sie zieht ihn zurück, schließt die Tür und steckt den Schlüssel ein. »Gib mir den Schlüssel.«, er streckt die Hand danach aus. »Niemals.« »Jetzt gib her.« »Holen Sie ihn doch.«, Christina weiß genau, dass er niemals in ihre Hose fassen würde. Sie grinst stolz als er sich zu mir umdreht. Ich zucke wieder mit der Achsel. »Könnt ihr auch irgendetwas alleine?«, seufzt Christina und zerrt Thomas zu mir. »Hinsetzten.«, sie deutet auf den Platz neben mir. Thomas setzt sich wirklich hin und drehte sich zu mir. Ich lehne mich zurück und verschränke die Arme vor der Brust. »Ich weiß es.«, ich sehe ihm direkt ihn die Augen. »Was weißt du?«, er hebt eine Augenbraue. »Alles«, sein Mund formt sich zu einem O. »Ja, O. Wann wolltest du mir es sagen?«, mir brennen Tränen in den Augen. "Eigentlich...", er stoppt und sieht auf den Boden. "Nie? Ich liege richtig oder?", ich suche seinen Blick. »Doch aber...« »Aber was? Nachdem ich dir sagen wollte, dass ich noch Gefühle für dich habe oder danach?« »Du hast noch Gefühle für mich?«, er sieht überrascht auf. »Leider...«, ich senke den Blick. »Von wo weißt du es?« »Ich habe dein Handy aus der Tasche genommen und die Nachrichten gelesen.«, mischt sich jetzt Christina ein. »Du hast was?«, schreit er sie an. Christina zuckt nicht mal mit den Wimpern. Sie hob ihre Augenbraue und fragt:»Hättest du es ihr gesagt?« Er schluckt wieder. »Lieber eine heimliche Affäre oder? Wäre spannender gewesen, was?«, sie sieht ihn ausdruckslos an. »So etwas würde ich nicht machen. Ein richtiger Mann macht das nicht.« "Oha, große Worte, mein Lieber. Aber mich betrügen?", ich habe meine Stimme wieder gefunden. »Jessica, ich... Wir waren nicht zusammen...«, er stoppt sich selbst.
»Klar...«, ich stehe auf und nehme meine Tasche, hole den Schlüssel den Christina in der Hand hält, schließe die Tür auf, drehe mich nochmal um und sage zu Thomas: »Vielleicht ist es wirklich besser so. Vielleicht wirst du mit Denise glücklicher und das mit uns soll einfach nicht sein. Aber einen Gefallen mach mir. Betrug Denise nicht. Dazu ist sie mir immer noch zu wichtig. Das würde sie nicht verkraften. Bitte...« Er sieht mich mit großen Augen an. »Und du schon oder was?«, Christinas Augen sind geweitet. »Nein, aber ich muss wohl.«, und dann gehe ich.
Christina:
"Sehr gefühlvoll", werfe ich Thomas an den Kopf, der gedankenverloren in die Luft starrt. "Glaubst du, sie wird sich was antun?", er sieht gekränkt zu mir auf. "Nein, ich hoffe jedenfalls nicht.", ich krame meine Tasche ein und bekomme Panik. "Ich sollte ihr nach!", stellt er fest. "Niemals! Sie braucht jetzt jemanden der sie nicht die ganze Zeit kaputt gehen lässt. Jemand der sie schätzt. Und das bist ganz klar NICHT du!", sage ich. "Dieser Stefan... Sie hat sich verliebt, nicht wahr?", fragt er enttäuscht. Oje, es trifft ihn wirklich. "Thomas, du bist selbst schuld. Du hattest deine Chance. Und die hast du nicht ergriffen. Du hast dich für Denise entschieden." "Ja, ich weiß." "Warum eigentlich? Jessica ist eine so tolle Frau." "Sie war weg und ich braucht jemanden." "Klar, und dann läufst du zu Denise? Warum hast du nicht gewartet?""Weil ich ein Vollidiot bin." "Ja, aber Hey! Auch Denise ist eine tolle Frau.", aber nicht so toll wie Jessica, denke ich mir. Als ich an der Tür bin, drehe ich mich nochmal um und was ich dort sehe, bricht mir das Herz. Thomas hat Tränen in den Augen und flüstert meine Worte: "Aber nicht so eine tolle Frau wie meine Jessica." Ganz spontan gehe ich zurück und umarme ihn. "Tut mir Leid aber du hast es versaut."
Nachdem ich nach einer Stunde suchen, Jessica nicht gefunden habe, mache ich mir sehr große Sorgen. Ich habe Stefan angerufen, der dann nur noch mehr Panik schob, war bei ihr Zuhause, habe mich durch alle ihre Lieblingsplätze gesucht und kam zum Entschluss, dass ich Jessica nicht fand. Kurzentschlossen rufe ich Thomas an. "Ja?", seine raue Stimme hört sich gebrochen an. "Ich finde Jessica nicht." "Fuck!", ist das einzige was ich noch hört und dann ist er weg. Ich rufe ihn nochmal an aber sein Handy ist aus. Ich weiß, dass Jessy nicht abheben würde aber ich kann doch noch hoffen oder? Aber wie vermutet hebt sie nicht ab. Ich laufe nochmal zu ihrem Haus aber es macht keiner auf. Ihr Vater ist weg, ihre Mutter auch aber da ich weiß, wo ihr Ersatzschlüssel ist, schließe ich die Tür auf und betrete das Haus. Sofort laufe ich in ihr Zimmer doch sie ist nicht da. Reisetasche, Klamotten, Handy alles ist da. Nur sie nicht. Ich lasse mich kraftlos auf ihren Schreibtischsessel fallen als ich etwas entdeckt. Die mir allzu vertraute Schachtel, wo sie ihre Erinnerungen aufhaltet. Langsam öffne ich sie. Lächelnd sehe ich mir Bilder von Denise, Jessy und mir an und krame weiter in der Box. Sachen die ich kenne, auch Fotos von Thomas und Stefan. Damals wirkt sie noch glücklich und jetzt wirkt sie so gebrochen. Ohne wirklich zu wollen, fange ich an zu weinen. Ich schließe die Box. Mache sie aber gleich darauf wieder auf um die kleinere Box raus zu holen. Eigentlich weiß ich ja, was da drinnen war aber trotzdem öffne ich sie und entdecke Rasierklingen. "Nein!", entfährt es mir als ich nachzähle. In einer Box sollten fünf Stück vorhanden sein aber die Box ist geöffnet und es sind nur vier Stück darin.
Ich wähle die Nummer von Stefan und erzähle ihm von meinem Fund. "Nein, nein, nein. Das kann nicht wahr sein." "Du solltest her kommen", stelle ich trocken fest. Ich konnte einfach noch nicht fassen, das Jessica nach all der Therapiestunden und dem Klinikaufenthalt wirklich noch einmal zur Klinge greift. "Wenn ich könnte würde ich ja sofort in den nächsten Zug steigen aber es geht nicht! Wegen der Arbeit und dem ganzen Dreck.", Stefan ist frustriert. "Schon gut, schon gut. Ich mach das schon. Ich bekomme das wieder mit ihr hin. Ich habe es schon einmal mit ihr durchgemacht, also wird es ein zweites mal auch noch gehen", versuche ich eher mich selbst anstatt ihn zu beruhigen. Nachdem wir noch kurz über einen Plan gesprochen haben, sind wir zum Entschluss gekommen, dass wir keinen Plan haben, wie wir das machen sollen. Also verlasse ich das Haus, mit ihren Klingen, und suche Hilfe bei Harry. Ich klingel und ein verschlafener Harry macht die Tür auf. "Guten Morgen Schatz.", er drückt mir einen Kuss auf die Lippen und als ich den Kuss nicht erwidere, sieht er mich an, runzelte die Stirn und fragt was los ist. "Jessica hat einen Rückfall.", ich ziehe das Päckchen Klingen aus meiner Jackentasche und zeige es ihm. Er reißt die Augen geschockt auf : "Wo ist sie?" "Gute Frage. Ich suche sie schon seit zwei Stunden und habe richtig Angst, dass sie sich etwas angetan haben könnte.", ich klammere mich an seine Brust und weine. "Nein, wird sie schon nicht.", er streicht mir behutsam über die Haare. "Ich will sie nicht verlieren. Sie ist meine beste Freundin." "Wirst du schon nicht. Sie braucht vielleicht nur Abstand. Thomas war auch schon hier." "Vielleicht sollte er her kommen?", schlage ich vor. "Ja, ich frage ihn mal.", während Harry die Nummer wählt, mache ich mir einen Tee. Gedankenverloren schaue ich auf das Wasser,welches ich aufkochen lasse und schrecke zusammen als Harry mir einen Kuss auf die Wange gibt. "Er ist gleich da", lässt er mich wissen und geht Tiefkühlpizza machen. Und wirklich,- nach ein paar Minuten, steht Thomas in der Küche und bläst Trübsal.
Auch spät abends ist die Laune im Keller. Wir haben keine Ahnung was wir tun sollen. Sollen wir ihre Eltern verständigen? Sollen wir sie suchen gehen? Sollen wir schlafen gehen und hoffen, dass sie morgen wieder da sein wird? Wir entschließen uns für das Schlafen gehen und keiner von uns kann in dieser Nacht wirklich schlafen. Thomas hört man im Wohnzimmer herum geistern, Harry sieht alle Stunden auf das Handy und ich? Ich lag im Bett und hoffe, meine beste Freundin morgen nicht tot aufzufinden...
Am nächsten Morgen werden Harry und ich durch Thomas aufgeweckt, der wie ein verrückter durch die Wohnung läuft. "Was ist den los?", frage ich genervt, als er in Harry's Schlafzimmer gestürmt kommt.
"Ich war gerade unterwegs zur Schule, als ich im Radio hörte, dass gestern in der Nacht ein totes Mädchen aufgefunden worden ist.", Thomas muss nicht mehr weiter reden, denn wir denken alle sofort an Jessica. Ich springe aus dem Bett und suche mein Handy. Keine neuen Nachrichten. Keine Anrufe. Ich sehe zu Thomas, der im Zimmer auf und ab geht. "Ich glaube nicht, sonst hätte mich ihre Mutter angerufen." "Ich hoffe es.", ich sehe Thomas an. Er hat tiefe Augenringe, sein Kinn hat einen Bartschatten und er sieht hoffnungslos verloren aus. "Geh ins Bett, Thomas", stellt jetzt auch Harry fest. "Nein! Ich muss in die Schule.", und mit diesen Worten ist er weg. Auch ich mache mich jetzt für die Schule fertig aber da ich erst in der zweiten Stunde Unterricht habe, kann ich mir noch etwas Zeit lassen. Nachdem ich mich fertig gemacht habe und gefrühstückt habe, rufe ich zum hundertsten Mal Jessica an. Und zum hundertsten Mal hebt sie nicht ab. "Bevor ich zur Schule fahren, werde ich noch mal bei ihren Eltern vorbei fahren", lasse ich Harry wissen. "Mach das mein Engel.", er küsst meine Stirn und nimmt mich in den Arm. "Weißt du, Christina? Egal, was auf dich noch zu kommen wird, ich bin für dich da. Wir stehen das gemeinsam durch." "Ich liebe dich Harry.", ich bin selbst überrascht. Noch nie habe ich zu Harry die drei magischen Wörter gesagt. "Ich dich auch." Auch während des Autofahrens bin ich in Gedanken bei Harry. Wie glücklich ich doch mit ihm bin. Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als ich realisiere, dass ich da bin. Ich laufe zur Tür, da es regnet und klingle. Sekunden später macht mir ihr Bruder Lukas die Tür auf. "Christina?", fragt er erstaunt. Wir haben uns nie wirklich verstanden. "Ist Jessica da?", frage ich. "Die ist vor fünf Minuten zur Schule gefahren." Mir fällt ein Stein vom Herzen. Jessica lebt!
Ich verabschiede mich und fahre viel zu schnell zur Schule. Ich laufe die Treppe rauf in unsere Klasse und finde eine lachende Jessica auf. Warte! Lachend? Ich sehe sie verdattert an.
"Hey.", sie kommt auf mich zu und umarmt mich. Sie hat einen grauen Pullover, eine Jeans und ihre Lieblings Chucks an. Ich sehe in ihre Augen und weiß sofort, dass alles vorgespielt ist. Sie sind kalt. Sie hat Augenringe, die sie versucht hat zu über schminken, was nicht richtig klappt, ihre Lippen sind trocken und ihr Lachen ist so groß, dass man glauben könnte, es würde gleich reißen.
"Hey.", ich umarmte sie auch. "Du hast gestern nicht mehr abgehoben", stelle ich trocken fest. "Ja tut mir leid. Ich hatte mein Handy nicht mit.", sie lacht entschuldigend. "Klar, wo warst du? Wir haben uns Sorgen gemacht!", schnauze ich sie an. Sie zuckt bei meiner Stimme zusammen und reibt sich ihre Schläfen. "Ich bin durch die Gegend gefahren okay? Ich musste nachdenken!", fährt sie mich ebenfalls kalt an. "Und? Zu welchen Entschluss bist du gekommen?", fahre ich sanfter fort. "Ich werde nach dem Abschluss nach Frankreich auswandern."
Jessica:
"Du wirst was?", fragt sie entsetzt. Ich nicke leicht. "Das kannst du nicht tun. Bitte." "Es ist besser Christina. Ich brauche Abstand von alledem hier.", ich denke an Thomas und Denise.
Christina versteht wohl, denn sie zieht mich an der Hand raus. "Gestern war Thomas noch bei uns. Ihm geht’s wirklich schlecht. Er hat geweint und in der Schule noch gesagt, dass er bereut, dich gehen gelassen zu haben.", ich stoppe sie und sage: "Ich will das nicht hören, Christina. Mein Entschluss steht fest." "Nur wegen eines Mannes? Hast du nicht immer gesagt, dass du dich niemals von einem Mann unterkriegen lassen willst?", sie setzt sich neben mich auf die Bank. "Es ist nicht nur deswegen. Ich halte es auch nicht mehr bei meinen Eltern aus. Dieses ständige Besaufe und..." "Ich weiß, aber wirklich nach Frankreich? Du kannst doch auch einfach in eine eigene Wohnung ziehen?", versucht sie mich umzustimmen. Ich schüttle meinen Kopf. "Bitte nicht", versucht sie es nochmal. "Nein", sage ich ihr mit brüchiger Stimme. "Ich möchte zu Stefan." "Klar..", seufzt sie und geht weg. Ich weiß nicht wohin sie geht aber ich weiß, dass sie jetzt Zeit für sich braucht. Also gehe ich ohne Christina in die Klasse. Ein paar Minuten später kommt auch Christina wieder. Sie setzt sich neben mich und schweigt. Thomas kommt auch in die Klasse. Ich senke den Blick als er mir in die Augen sieht. Ich kann das nicht. Ich muss endlich mit ihm abschließen. Er soll doch einfach mit Denise glücklich werden. Aber, warum hat er dann wieder zu Christina gesagt, dass er es bereut? Ich sehe zu Christina, die aber immer noch den Blick gesenkt hat und mit ihrem Armbänder spielt. Mit meinen Armbänder. Ich hatte die ihr vor drei Jahren geschenkt und sie hat sie immer noch?
"Jessica? Bitte komm heute zur Besprechung der Abschlussklassen", reißt mich Thomas aus meinen Gedanken. "Ich will nicht." "Du bist Klassensprecherin, du musst.", er lacht. "Ich habe einen Arzttermin.", ich vermeide es ihm in die Augen zusehen. "Bestätigung?", fragt er. "Wann ist der Dreck heute?", seufze ich und will mir die Uhrzeit aufschreiben als ich unabsichtlich an meinem Rucksack mit den frischen Wunden hängen bleibe. Ich ziehe die Luft scharf ein und hoffe, dass sie nicht aufgerissen sind. Ich versuche es zu überspielen aber ich spüre es warm am linken Arm runter laufen. Ich sehe unauffällig runter und entdecke auch schon an der Handfläche rot. Ich presse mir die linke Hand an die Nase. "Sorry, Nasenbluten." Ich lauf aus der Klasse, direkt in Herr Schneider rein. "Mädchen, was ist den mit dir passiert?", er sieht auf meinen mittlerweile roten Ärmel.
"Nasenbluten.", stoße ich hervor und renne an ihm vorbei. Ich höre jemanden hinter mir her rennen und als ich über die Schulter sehe, erkenne Thomas.
"Shit", fluche ich, laufe die Treppen hoch und hoffe, dass er mich nicht einholt. Mein Arm schmerzt aber ich laufe weiter Richtung Mädchenklo. Ich hoffe er würde da nicht rein gehen.
Thomas ist mir schon ziemlich nah als ich endlich im Klo ankomme und mich in einer Kabine einsperre. Ich höre Thomas und Herr Schneider draußen diskutieren, dass sie hier nicht rein dürfen. Ich schiebe meinen Pullover hinauf und sehe mein Werk von gestern. Alle drei Schnitte sind offen und klaffen.
"Shit.", fluche ich nochmal und suche nach Klopapier aber im gleichen Moment, fällt mir meine Tasche ein. Da sollte eigentlich ein Druckverband drinnen sein aber der ist in der Klasse. Ich schließe die Kabine auf und drehe den Wasserhahn auf und lasse Wasser drauf rinnen. Aber auch das half nichts. Ich bin am Verzweifeln als mir leicht schwindlig wird. Das gleiche war gestern. Vielleicht sind die Schnitte doch zu tief? Ich sehe noch einmal auf meinen Arm und sah sogar Fettgewebe. Ich sehe auf den Boden, entdecke auch dort schon Blut. Und das ist der Moment wo ich mich an der Wand herunterrutschen lasse und dort zusammenbreche.
Thomas:
Herr Schneider und ich diskutieren noch immer ob wir da nun rein gehen sollen oder nicht. Wir wissen auch beide, dass das kein Nasenbluten ist. Drinnen hört man gelegentlich ein Shit oder irgendein Fluch aber als wir dann rein gar nichts mehr hören, öffnen wir die Tür. Am Boden liegt eine blasse Jessica mit offenen Armen. Bewusstlos. Ich knie mich zu ihr auf den Boden und fühle ihren Pulsschlag. Schwach. "Hilfe. Wir brauchen Hilfe", brülle ich und Herr Schneider läuft sofort los.
"Jessica. Bleib bei mir. Ich brauche dich.", ich streiche ihr über die Wange. Ich ziehe meine Jacke aus und drücke sie auf die Schnitte. Sie sind so verdammt tief. "Bitte, Jessica. Ich brauche dich. Es tut mir so leid." Herr Schneider kommt mit dem Schularzt zurück, der nur kurz Jessica ansieht und wieder raus läuft. Er wählt sofort den Rettungsdienst. "Wir brauchen unverzüglich einen Arzt. Ein Mädchen hat sich die Pulsadern aufgeschnitten." Der Schularzt versucht die Blutung zu stoppen aber auch ihm gelang es nicht.
Ich sitze am Boden, halte ihre Hand und sehe sie an. Wenn das hier meine letzten Sekunden mit ihr sind, will ich bei ihr sein. Fünf Minuten später ist der Krankenwagen da. Der Arzt sieht auf ihre Arme und ruft seinen Kollegen zu: "Suizidversuch! Wir brauchen Druckverbände!" Der Arzt rammt mich von ihrer Seite, und drückt die Blutzufuhr, direkt etwas oberhalb der Schnitte an der Pulsader mit den Fingern ab. "Miss? Hören sie mich? Wenn ja, drücken sie meine Hand.", der Kollege nimmt die Hand die ich gerade noch gehalten habe und sieht sie wachsam an. Der Dritte leuchtet in ihre wunderschönen Augen. "Keine Reaktion", stellt einer der beiden fest. "Gefäßklammer, schnell!", sagt der eine Arzt dessen Handschuh auch schon Rot getränkt ist. Als die Gefäßklammer angebracht ist, machen sie auch schon eine Infusion dran.
Sie heben Jessica auf eine Trage und tragen sie in den Pausenhof. Am Pausenhof sind viele Schüler. Meine Kollegen versuchen die Schüler zurück ins Gebäude zu schaffen aber ein Mädchen liegt am Boden und weint bitterlich. Bei genauerem hinsehen, erkenne ich das es Christina ist. Denise sitzt neben ihr am Boden und streicht ihr über den Rücken. Ich gehe weiter zum Krankenwagen. Der Krankenwagen fährt mit Sirene und Lichtern los.
„Ich liebe dich, Jessica...“, flüstere ich.
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Die Tiefen unserer Herzen
Teen FictionEs gibt Dinge auf dieser Erde, die wir einfach nicht haben können, egal wie sehr wir sie uns wünschen... Wir kämpfen darum, würden alles dafür geben, nur um es haben zu können... Doch es liegt nicht in unserer Kraft, diese Macht zu beeinflussen... E...