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Seit dem Eintreten Blackhearts hatte sich der Saloon "Broke n Spoke" auf unangenehme Weise verändert. Es war dunkel. Nur die Neonröhren an den Wänden leuchteten noch. Alle Geräusche waren verstummt. Keine Musik mehr. Kein Lachen mehr. Nicht einmal mehr ein Atemgeräusch. Außer diesem einen. Hinter dem Tresen kauerte eine verängstigte, blonde Kellnerin. Sie war jung, vielleicht Mitte zwanzig, und sie hatte schon einiges gesehen und erlebt in einem Laden, der normalerweise raubeinige, unerschrockene und bärbeißige Hells Angels beherbergte. Nichts jedoch hatte ihr in all ihrer Zeit hier solche Angst gemacht wie diese bedrohliche Stille und die Geschehnisse, die sich vor wenigen Minuten ereignet hatten. Sie blickte durch einen Spalt zwischen den Brettern des Tresens und lugte in den Schankraum der Bar. Nichts war zu sehen. Vorsichtig reckte sie den Kopf und erhob sich aus ihrer kauernden Position, sodass sie über den Tresen blicken konnte. Der Anblick, der sich ihr bot, war albtraumhaft. Da waren Männer, die in seltsam verrenkten Posen erstarrt waren. Sie saßen noch an den Tischen, als hätten sie nie aufgehört zu spielen oder zu trinken. Dass etwas mit ihnen nicht stimmte, war zu erkennen an der gräulich-blauen Haut, die sich über die Knochen spannte, als befände sich kein Fleisch darunter, und den schwarzen Augenhöhlen, in denen die Augäpfel zu einem Nichts zusammengeschrumpft waren. Zu ihrer Linken ertönte auf einmal ein unheilvolles Kichern, und sie fuhr herum. Der junge Mann stand wie aus dem Boden gestampft vor ihr. Sie erkannte ihn wieder. Die Überreste seiner Taten standen oder saßen herum wie grausige, steinerne Statuen. Sie hatte gesehen, was er getan hatte. Schnell wie eine Klapperschlange schoss ein weißer Arm nach vorne, packte die junge Kellnerin am Hals und hob sie ohne sichtbare Anstrengung nach oben, sodass sie den Boden unter den Füßen verlor. Als er sprach, war seine Stimme bedrohlich und kühl. "Ich wusste, dass du hier bist. Ich habe deine Angst gerochen." Das Gesicht der Kellnerin lief blau an und wurde dann grau. Die Augen schrumpften in ihren Höhlen zusammen, die rasch schwarz wurden. Als Blackheart sie losließ, war sie genau so eine graue Statue wie all die anderen, die in der Bar gewesen waren, als Blackheart zu wüten begonnen hatte. Genau so grau. Und genau so tot. Sein Gesicht war mitleidslos, als sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen stahl. Blackheart durchquerte die Bar. Auf dem Weg zum Ausgang wurde er jedoch aufgehalten. Ein leises Knistern und Knacken ließ sich vernehmen; Staub und Erde wirbelten auf und bildeten schließlich die Konturen eines Mannes; der Körper verfestigte sich langsam und kam dann zur Ruhe, bis ein vollständiger Mann sich vor Blackheart komprimiert hatte. "Hallo, Gressil", begrüßte Blackheart den Neuankömmling. "Was willst du hier?", fragte der Erdmann. Seine Stimme war rau wie ein Reibeisen. Der Ausdruck Grabesstimme bekam bei ihm eine völlig neue Bedeutung. Rechts von Blackheart erhob sich eine Wassersäule vom Boden; sie stieg an, bekam Auswüchse und formte einen zweiten Mann mit langem, ungepflegtem schwarzem Haar und bleichem Gesicht. "Wallow", begrüßte Blackheart den Wassermenschen. Der neigte leicht den Kopf und strich sich einen Klumpen Dreck von den Augen. "Was willst du von uns?" Im Gegensatz zu Gressil klang seine Stimme heller; jedoch dumpf, als spräche er unter Wasser. "Ich will mir den Vertrag von San Venganza holen." Blackheart wandte sich um und sah jeden der beiden an. "Der Legende nach wurde er gestohlen und auf einem Friedhof versteckt, nicht weit von hier. Und ihr helft mir bei der Suche." Bei seinen Worten wurden die Schwingtüren durch einen gewaltigen Windstoß aufgestoßen. Eine Luftsäule fauchte durch die Bar, kam neben Blackheart und den beiden anderen zum Stehen und entblößte wirbelnd einen dritten Mann. Blackheart schien nicht überrascht, sondern wirkte, als habe er auch diesen Mann erwartet. "Abigor." Der Luftmensch hatte lange, dunkle Rastas und spitze Zähne. Er erinnerte ein wenig an die jamaikanische Reggae-Legende Bob Marley, wenn er auch um einiges bleicher war. "Und wenn wir ihn finden? Was dann?" Abigors Stimme klang selbst pfeifend wie der Wind. "Dann bemächtigen wir uns dieser Welt. Einer - Stadt - nach - der - anderen." Während er sprach, ging Blackheart zu einem der Toten, der an einem Tisch saß, und strich fast zärtlich über dessen Kopf. "Blackheart!" Bei dem Ruf drehte Blackheart den Kopf; für einen Moment verwandelte sich sein Gesicht in eine totenähnliche Fratze, es war bläulich, sein Mund ein schmaler, faltiger Strich, seine Augen blitzten wie zwei schwarze Käfer daraus hervor. Ein dunkles Grollen entfuhr seiner Kehle. Im nächsten Moment verschwand die Fratze, als hätte Blackheart eine Maske abgesetzt. Er fuhr hoch, stieß die Schwingtüren auf und eilte aus dem Saloon. Zwischen den Reihen nun herrenloser Motorräder schritt er auf den Mann zu, der vor der Bar auf ihn wartete. Als er den älteren Herrn mit dem Gehstock erkannte, drang ein hämisches Lachen aus seiner Kehle. "Was zur Hölle hast du hier zu suchen?", fuhr dieser ihn an. Es war derselbe Mann, dem Johnny Blaze, der berühmte Stuntfahrer, seine Seele im Tausch gegen die Gesundheit seines Vaters verkauft hatte. Die beiden Männer standen sich in der Dunkelheit gegenüber. "Jetzt ist meine Zeit, alter Mann." "Deine Zeit wird kommen... doch nicht jetzt", erwiderte der Ältere. "Wir beide wissen, du kannst mir hier nichts anhaben", erwiderte Blackheart hastig, wie um sich selbst zu vergewissern, dass es stimmte. "Ich bin nicht wie du. Ich bin kein Gefallener. Das werd ich nie sein", stieß er verächtlich aus. "Ich mag dir in dieser Welt nichts anhaben können, das ist wahr. Aber mein Rider kann es." Die Drohung in der Stimme des Alten war nicht zu überhören. "Der Ghost Rider? Deine Lieblingsschöpfung? Höllenfeuer, das du an einen jämmerlichen Sterblichen verschwendet hast? Wenn du mir einfach vertraut hättest - wenn du mir gegeben hättest, was mir immer zustand -" In Blackhearts Augen funkelte kaum verhohlener Zorn. "Es gehört alles mir. Und zwar bis zum jüngsten Tag." Härte klang aus der Stimme des älteren Mannes. Blackheart schaute ihn an; er hatte seine Wut wieder im Griff. Sein Gesicht war regungslos. "Dann tu es. Schick deinen Rider. Ich mach ihn fertig. Und danach mach ich dasselbe mit dir... Vater." Die Miene des Alten blieb unbewegt. Seine Gestalt entfernte sich, ohne dass er auch nur einen Schritt tat, löste sich zu Staub auf, den der Wind verwehte. Dann war er verschwunden. Und Blackheart stand allein in der Wüste. Zurück blieb nur die Herausforderung, die die beiden verband und von nun an ihr Schicksal bestimmen sollte.


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