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Das Messer kratzte über das raue Holz des alten Baumes, und ein Stückchen Rinde fiel zu Boden, als Johnny den letzten Buchstaben ritzte. Er blies dagegen, damit auch die letzten Holzsplitter aus den Rillen der Schnitzerei verschwanden, und betrachtete zufrieden sein Werk.

J&R

FOREVER

war nun für immer in den Baumstamm graviert. Johnny schob das Messer zurück in die Tasche seiner braunen Lederjacke und ging zu Roxanne, die in die Ferne des scheinbar unendlich weiten Landes sah, das sich vor ihnen erstreckte. Am Fuße des riesigen alten Baumes wuchs ein Teppich von blauen und lila Blumen; vor ihnen, soweit das Auge reichte, dehnte sich eine Hochebene aus, deren Boden kahl und von der Sonne verbrannt und die mit kleinen Bäumen bewachsen war. Einige Pferde grasten das spärliche gelbe Gestrüpp ab; auf dem Feldweg stand Johnnys Motorrad. Johnny setzte sich neben Roxanne auf einen Felsen und beobachtete sie von der Seite. Sie sah bedrückt aus. "Hey", sagte er und sah sie besorgt an. "Was ist los, Roxy?" Sie sah zu Boden, dann hob sie den Blick. "Ich werde wegziehen", gestand sie. "Was?", fragte Johnny sie ungläubig. Er glaubte, sich verhört zu haben. "Mein Dad will, dass ich bei meiner Mutter lebe." Johnny schaute zur Seite. "Wann?", fragte er. Er war sich nicht sicher, ob er die Antwort wirklich hören wollte. "Schon sehr bald." Roxanne stand auf, dann wandte sie sich ab. "Was ist mit uns?", wollte Johnny wissen. "Er sagt, du wärst nicht gut genug für mich. Dass es nichts Ernstes sei." Roxanne verschränkte die Arme, als könnte sie damit die Entscheidung ihres Vaters abwehren. "Also was machen wir jetzt, Johnny?" Johnny dachte für einen kurzen Moment nach. "Wir hauen ab", sagte er dann entschlossen. "Rauf auf die Maschine und einfach los!" Er deutete auf sein Motorrad. Roxanne lachte leise, dann wurde sie ernst. "Was ist mit deinem Dad, und was wird aus der Show?" "Er braucht mich nicht. Er braucht niemanden." Wieder lachte Roxanne ob Johnnys Sorglosigkeit. "Morgen Mittag, ok? Wir treffen uns hier. " Hoffnungsvoll sah Johnny Roxanne an. Die lächelte, schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn leidenschaftlich. Und so standen sie da, noch eine ganze Weile ineinander verschlungen, während der Wind durch ihre Haare fuhr und die Sonne hinter den Bergen versank.

Es war schon spät, als Johnny nach Hause zurückkehrte. Der Donner rollte und kündigte den nahenden Sturm an. Sein Vater war in seinem Sessel eingeschlafen. In der Hand hielt er ein Ringbuch, das er sich wohl angesehen haben musste. Johnny nahm es ihm aus der Hand und blätterte es durch. Barton hatte in diesem Buch alle Fotos und Zeitungsartikel gesammelt, die ihn mit seiner Familie verband. Fotos von ihm, seiner Frau und Johnny als Baby. Zeitungsartikel über die Motorrad-Show, die Johnny und er zusammen hatten, Zeitungsartikel von damals, als Johnny noch ein Kind gewesen war, und von heute; ein ganzes Leben, dokumentiert mit Bildern. Johnny lächelte und legte es weg. Dann zog er seinem schlafenden Vater die Zigarettenschachtel aus der Hand und wollte sie wegwerfen-doch dann stutzte er. Im Mülleimer lag noch etwas anderes. Er nahm es heraus und las, was darauf stand. Es war ein Brief eines Krankenhauses an Barton, in dem stand, dass es ihnen leidtue, aber der Krebs habe gestreut. Johnny wusste, was das bedeutete. Barton könnte sterben. Er würde höchstwahrscheinlich sterben. Johnny war schockiert. Er hatte nicht einmal gewusst, dass sein Vater Krebs hatte. Sicher hatte er bemerkt, dass sein Vater viel rauchte. Sehr viel. Und dass ihm das nicht gut tat. Dass er davon eine Art starken, nie enden wollenden Keuchhusten bekam. Aber er hätte nicht gedacht, dass es so schlimm stand. Wieso sein Vater? Wieso gerade sein Vater? Wie konnte das sein? Sein Vater war immer stark und unabhängig gewesen, hatte immer wieder den Gefahren des Alltags getrotzt. Und jetzt sollte ihn eine Krankheit in die Knie zwingen? Als Barton zu husten begann, knüllte Johnny den Brief zusammen und warf ihn wieder zurück in den Mülleimer. Johnny lief auf ihn zu; Barton war aufgewacht. Johnny hielt sich am Geländer der Treppe fest; er hatte das Gefühl, dass im der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Wieso hatte ihm sein Vater nichts davon erzählt? Barton stöhnte und hob den Kopf. "W... Wie spät ist es?", wollte er von Johnny wissen. "Sehr spät", sagte Johnny mit ausdrucksloser Stimme. Barton fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. Dann bemerkte er, dass etwas fehlte, und suchte seine Zigaretten. Johnny seufzte auf, schloss mit einem Klirren seinen kleinen Werkzeugkasten und wollte aus dem Zimmer gehen. "Wo gehst du hin?", fragte ihn sein Vater, während er sich langsam aufrichtete. Johnny hielt abrupt an und wandte seinem Vater den Kopf zu. "Ach...nirgendwo hin", antwortete er undurchsichtig. "Ich geh nirgendwo hin, Dad." Barton wusste es nicht, aber dieser Satz war ein Versprechen gewesen. Johnny würde nicht mit Roxanne fortgehen. Er würde bei seinem Vater bleiben. Solange er noch konnte.

Donner grollte, und Blitze zuckten über den dunklen, menschenleeren Jahrmarkt. Johnny war in dem Zelt, in dem ihre Motorräder standen. Er bastelte immer an seinem Motorrad, wenn ihn etwas beschäftigte. Es war wie sein Zufluchtsort. Er säuberte die Zündkerze und dachte nach. Sein Vater war sein großes Vorbild. Der Einzige, der ihm aus seiner Familie geblieben war. Er würde alles tun, um seinen Vater zu retten. Alles. Das wusste er.

Und der Mann, der in diesem Moment den Jahrmarkt betrat. Der Mann, um den herum plötzlich die Glühbirnen explodierten. Der Mann, der sich gebeugt auf seinen Stab stützte und in diesem Moment in den Himmel sah.

Der wusste es auch.



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