CAPUT NOVEMTUM (IX)

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POV Delian

Die Spiele, wie sie das Volk der Alexis nannte, zogen an Delian vorbei wie der Wind an einem Haus. Er sprach nicht, er hörte nicht, seine Sinne waren wie benebelt von all dem Blut und er fühlte sich in Erinnerungen zurückversetzt, die er am liebsten gar nicht gehabt hätte. Er dachte an seine Heimat, sein Britannien, sein zuhause in Schutt und Asche. Er erinnerte sich an die schöne Zeit dort, die unberührte Natur überall dort, wo die Menschen noch keine Acker gebaut hatten oder sie nicht als Weiden für ihre Viehherden nutzen. Er erinnerte sich an die nasskalten Sommer dort, an den Frühling, der vom Klima her nur im Winter wegging. 

Aber in diesem Moment erinnerte er sich nicht nur an die guten Dinge Britanniens. Seine Gedanken in diesem Moment kreisten um den verhängnisvollen Tag, an dem seine Eltern ums Leben gekommen waren, ermordet durch den römischen Legionär. So sehr er ihm auch auf eine bizarre Weise dankbar war, so sehr hatte er auch gelitten in der Zeit, in welcher er einzig in der Stille und Schmach seiner Gedanken auf dem langen Weg nach Rom gewesen war. Er hatte dort einen älteren Jungen kennengelernt, der seit seiner Geburt an den Namen Victoire trug. Delian hätte vermutet, dass jener schmächtige Junge von damals in einem Haushalt gelandet war, wo er die Söhne des Herren unterhalten sollte oder dergleichen.

Doch aus ihm war etwas ganz anderes geworden. Offenbar hatte ein Besitzer der unzähligen Gladiatorenschulen Potential in ihm gesehen und ihn auf gut Glück gekauft. Dabei wusste man nie, ob es eine Enttäuschung war, einen Sklaven basierend auf Spekulationen zu erwerben.

Delian war unschlüssig. Sollte es ihn freuen, seinen alten Gefährten wiederzusehen oder sollte es ihn ängstigen, wenn er sich so in den alten Zeiten zurückversetzt fühlte? Alexis half ihm bei der Entscheidung. Ihre Arme, die um seine Schultern geschlungen waren und ihren Hals, den sie so breitwillig zum vergraben anbot, passten ihm in diesem Moment besser als alles. Sie begann seinen Rücken sanft auf und ab zu streicheln, murmelte einige Wörter auf Latein und nutzte dabei eine ruhige und sanfte Stimme. Sie war viel zu nett zu ihm. "Gratias ago, Alexis.", murmelte er ihr irgendwann zu. Er löste sich von ihr, blickte sie an und zwang sich zu einem matten Lächeln. "Du brauchst dich nicht zu bedanken, Deli. Du bist doch auch immer da, wenn ich dich einmal brauche. Dafür sind Freunde da. Um einander zu helfen und einander zu trösten, wenn etwas passieren sollte, was einander vielleicht auseinander bringen könnte."

Ihre Worte wärmten sein Herz, füllten es mit Wärme und Geborgenheit. Manchmal hatte Delian das Gefühl, in Alexis Blick sogar so etwas wie Liebe zu lesen, doch das war unwahrscheinlich, weil sich das Mädchen der Regeln bestens bewusst war. Er selbst empfand längst nicht mehr nur freundschaftlich für sie. Aber er konnte es ihr nicht sagen, dazu hatte er nicht die Courage und er war lange nicht so wortgewandt wie sie. Außerdem, was passierte, wenn sie nicht so empfand? Er wäre enttäuscht, sie jedes Mal beschämt, wenn sie sich ansahen und das war das wenigste, was er wollte, nicht um ihret-, nicht um seinetwillen. Es mochte sein, dass es egoistisch klang, doch Gedanken waren das einzige, was wirklich nur ihm gehörte und was er nach Möglichkeit nicht gerne mit anderen teilte.

"Möchtest du gehen?" Alexis warf ihn aus seiner Privatsphäre. Auch der Kaiser sah ihn eindringlich an, das spürte der Sklave. Und wenn er sich jetzt entschied zu gehen? Er würde seinen ehemaligen Freund zweifelsohne niemals wieder sehen. Ob es das wert war? Könnte er mit Alexis nach Hause gehen und vergessen, was alles geschehen war? Konnte er mit der Vergangenheit abschließen?

Ja, hörte er die Stimme seines Vaters in seinem Kopf herumspuken, ja, du musst mit der Vergangenheit abschließen. Richte deinen Blick auf die Gegenwart und bedenke die Zukunft, egal, ob sie noch ungewiss ist.

Wie ironisch. Sein Vater, der Mann, der in seiner Vergangenheit wohl am weitesten hinten lernte, riet ihm, die Vergangenheit ruhen zu lassen, was aber mit sich brachte, dass er keine Ratschläge mehr annehmen konnte und dass er vergessen musste, woher er kam.

"Ja, bitte Alexis. Ich möchte gehen." Das angesprochene Mädchen lächelte, warf ihrem Vater einen traurigen Blick zu und ging dann zusammen mit Delian in Richtung der imposanten Ausgänge. Er wollte dieses Blut loswerden, ebenso diese Erinnerungen. "Du bist so schweigsam, Deli. was ist los? Was ist es, das dich so bedrückt?", fragte sie ihn auf einmal und ließ ihn erstaunt vom Boden aufsehen, direkt in ihre Augen. Lage Zeit gab er keine Antwort und sie liefen schweigend nebeneinander her. "Weil mir etwas klar geworden ist.", erwiderte er schließlich.

Sie hob eine Augenbraue überrascht in die Höhe, doch sie senkte sich sofort wieder zu einem strahlenden Lächeln, das die Sonne wie einen kalten Planeten dastehen ließ. Sie war wirklich herzallerliebst.

"Du, Deli? Darf ich dich etwas fragen?" Er blickte sie überrascht an, während sie auf das Grundstück ihrer Eltern trat und dort zielstrebig auf ihr Zimmer zusteuerte, seine Hand fest in ihrer. "Natürlich. Was möchtest du wissen, kleine Alexis?" Er setzte sich auf ihr Bett, drückte sie fest an sich und streichelte ihr die braunen Haare aus der Stirn, deren Glanz in der Sonne er liebte. "Was heißt dieser britannische Satz, den dein Bekannter in der Arena geschrien hat?"

Diese Frage überraschte ihn. "Das muss jeder für sich selbst herausfinden. Vielleicht hat er schon die Antwort darauf gefunden, wer Weiß? Vielleicht wollte er aber auch nur Eindruck machen und uns etwas zum Überlegen geben." '

Nachdenklich nickte Alexis. "Vielleicht hat er dich auch einfach erkannt und ihm ist nur dieser eine Satz in eurer Sprache eingefallen?" Delian zuckte ahnungslos mit den Schultern. "Victoire müsste man heißen, um das zu wissen." Sie schwieg wieder und bald spürte er, wie ihre Atmung in die des Schlafes überging, wie sie sich auf seiner Brust zusammenrollte und ihm jegliche Fluchtmöglichkeit versperrte. So lag sie nun da, so schön, so rein und mit dem engelsgleichen Lächeln auf ihren Lippen. Gott ja, er liebte sie. Sie und alles, was sie so besonders machte und zum Teufel mit dem, was man durfte und was nicht. sie schlief doch sowieso.

Er beugte sich vor und schenkte ihr einen hauchzarten Kuss auf die vollen, weichen Lippen.

Pugna et Ama!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt