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Woojin

[März 2015]

"Ich kann das nicht", es war nicht mehr als ein Murmeln, zu dem er fähig war.

Als Woojin an diesem Morgen aufgestanden war, hatte er noch ein gutes Gefühl gehabt. Doch jetzt, wo er so unmittelbar davorstand, wollte er nichts lieber als sich Zuhause wieder unter seiner Bettdecke zu verkrümeln und alleine zu sein – er wollte nichts hören, niemanden sehen, nichts mehr fühlen.

Er spürte seinen Puls jedes mal einwenig mehr beschleunigen, wenn er von außerhalb erneut die Schreie hörte. Für ihn das Geschrei des Horrors, das ihm den Schweiß auf die Stirn trieb und gleichzeitig das Blut in den Adern gefrieren ließ und all seine Sinne betäubte. Wie eine Klapperschlange zitternd hockte er auf dem Stuhl, der Blick auf einen fernen Punkt in der Leere gerichtet. Schwer schluckend versuchte er verweifelt den Knoten in seinem Hals zu lösen, doch blieb erfolglos.

Gleich würde er alleine da draußen stehen, komplett auf sich selbst gestellt, wie ein verlorenes Lamm auf der Weide, das sich nicht zu helfen wusste – und er würde sich blamieren, sich zur Lachnummer machen, während unzählige Augenpaare Zeuge davon wurden.

"Was hast du gesagt?", unterbrach eine Stimme neben ihm sein Kopfkino und zog ihn somit zurück in die Realität.

"Ich kann das nicht, ich...", entschlossen stand Woojin auf, musste sich an der Wand abstützen, um nicht auf der Stelle umzukippen. "Ich muss hier dringend raus."

"Hey, du bleibst schön hier!", noch bevor er irgendwo hin konnte, wurde er von seinem Kumpel am Arm gepackt, ehe dieser ebenfalls aufstand und sich direkt vor ihm aufstellte. Angesicht zu angesicht standen sie da; Woojin fühlte sich durchbohrt von dem scharfen Blick seines Gegenübers, und nicht zuletzt auch von dem kräftigen Griff an seinen Schultern – doch zu durchflutet war sein Körper vom Adrenalin, als dass er irgendeinen Schmerz hätte spüren können.

Mit einer Schnappatmung, die es ihm unmöglich machte sich zu beruhigen, erwiderte er: "Nein, Minho, du verstehst das nicht-"

"Woojin!", bellte sein Kumpel zurück. "Woojin, sieh mich an."

Ohne zu zögern sah er in seine vertrauten, tiefbraunen Augen, die ihn für einen klitzekleinen Moment von der Situation ablenkten.

"Du schaffst das, klar?"

Woojin schüttelte den Kopf.

"Hör zu", Minhos Griff verstärkte sich, "Dort draußen wird dich nichts neues erwarten. Das ist der Moment auf den du die letzten vier Jahre hingearbeitet hast – und jetzt ist es endlich soweit. Das ist es wofür du tagtäglich trainiert hast, wofür du einen Teil deiner Jugend aufgegeben hast."

Woojin schluckte.

"Soll das alles jetzt etwa umsonst gewesen sein? Du hast es fast geschafft, so kurz vor dem Ziel kannst du jetzt nicht kneifen!"

Ohne es zu realisieren beruhigte sich Woojins Atem ein Stück weit, "Aber was ist, wenn ich es verhaue? Wenn meine Stimme versagt, wenn ich einen Schritt vergesse, wenn-"

"Hey!", Minhos Stimme war fast schon aggressiv, "Soweit wird es nicht kommen, klar? Du hast monatelang geübt und kannst das im Schlaf. Mit deinem Talent wird das ein Kinderspiel."

Woojin biss sich auf die Lippe.

Mit einer Hand griff Minho nach dem Mikrofon auf dem Tisch neben ihnen und hielt es seinem besten Freund entgegen. "Vertrau mir."

Tief durchatmend nahm er es an sich, stellte dabei fest, dass seine Hände nicht mehr zitterten.

"Es sind maximal 6 Minuten, die du da draußen stehst. Du rockst das."

The Kids Of Olympus | Stray KidsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt