Prolog

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März 2008

Der Sarg war von Blumen geschmückt

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Der Sarg war von Blumen geschmückt. Weiße Rosenblätter lösten sich von der Blüte und wehten im Wind davon, während sich eine Schar von Menschen um den Eingang der Kirche versammelt hatte. Die Frauen trugen schwarze Kleider, in denen sie eigentlich hätten frieren müssen, und die Männer hatten sich in Hemden und feinen Stoffhosen gekleidet. Seit jeher hatte ich schwarz gerne gemocht, aber der Anzug, in den sie mich gequetscht hatten, zwängte mich ein. Vielleicht war es auch die Atmosphäre, die mir die Luftröhre zuschnürte. Im Nachhinein konnte ich das nur schwer sagen, doch es war absolut klar, dass mich niemand beachtete. Es war ganz egal, was ich tat. Die Hauptsache war, ich benahm mich dem Anlass entsprechend und hielt mich stillschweigend im Hintergrund auf.

„Logan!" Eine der alten Damen steuerte auf meinen Dad zu, der sich soeben durch die große Pforte des Friedhofs geschoben hatte. Es war Tante Beth, die Schwester meiner Mom. Die beiden waren sich nie einig gewesen. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, weshalb sie es dennoch wagte, herzukommen.

Sofort setzte ich mich in Bewegung. Meine Schritte waren dabei wackelig, obwohl ich mein Ziel kannte. Ich wollte Dad beistehen, denn obwohl sich die Menschen hier mehr für ihn als für mich zu interessieren schienen, hatte ich das Gefühl, die plötzliche Aufmerksamkeit bekam ihm nicht sonderlich gut.

„... Das war natürlich abzusehen." Tante Beth hatte gerade geendet, da erreichte ich meinen Dad. Ich brauchte mich nicht zu sorgen, dass ihn Beth's grausame Worte trafen. Seine Augen waren starr auf das Grab gerichtet und den abgedeckten Hügel, unter dem sich die Erde verbarg.

Als hätte Dad die Trauergäste auf magische Weise angezogen, gesellten sich mit einem Mal auch Grandma, und unsere Nachbarin vom anderen Ende der Straße, zu uns. Die Stille wurde unzumutbar. Schwere lastete auf meinem Brustkorb, als hätten sie alle ihre Hände drauf gelegt und kräftig zugedrückt. Mein Kopf begann zu schmerzen, während ich hinaufsah zu den Gesichtern und wie ihre Augen auf meinen Dad fixiert waren. Wie betäubt drehte er sich weg, und die ganze Mannschaft folgte ihm, als hätten sie nichts besseres zu tun.

Tante Beth versuchte sogar, ihn wieder zurückzuholen. Erkannten sie denn nicht, dass er fliehen wollte?

Meine Wangen glühten. Unter meinen Lidern brannte es und Scham erfüllte mich mit solcher Wucht, dass es sich anfühlte, als würde man mir das Herz herausschneiden, meine Gedanken, für alle Welt sichtbar, offenbaren und zur Schau stellen. Ich war verwundbar wie noch nie. Dafür verabscheute ich diesen Tag. Er war die reinste Folter und sobald er vergangen war, würde ich mich nie wieder freiwillig auf eine Beerdigung begeben. Mich derart ausliefern. Es war mir ein Rätsel, wie Dad es schaffte, einigermaßen aufrecht zu stehen, mit der Last auf den Schultern, die so schwer wog wie all die Erinnerungen, die Mom und er geteilt hatten.

Unwillkürlich erinnerte ich mich an die vielen Fotos in dem Flur unserer winzigen Wohnung. Noch vor einem halben Jahr hatte Mom mir die ganzen Einzelheiten ihrer Reisen erzählt. Sogar in Europa waren Mom und Dad gewesen; Auf dem Eiffelturm, in Reykjavik, die Nordlichter sehen, und an der Küste Italiens. Außerdem hatten sie halb Amerika durchquert, nur, um am Strand von Orange County entlanglaufen zu können. Jedesmal bei ihren Erzählungen, hatte mich das Fernweh gepackt. Jetzt hoffte ich bloß, irgendwann würde es weniger weh tun, an eine Zukunft ohne meine Mom zu denken. Dass ich die Einsamkeit überstehen und heilen könnte. Und ich wusste, sie hätte es sich von ganzem Herzen gewünscht, aber ich hatte nicht den blassesten Schimmer, wie ich das anstellen sollte. Die Zeit schien still zu stehen. So war ich gefesselt an diesen Moment, in dem ich meiner Mom auf Wiedersehen sagen musste. Das war es, was von mir erwartet wurde ... und von Dad ...

Einhundert Meilen von dir entferntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt