Es regnete. Natürlich regnete es. Wie immer, wenn ich nicht mal genug Geld für eine blöde Portion Fish n' Chips zusammen hatte, musste mir das Schicksal nochmal 'nen Arschtritt verpassen. Ich stöhnte genervt. Lange würde meine Gitarre dieses Wetter nicht mehr aushalten. Doch ich versuchte, mir nicht darüber den Kopf zu zerbrechen und spielte einfach weiter.
Ein einzelner Wassertropfen hatte sich den Weg durch meine kurzen Haare bis zu meiner Nasenspitze gebahnt, als es aufhörte zu regnen.
Zumindest nicht mehr auf mich.
Ich sah auf und blickte meinem Gegenüber direkt in die Augen, fast schon störrisch.
"Sie schon wieder."
Der Mann zuckte mit den Schultern und lächelte dabei.
"Scheint so.", meinte er. Er blinzelte, da ihm ein Wassertropfen auf die Wange gefallen war. Ich musterte ihn unbeeindruckt.
"Sie werden nass.", fuhr ich fort. Nun grinste er, wobei sich Lachfältchen um seinen Mund schlichen.
"Sie aber auch, wenn ich nicht wäre."
Ich zog eine Augenbraue hoch.
"Den weißen Ritter brauchen Sie nicht zu spielen, wegen mir müssen Sie ihren 600 Pfund Anzug nicht ruinieren." Etwas verwirrt lächelte er kurz und sah dann an sich herunter. Gerade als er ansetzen wollte unterbrach ich ihn jedoch wieder.
"Tun Sie nicht so, ich habe Augen.", meinte ich nüchtern, wobei mein Mund fast so etwas wie ein Lächeln formte. Ob ich ihn als süß oder naiv deklarieren wollte, ich wusste es nicht. Zumindest noch nicht, doch für den Moment war er eine willkommene Ablenkung für mich. Damit wollte ich nicht andeuten, dass ich mit ihm in einer dunklen Ecke oder seiner Wohnung verschwinden wollte, nein, einfach mal ein bisschen soziale Interaktion.
"Wie heißen Sie, wenn ich fragen darf?", unterbrach er meine Gedanken und sah mich fragend an. Ein Brite, wie er im Buche stand. Trotzdem war ich etwas verwirrt über diesen... nunja, nennen wir es Annäherungsversuch.
"Und warum wollen Sie das wissen, wenn ich fragen darf?", machte ich ihn nach, fuhr aber kurz darauf fort.
"Ne mal im Ernst, warum wollen Sie als berühmter Schauspieler den Namen einer Pennerin wissen? Hockt hier in irgend'ner Ecke n' Kamera-Team und macht Fotos für die neue 'People' oder wie?" Misstrauisch ließ ich meinen Blick durch die Menschenmassen laufen, konnte aber keine Paparazzi ausmachen.
Der Kerl hob beide Hände und damit auch den Regenschirm, sodass ich nun wieder den Naturgewalten ausgesetzt war. Doch er bemerkte es sofort und hielt ihn wieder über mich.
"Bloß nicht! Ich würde nicht mal im Traum daran denken, sowas nur wegen guter Publicity zu machen! Ich bin einfach nur ehrlich an ihnen interessiert, das ist alles!", verteidigte er sich. Diese für mich sonst so leeren Worte schienen aus seinem Mund wirklich ernst gemeint, weswegen ich es wagte und auf seine Frage einging.
"Corey. Heesters."
Die Anspannung in seinen Zügen verflüchtigte sich und ein zartes, jungenhaftes Lächeln stahl sich auf seine schmalen Lippen. In selben Moment bemerkte ich, dass es aufgehört hatte zu regnen.
"Ein schöner Name. Ich bin übrigens Thomas." Er streckte seine Hand aus, welche ich nach kurzem Zögern ergriff und fest drückte.
"Sie können den Schirm übrigens wieder - ..."
Zack.
"Schon geschehen."Tom
Heute würde ich es versuchen. Heute würde ich sie ansprechen. Mit diesem Gedanken der sich immer wieder mantra-artig in meinem Unterbewusstsein manifestierte, steuerte ich die Boutique an, an deren Ecke sie immer mit ihrer alten Gitarre saß. Schon von weitem hörte ich die leisen Töne von Hero.
Da war sie, entspannt auf ihrem Campingstuhl, die Beine übereinander geschlagen und die Gitarre darauf abgestützt.
Wie Spinnenbeine schliffen ihre Finger über die Saiten und erzeugten diese charakteristischen, vollen Klänge, die melodischer nicht hätten sein können.
Ein letzter, tiefer Atemzug, dann fasste ich mir ein Herz und setzte mich in Bewegung. Doch kaum war ich losgelaufen, klatschte mir ein dicker Wassertropfen ins Gesicht. Weitere folgten. Nur wenige Sekunden später hatte ich meinen Schirm aufgespannt meinen Weg fortgesetzt. Würde ich mich nicht beeilen, würde Sie noch nass werden, und das wollte ich auf keinen Fall. Also hielt ich, ungeachtet meines eigenen Wohlbefindens, ihr kurzerhand meinen Schirm über den Kopf. Sie stoppte in ihrem Spiel und sah auf.
"Sie schon wieder." Ihre Stimme war weich und voll. Während sie sprach, fixierten mich ihre dunklen Augen. Kurzzeitig vergaß ich zu atmen. Aus der Nähe war diese Frau noch faszinierender als ich es mir je erträumt hätte.
Und 'Sie schon wieder?' Anscheinend war ich doch nicht so unentdeckt geblieben, wie ich es immer geglaubt hatte. Tatsächlich schaffte ich es irgendwie, etwas, das einem Gespräch zumindest ähnelte, auf die Beine zustellen.
Bei ihrer Frage, ob ich dies alles nur für gute Publicity tun würde, versetzte es mir einen kleinen Stich. Es schmerzte, dass sie so von mir dachte, aber es bewies nur, dass sie weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen war. Sie war schlau, was sie nur noch interessanter für mich machte.
Als ich mich endlich dazu aufgerappelt hatte, sie nach ihrem Namen zu fragen, dauerte es auch hier einige Zeit, bis ich sie übezeugt hatte, dass ich wirklich an ihrer Person interessiert war.
"Corey. Heesters.", fügte sie noch hinzu und lächelte. Und in diesem Moment, als wäre es ein Zeichen, hörte es auf zu regnen.Corey
Es war interessant mit anzusehen, in welche Richtung unser Gespräch entwickelte. Ja, so langsam konnte man es wirklich schon ein Gespräch nennen. Nachdem mir bewusst wurde, dass ich heute nichts mehr verdienen würde, hatte ich mich von Thomas dazu breitschlagen lassen, mit ihm ein bisschen spazieren zu gehen. Also packte ich kurzerhand meine Sachen zusammen; packte meine Gitarre ein und klappte den Stuhl zusammen.
"Kanns losgehen?", fragte er und steckte die Hände in die Hosentaschen. Ich vollbrachte das Kunststück, mit den Schultern zu zucken und gleichzeitig zu nicken.
"Sicher."Wir hatten noch keine zehn Meter zurückgelegt, als meine Begleitung wieder das Gespräch aufgriff.
"Also, Corey... Erzähl mir was über dich!" Holla, mit sowas hatte ich echt nicht gerechnet. Ich blähte die Backen und schielte unwissend zu ihm herüber.
"Tja... gibt nur halt nicht so viel zu erzählen, ne'?", sagte ich und spielte mit dem Reißverschluss meiner Tasche. Thomas lachte auf und fuhr sich dabei mit der Hand über den Nacken.
"Ach komm schon Corey, machs' mir doch nicht so schwer!" Seine großen, treuherzigen Augen sahen mich forsch an.
Etwas überfordert spielte ich an meinen fingerlosen Handschuhen herum. Ich war diese Art von Aufmerksamkeit überhaupt nicht gewohnt. Es war... befremdlich, und dennoch irgendwie schön.
"Naja, dass ich obdachlos bin und Gitarre spielen kann weißt du ja schon. Ich lese - ..."
"Du bist obdachlos?!" Thomas war stehen geblieben und sah mich fassungslos an.
Ich schnaufte genervt und verdrehte die Augen.
"Ne weiß'te, ich penn nur zum Spaß hinterm U-Bahn Schalter! Is' nur n' Social Experiment!", blaffte ich ihn an und fuchtelte wild mit den Händen herum, als wollte ich Fliegen verscheuchen.
Für einen Moment hatte es dem Braunhaarigen die Sprache verschlagen, er sah mich einfach nur an. Den Ausdruck in seinen Augen konnte ich jedoch nicht deuten.
Nach langen Sekunden des Schweigens schien er sich wieder gefangen zu haben.
"Wie lange schon?", fragte er leise.
Ich warf ihm einen störrischen Blick zu und verschränkte die Arme. Mein Rucksack drohte, an meiner Schulter herunterzurutschen, doch ich ignorierte das.
"Warum interessiert dich das? Du musst dich nicht dazu zwingen, mit mir ein Gespräch zu führen!" Ich führte mich auf wie ein kleines Kind.
Thomas seufzte und fuhr sich über seinen kurzen Stoppelbart.
"Erlaubst du mir, dass ich dich in einem Hotel einquartiere, bis ich eine Wohnung für dich gefunden habe?"
"Hä?" Verwirrt sah ich ihn an. Als ich die Bedeutung seiner Worte endlich realisiert hatte, machte sich Panik in mir breit.
"Oh nein, denk nicht mal dran! Ich brauche keine Almosen, ich komm gut alleine klar!", sagte ich hastig und machte einen Schritt zurück.
"Corey - ...", setzte er an, doch ich unterbrach ihn sofort wieder.
"Nein, Thomas, bitte. Du musst das nicht machen, wirklich."
So wie es aussah, hatte ich gewonnen.
Doch es sah nur so aus.
"Also gut. Aber darf ich dich um eine Sache bitten?", fragte er nun, und ab da an wusste ich echt nicht mehr weiter. Ich sog geräuschvool die Luft ein und stützte im gleichen Atemzug die Hände in die Seiten.
"Du bist ziemlich anstrengend, weißt du das? Und wenn das 'ne plumpe Anmache is', dann Gnade dir - ...", drohte ich ihm, doch er lachte nur.
"Nein, Blödsinn, ich wollte nur fragen, ob du mir was vorspielst.""Irgendwelche besonderen Wünsche?", fragte ich, nachdem Thomas - den ich auf Wunsch jetzt übrigens Tom nennen sollte - mich überredet hatte, ihm nun doch etwas vorzuspielen. Allerdings nur widerwillig und unter der Bedingung, dass ich auch meine Geldmütze auslegen durfte.
Tom nickte und lächelte.
"Hero, also das, was du vorhin gespielt hast."
Ich seufzte.
"Also gut."Sanft zupfte ich an den Saiten, die erst Töne, Melodien, und dann ein ganzes Lied erschufen. Anfangs summte ich nur etwas mit, doch irgendwann wurde es ein Flüstern und letztendlich ein Singen.
"... so let me go, I don't wanna be your hero. I don't wanna be your big man, just wanna fight like everyone else. Your maskerade..." Ich hielt die Augen geschlossen, denn so empfand ich die Musik immer viel intensiver, lebendiger.
Als der letzte Ton verklungen war, öffnete ich sie wieder und sah zu Tom.
"Ich hab dich noch nie singen gehört.", meinte er etwas verdattert und blickte mir direkt in die Augen. Ich lachte auf.
"So schlimm?"
DU LIEST GERADE
Heavens tears
RandomEs regnete. Natürlich regnete es. Wie immer, wenn ich nicht mal genug Geld für eine blöde Portion Fish n' Chips zusammen hatte, musste mir das Schicksal nochmal 'nen Arschtritt verpassen. Ich stöhnte genervt. Lange würde meine Gitarre dieses Wetter...