Der Kampf geht weiter

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Den nächsten Tag verbrachte Hinata in seinem Zimmer. Nicht nur, dass er wegen der Geschichte mit Kageyama deprimiert war, er hatte sich auch noch eine fiese Erkältung eingefangen, und das nur wenige Tage vor ihrem großen Turnier. Seine Mutter war am gestrigen Tag ziemlich sauer auf ihn gewesen, weil erst so spät nach Hause gekommen war, und auch Natsu hatte sich furchtbar aufgeregt.

Er konnte es ihnen nicht übel nehmen, sie machten sich ja auch nur Sorgen. Aber am meisten Sorgen machte er sich um sich selbst und um Kageyama...und um seine Karasuno. Es wäre alles so einfach, wenn er nach Tagen endlich eine Erklärung für das gefunden hätte, was hier abging. Es war die Ungewissheit, die ihn zermürbte und geradezu wahnsinnig machte. Er wollte endlich Antworten.

Das sanfte Vibrieren seines Handys zeigte ihm an, dass es zumindest noch jemanden gab, der sich für ihn interessierte. Er tastete im Liegen nach dem Gerät auf seinem Nachtschrank und schaute auf das Display. Kindaichi hatte ihm eine Nachricht geschickt.
"Hey, Hinata. Yahaba hat mir erzählt, was gestern passiert ist. Deine Jacke und deine Schultasche hast du auch schon wieder im Clubraum vergessen. Du solltest echt besser auf deine Sachen aufpassen. Ich hab alles bei mir mit ins Schließfach gepackt." Hinata seufzte. Er konnte auch gar nichts mehr richtig machen. In dem Moment vibrierte das Handy erneut und er bekam eine zweite Nachricht.

"Alles okay bei dir?" Hinata tippte eine Nachricht zurück: "Ich bin krank. Erkältung." Kindaichi musste gut im Schreiben sein, denn die nächste Nachricht folgte sogleich.
"Oh, das ist ja scheiße :( Wirst du bis zum Inter High wieder fit?", "Mal sehen.", "Ich zähl auf dich. Gute Besserung.", "Danke." Hinata klappte das Handy wieder zu und legte es zurück auf seinen Platz, als er schon wieder diese nervigen Kopfschmerzen bekam.

Er hoffte wirklich, dass es ihm bis zum Turnier wieder besser ging. Er wollte natürlich mitspielen aber vor allem wollte er Kageyama wiedersehen. Zwar wurde er von ihm erst vor einem halben Tag aufs Übelste abserviert, doch er hatte das Gefühl, dass Kageyama der einzige war, der ihm jetzt noch helfen konnte. Woher dieses Gefühl kam wusste er nicht. Doch es gab leider nichts anderes, woran er sich festklammern konnte. Zudem er ihm für die Aktion im Park sowieso eine Erklärung schuldig war.

Ein paar Tage später konnte er zumindest wieder vom Bett aufstehen, ohne, dass sich alles um ihn herum drehte und der Husten hatte sich auch gelegt. Er hatte zum Glück auch kein Fieber mehr und seine Chancen doch noch am Inter High teilzunehmen standen gut. Ein wenig freute er sich ja schon aber die Sehnsucht nach seinem alten Leben, seiner alten Welt hatte seit der "Seelsorge" mit Yahaba deutlich überhand genommen. Er wollte wieder mit der Karasuno spielen und vor allem wollte er Kageyama als seinen Partner zurück.

Mit Verbitterung dachte er an einen Spruch, den seine Großmutter früher immer zu ihm gesagt hatte: "Man weiß erst was man hatte wenn man es verloren hat." Die Bedeutung dieses Spruches wurde ihm erst jetzt so richtig bewusst. Hatte er wirklich alles verloren? Er wollte es nicht wahrhaben. Solange er die Möglichkeit hatte, würde er kämpfen, doch gegen wen? Beim Volleyball sah man seine Gegner vor sich, aber sonst? Gab es wirklich für alles eine Lösung? Er würde es herausfinden müssen.

Von einer plötzlichen Entschlossenheit gepackt zog er sich seine Trainingsjacke an, nahm sich seinen Volleyball vom Regal und beschloss wieder langsam mit dem Training anzufangen. Er würde es nicht übertreiben, um nicht gleich wieder krank zu werden. Doch hängen lassen wollte er sich auch nicht. Man bekam nicht oft die Chance an so einem Turnier teilzunehmen, da wäre es eine Schande, sie nicht zu nutzen. Und vielleicht würde sich dann alles andere von selbst regeln. Immerhin war auch das Team von Kageyama einer der Teilnehmer, also würde er ihn auf jeden Fall wiedersehen.

Wie erwartet war er pünktlich zum Turnier wieder fit. Manchmal hatte man einfach Glück im Unglück. Als er gerade mit seinen Teamkollegen der Seijoh den Spielplan studierte, wurde er dann doch ziemlich aufgeregt. Ihr erster Gegner war die Dateko, die legendäre Eisenwand, die jeden Angreifer zum Verzweifeln brachte. Eigentlich war jede Mannschaft, die beim Inter High antrat, auf ihre eigene Art und Weise gefährlich, aber bei der Dateko musste er immer an die Geschichte mit Asahi denken und das machte es wirklich nicht einfacher.

Mit Schaudern dachte er daran, dass sie, wenn sie in den Vorrundenspielen genug Punkte sammeln würden, auch gegen auch gegen die stärkste Mannschaft der Präfektur, die Shiratorizawa spielen würden. Oikawa freute sich ja schon total darauf. Er bekam von dem Gedanke eher Bauchschmerzen.
"Hey Chibi-chan, du musst nicht nervös sein.", hörte er dessen Stimme und spürte seine Hand auf seiner Schulter. Verhielt er sich schon wieder so auffällig?
"Oikawa hat Recht. Du stehst nicht allein auf dem Platz, also tu einfach dein Bestes!", pflichtete ihm Iwaizumi bei und für einen seltenen Moment waren die beiden Drittklässler einer Meinung. Hinata spürte, wie er etwas ruhiger wurde aber seine Nervosität nicht vollständig abklang. Jetzt würde sich entscheiden, wie gut sie als Team harmonierten. Davor hatten sie nur im Training zusammen gespielt, aber das hier war eine völlig neue Situation, vor allem für Hinata selbst.

Einige Momente des Wartens und ein paar kleinere Nervenzusammenbrüche später standen sie tatsächlich der berühmten Eisenwand gegenüber. In Turnieratmosphäre zu spielen, war noch einmal etwas ganz anderes als nur Testspiele zu absolvieren. Beide Teams hatten natürlich ihre Unterstützer mitgebracht, die sie auf den Rängen mit lauten Sprechchören anfeuerten. Eigentlich fing das Spiel für die Aobajōsai sehr gut an.

Oikawa hatte Aufschlag, was ihnen schon einen Vorteil einbrachte, denn seine Aufschläge waren extrem schwer anzunehmen, auch für eine abwehrstarke Mannschaft wie die Dateko. So konnten sie einige Punkte machen und sich ein sicheres Polster schaffen. Doch es dauerte nicht lange, bis die Mannschaft der Dateko ihre Zermürbungsstrategie durchschaut hatte und sich erfolgreich den Ball zurückerobern konnte.

Mit einem gezielten Schlag hatte Futakuchi, der Außenangreifer der Dateko, den Ball im Spielfeld der Seijoh versenkt und damit den ersten Punkt für sein Team geholt.
"Gute Arbeit Futakuchi!", "Super gemacht!", erklangen auch schon die Lobrufe seiner Teamkameraden. Jetzt war die Dateko mit den Aufschlägen dran und auch die waren alles andere als schlecht.
Watari schaffte es gerade so den Ball anzunehmen und spielte ihn zu Oikawa. Hinata handelte instinktiv. Er wollte diesen Ball schlagen, nein er musste ihn schlagen! Das war seine Chance. Er sprang vor dem Netz hoch, als sich Aone und Kamasaki vor ihm aufbauten und ihm die Sicht übers Netz versperrten. Das war sie also, die berühmte Eisenwand. Hinata sah nur noch den Ball und wusste nicht, wohin er ihn schlagen sollte. Eine undurchdringbare Mauer hatte sich vor ihm aufgebaut. Er konnte die andere Seite nicht sehen.
Mit einem lauten Knall landete der Ball auf dem Hallenboden. Das Geräusch erzeugte ein Echo in der ansonsten plötzlich still gewordenen Halle. Dann brach ein Jubeln in den Rängen und auf einer Seite des Spielfeldes aus.
Geblockt.

"Macht nichts, Hinata!", rief Iwaizumi ihm zu, bevor dieser realisiert hatte, dass der Punkt an die Dateko ging. Er hatte es nicht geschafft, die Eisenwand zu überwinden.
"Den nächsten machst du rein.", meinte Kindaichi und überwand die kurze Distanz zwischen ihnen um ihm auf die Schulter zu klopfen. Hinata nickte. Es war nur ein Block. Beim nächsten mal würde er einen Punkt machen, ganz sicher!

Doch auch das nächste Zuspiel, was er bekam, reichte nicht für einen Punkt. Immer wieder prallte der Ball an den Armen der Blocker ab. Langsam wurde es lächerlich. Er hatte den Angriff doch so oft mit Oikawa trainiert, warum also wollte es jetzt nicht klappen? War er zu nervös? Hilfesuchend sah sich Hinata auf dem Feld nach den anderen Spielern um, doch keiner von ihnen schien ihre Taktik in Frage zu stellen. Keiner von ihnen sagte auch nur ein Wort zu ihm.

Sie mussten sich noch keine Sorgen um ihren Spielstand machen, noch führte die Seijoh mit fünf Punkten. Bis jetzt hatten Iwaizumi und Hanamaki die meisten Punkte geholt, Hinata dagegen nicht einen einzigen. Es war, als würde der Gegner jede Bewegung von ihm vorhersehen. Wie nützlich wäre ihnen jetzt wohl ein Schnellangriff? Oder ihre Lockvogel-Technik?

Es war nicht so, dass er keine Bälle mehr zugespielt bekam, aber je mehr Bälle er bekam, desto weniger wusste er mit ihnen anzufangen. Es war, als hätte er völlig verlernt, wie man Volleyball spielt. Und das obwohl er so eine gute Mannschaft hinter sich hatte. Der erste Satz war schneller vorbei, als gedacht. Natürlich hatte die Aobajōsai gewonnen, wenn auch nicht besonders eindeutig.

Hinata war sich sicher, dass sie höher gewonnen hätten, wäre er ihnen nicht so ein Klotz am Bein gewesen. Enttäuscht und irgendwie gedemütigt trottete er zur Reservebank um sich etwas zu trinken zu holen. Das war ja wirklich total in die Hose gegangen. Er hatte einen, vielleicht zwei Punkte gemacht aber er hatte so viel mehr Chancen gehabt.

Er nahm sich vor, im zweiten Satz besser zu werden. Auch wenn er nicht wusste, wie. Leider lief dieser noch katastrophaler ab, als der erste. Er probierte immer mehr, versuchte immer verzweifelter den Ball irgendwie übers Netz zu bekommen und seinem Team zu helfen. Doch er wurde immer wieder geblockt. Immer wieder. Wenn er nicht geblockt wurde, dann schlug er den Ball ins Aus oder verschenkte seine Angaben. Der zweite Satz endete mit einer Niederlage für die Blau-Weißen und Hinata war sich sicher, dass man sich über ihn ärgerte. Er hatte sich wirklich nicht von seiner besten Seite gezeigt.

Den dritten Satz verbrachte er auf der Reservebank. Der Trainer hatte ihm zu verstehen gegeben, dass eine Taktikänderung von Nöten war, aber es war ja wohl offensichtlich, dass er einfach nicht wollte, dass sein Team durch die schlechten Leistungen eines Einzelspielers herabgewürdigt wurde. Wenn die anderen Spieler auf der Bank über einen Punkt der Seijoh jubelten, musste er sich regelrecht dazu zwingen, einen motivierten Eindruck zu machen. Er wollte sich ja für sie freuen, wirklich! Aber gerade fühlte er sich nicht, als würde er dazugehören. War das überhaupt noch sein Team? War es je sein Team gewesen? Würde es außer der Karasuno je ein anderes Team für ihn geben?

Als das Spiel vorbei war und sie trotz vergeigtem zweiten Satz knapp gewonnen hatten, versuchte Hinata seinen Mitspielern größtenteils aus dem Weg zu gehen. Er wollte kein Mitleid aber er wollte auch nicht, dass sie sauer auf ihn waren. Er wollte eigentlich keinem von ihnen in die Augen sehen. Wie es jetzt wohl Kageyama ging? Ob die Shiratorizawa auch in ihrem ersten Spiel Probleme gehabt hatte?
"Weißt du schon, gegen wen wir als nächstes spielen?", fragte plötzlich eine Person neben ihm, die sich als Kindaichi herausstellte. Er hatte gar nicht gemerkt, dass der Mittelblocker ihm gefolgt war.
"Keine Ahnung", antworte er kurz angebunden, "Es wird bestimmt bald am Plan stehen.", "Hm...okay. Sag mal, ist das da vorne nicht der König?", meinte Kindaichi plötzlich und zeigte auf eine Person mit schwarzen Haaren und lila-weißer Trainingsjacke, die etwas weiter weg von ihnen mit verschränkten Armen an einer Wand lehnte und keinen besonders glücklichen Eindruck machte.

Hinata war sofort wieder bei der Sache. Kageyama. Wegen ihm war er doch hauptsächlich hier, oder etwa nicht?
"Ich bin kurz weg.", sagte er zu dem verdutzten Kindaichi, der ihm noch etwas hinterher rief, und bewegte sich mit schnellen Schritten auf den Zuspieler zu. Diesmal würde er sich nicht abweisen lassen. Er hatte sich vorgenommen, Kageyama um Hilfe zu bitten, auch wenn es ihm vielleicht wieder nur Enttäuschungen einbringen würde. Er wollte es zumindest versucht haben und nicht kampflos aufgeben.
"Kageyama, ich...", fing er an und wurde sofort von zwei tiefblauen Augen böse angefunkelt. Er zuckte zusammen, blieb aber standhaft. Er würde sich nicht mehr einschüchtern lassen.
"Was willst du? Willst du mir schon wieder auf die Nerven gehen?", knurrte er provokativ und versuchte Hinata mit seinem Blick zu erdolchen. In dem Moment erinnerte er ihn an Kageyama, wie er ihn auf der Mittelschule kennengelernt hatte, wie arrogant und gefühlskalt er sich gegenüber allen, auch ihm, verhalten hatte. Es tat ihm weh seinem Partner und Freund so gegenübertreten zu müssen. Es war, als würden sie noch einmal ganz von vorne anfangen.

"Ich...muss mit dir reden. Bitte! Es ist sehr wichtig!", versuchte Hinata ihn davon zu überzeugen, ihm wenigstens zuzuhören. Sein Gegenüber verzog keine Mine.
"Wir haben nichts zu bereden.", sagte dieser mit kalter Stimme, um ihn gleich wieder abzuweisen, "Ich wüsste auch nicht, was ich mit einem Seijoh Spieler zu bereden hätte." Hinata fing langsam an zu verzweifeln. Er wollte doch nur mit ihm sprechen, war das denn so schlimm?
"Kannst du mir nicht wenigstens eine Chance geben alles zu erklären?", fragte Hinata und sah bittend zu ihm auf, "Dann lass ich dich auch in Ruhe, versprochen!" Kageyama ließ seinen Blick einen Moment länger auf ihm ruhen. Er schien zu überlegen, ob er ihm vertrauen sollte.
"Du meinst das wirklich ernst?", fragte er skeptisch. Hinata nickte. Und wie ernst er es meinte.
"Gut, in 15 Minuten hinter der Sporthalle. Aber wehe, du versuchst mir irgendeinen Streich zu spielen, dann setzt es was.", drohte er und verschwand um die nächste Ecke.

Hinata blieb noch einen Moment lang stehen. Kindaichi hatte währenddessen zu ihm aufgeholt und begann ihn mit Fragen über seine Beziehung zum "König des Spielfeldes" zu löchern, doch Hinata hatte dafür keine Geduld. Er wollte, nein er musste mit Kageyama reden. Auch wenn er für den anderen aktuell nur ein kleiner, nerviger Spieler eines Rivalenvereins war, der ihm in Parks auflauerte.


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