Verkehrte Welt

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Als Hinata am nächsten Tag aufwachte, ging es ihm schon viel besser. Er fühlte sich frisch und erholt, obwohl er erst spät eingeschlafen war. Warum, wusste er selbst nicht, aber er war froh, dass der vorherige Tag nicht noch Nachwirkungen mit sich brachte.
Fröhlich summend machte er sich schulfertig und betrat die Küche, in der schon seine Mutter und Natsu zusammen am Frühstückstisch saßen.
"Morgen Mama, morgen Natsu.", begrüßte er die beiden fröhlich und setzte sich an den Tisch um seine Miso-Suppe zu essen.
"Du bist aber heute früh wach, Shouyou." meinte seine Mutter überrascht und strahlte ihren Sohn an.
"Hab gut geschlafen.", meinte Hinata und strahlte zurück. So sollte jeder Morgen beginnen. Wenn man ausgeschlafen war, ging es einem sowieso immer besser.
"Spielst du heute wieder mit Oikawa?", fragte seine Schwester mit vollem Mund, wofür ihre Mutter sie tadelte.
"Quatsch, der spielt doch gar nicht bei uns.", lachte Hinata amüsiert. Natsu brachte auch alles durcheinander, aber wer konnte es ihr übel nehmen? Er hatte sie schon mit so vielen Details über Volleyballtechniken und Spielernamen zugetextet, dass sie wohl den Überblick verloren hatte und nicht mehr wusste, wer eigentlich wo spielte.

"Ich werde heute mit Kageyama Schnellangriffe üben. So wuuusch und baaaam!", rief er und wedelte mit den Armen in der Luft herum um zu zeigen, wie sie genau spielen würden, "Das wird wieder mega cool!"
"Kageyama? Ist das ein neuer Spieler von euch?", fragte seine Mutter mit einem Stirnrunzeln und auch Natsu sah irgendwie irritiert aus.
"Nee, der war doch von Anfang an dabei. Der Große mit dem gruseligem Gesicht, den sie früher immer als "König" bezeichnet haben.", erklärte Hinata und wendete sich wieder seinem Frühstück zu. Das war jetzt schon irgendwie seltsam. Bei Oikawa konnte er es ja irgendwie noch verstehen, aber über Kageyama hatte er sich doch zu Hause schon ausgelassen, als er noch ganz neu im Club war. Manchmal verstand er seine Familie nicht.

"Shouyou, ich hab übrigens gestern mit dem Vater deines Mitschülers gesprochen, wegen deinem kaputten Fahrrad.", wechselte seine Mutter das Thema und Hinata blickte neugierig von seiner Suppe auf.
"Er hat sich freundlicherweise bereiterklärt dich heute mit dem Auto mitzunehmen. Dein Fahrrad ist bei deinem Onkel in der Werkstatt, er meinte es wäre nur ein kleines Loch im Reifen, was er flicken müsste. Morgen kannst du schon wieder damit fahren.", erklärte sie mit einem Lächeln und Hinata war überglücklich. Er würde schon morgen wieder den Hügel hinabdüsen dürfen und müsste nicht wieder einsam und allein in einem Wartehäuschen ausharren.
"Danke Mama.", sagte er strahlend und wunderte sich ein wenig, wie seine Mutter überhaupt an das Fahrrad herangekommen war. Er hatte ihr nix von seinem Platten erzählt und das Fahrrad hatte er kilometerweit entfernt an der Schule stehen lassen. Vielleicht hatten Daichi oder Suga irgendwas verbreitet, seine Mutter hatte ja nicht spezifiziert, mit welchem seiner Mitschüler er heute mitfahren würde. Aber eigentlich war das ja auch egal. Wichtig war, dass sein Fahrrad bald wieder funktionstüchtig war und er heute nicht laufen musste.

Als er schließlich fertig auf der Straße vor seinem Haus stand und auf seine Fahrgelegenheit wartete, flüchteten seine Gedanken wieder zu dem Vorfall mit Kageyama. Er dachte das ganze noch einmal durch und beschloss, sich heute ernsthaft bei ihm und natürlich auch dem Rest des Teams zu entschuldigen. Das schien tatsächlich das Vernüftigste zu sein. Er wollte ja wirklich keinen Streit mit Kageyama und auch wenn der Zuspieler manchmal ein ziemlicher Arsch sein konnte, hatte er im Prinzip nichts gegen ihn. Sie funktionierten als Partner auf dem Spielfeld und kamen auch sonst gut miteinander klar, auch wenn es für Außenstehende manchmal so aussah, als wären sie immer noch Erzfeinde. Auf eine komische Art und Weise mochte er Kageyama und seine seltsame, eigensinnige Persönlichkeit. Er würde ihn wirklich vermissen, wenn er eines Tages nicht mehr da wäre. Ja, er würde sich definitiv bei ihm entschuldigen und das bei nächster Gelegenheit!

Als er seinen Gedankengang zu Ende gebracht hatte, bog ein schwarzer Oldtimer in ihre Straße ein und kam direkt neben ihm zum Stehen. Hinata fragte sich ernsthaft, wessen Vater der Wagen gehörte, denn so ein Auto hatte er in seiner Nachbarschaft noch nie gesehen.
"Morgen Hinata-kun!", hörte er eine Stimme aus dem hinterem Fenster, die er von irgendwoher kannte. Als derjenige jedoch ausstieg, um ihn ordentlich zu begrüßen, war Hinata dann doch etwas erstaunt. Okay "etwas" war vielleicht untertrieben, er war sogar sehr erstaunt.
"Kindaichi? Was machst du denn hier?", fragte er, bevor er merkte, dass das vielleicht etwas unhöflich klang. Naja, zumindest hatte er ihn nicht wieder Schalottenkopf genannt. Trotzdem, was machte Kindaichi in seiner Nachbarschaft?
"Na, dich abholen.", antwortete der Angesprochene irritiert, "Hat deine Mutter dir nicht Bescheid gesagt, dass wir kommen?" Ja, seine Mutter hatte von einem "Mitschüler" geredet aber Kindaichi war doch nicht sein Mitschüler. Woher kannte Kindaichi überhaupt seine Mutter? Die beiden hatten doch außerhalb von Volleyballspielen nie groß miteinander zu tun gehabt. Vielleicht gab es ja dafür eine Erklärung aber aktuell wurde er einfach nicht schlau daraus. Naja, hauptsache er würde diesmal pünktlich zum Unterricht erscheinen und nicht wieder Ärger bekommen.
"Du hast übrigens gestern deine Schulsachen und deine Sporttasche vergessen, die sind beide im Kofferraum, also keine Sorge. Willst du lieber vorne oder hinten sitzen?", fragte Kindaichi und Hinata war noch verwirrter als vorher. Woher hatte der Typ seine Sachen, wenn er sie im Clubraum des Karasuno Volleyballclubs liegen gelassen hatte? Daichi hatte doch die Verantwortung über den Schlüssel, war etwa jemand eingebrochen? Aber warum würde dann ausgerechnet ein Seijoh Spieler..ach egal. Hauptsache er kam pünktlich zum Unterricht. Auch wenn die vielen komischen Zufälle ihn langsam nervös machten.

"Ich sitz lieber hinten, danke.", antwortete er und Kindaichi hob verwundert eine Augenbraue.
"Letztens meintest du noch, dir wird hinten schlecht. Aber wir fahren ja nicht so lange also sollte das gehen.", meinte Kindaichi schulterzuckend und nahm ebenfalls auf dem Rücksitz neben Hinata Platz. Letzterer verkniff sich einen Kommentar darüber, dass er noch nie bei Kindaichis Vater im Auto gegessen hatte und Kindaichi demnach gar nicht wissen konnte, dass ihm bei längeren Fahrten übel wurde. Das wurde wirklich immer seltsamer.

Es sollte noch schlimmer kommen. Die Fahrt im Auto verlief größtenteils schweigend und Hinata war darüber eigentlich ganz froh. Er wusste auch nicht, worüber er mit Kindaichi reden sollte, auch wenn er sonst schnell Anschluss fand und mit Leuten die ebenso Volleyball mochten, gelang ihm das noch einfacher. Aber mit einem Spieler ihres derzeitigen Erzrivalen Seijoh im Auto zu sitzen war irgendwie unangenehm. Um sich etwas abzulenken schaute er aus dem Fenster wie die Häuser der Stadt an ihnen vorbeizogen. Sie waren schon fast an der Karasuno Oberschule angekommen, als Kindaichis Vater gar keinen Anstand machte in die Richtung weiterzufahren oder zumindest anzuhalten.
"Ähm...tut mir leid, aber ich müsste hier raus.", sagte er zum Fahrer, worauf Kindaichi nur mit dem Kopf schüttelte und in der Rücklehnentasche des Fahrersitzes hastig nach etwas kramte.
"Wenn dir jetzt schon schlecht ist, dann nimm das hier.", meinte er und hielt Hinata bereits eine Plastiktüte unter die Nase. Dessen Anfrage hatte er offensichtlich völlig falsch verstanden.
"Nein, ich meine die Schule! Ich gehe doch auf die Karasuno Oberschule.", erklärte Hinata und hoffte, dass es sich nur um ein Missverständnis handelte und Kindaichis Vater einfach vergessen hatte, dass Hinata auf eine andere Schule ging als sein Sohn. Doch dieser dreht sich nur zu ihm um (sie standen gerade an einer roten Ampel) und warf ihm einen verwirrten Blick zu.
"Du gehst doch mit meinem Sohn in eine Klasse. Was willst du plötzlich auf der Karasuno? Oder hast du die Schule gewechselt? Das hätte mir aber vorher jemand sagen müssen.", beschwerte er sich, doch Kindaichi kam ihm dazwischen.
"Hinata hat nicht die Schule gewechselt. Guck doch, er trägt die Seijoh Uniform. Die von der Karasuno sieht ganz anders aus.", sagte er und Hinata sah betreten an sich herunter. Es war ihm beim Anziehen nicht aufgefallen, aber er hatte tatsächlich eine komplett andere Uniform an. Eigentlich hätte er das doch merken müssen. So lief an der Karasuno niemand herum.

"Du hast allerdings deine Kravatte vergessen...und dein Shirt ist falsch herum. Sieht aus, als hättest du dich im Dunkeln angezogen.", bemerkte Kindaichi und Hinata fummelte peinlich berührt an den nach außen stehenden Nähten seines Shirts. Er hatte wohl einfach das angezogen, was bei ihm im Schrank lag, ohne richtig hinzugucken, was das eigentlich für Sachen waren. Wie peinlich! Aber Moment...
Das änderte immer noch nichts daran, dass er überhaupt eine Seijoh Uniform besaß! Kein Wunder also, dass Kindaichi und sein Vater verwirrt waren. Aber warum hatte ihn beim Frühstück denn keiner darauf hingewiesen, dass er die falschen Klamotten anhatte?

"Ich weiß selbst nicht, warum ich die Seijoh Uniform anhab, aber ich gehe an die Karasuno. Ich spiele dort im Volleyballclub.", versuchte Hinata sich zu erklären und Kindaichis Vater doch noch zum Umlenken zu überreden. Kurz nachdem er die Worte ausgesprochen hatte, fiel ihm auf wie dämlich das klang.
"Was ist denn heute los mit dir, Hinata?", fragte Kindaichi und guckte so ihn an, wie man normalerweise einen Geisteskranken anguckt, "Du bist die ganze Zeit schon total durch den Wind, ist alles okay bei dir?"
"Ja, alles okay.", antwortete er instinktiv. Es war ja keine komplette Lüge, körperlich ging es ihm gut. Aber irgendwas war hier ganz gewaltig faul.
"Du behauptest die ganze Zeit, du würdest an die Karasuno gehen. Dabei gehen wir in eine Klasse und das schon ne' ganze Weile. Bist du gestern irgendwie vom Fahrrad gefallen oder was ist los?", redete Kindaichi auf ihn ein und Hinata verstand nur Bahnhof. Wollte dieser Schalottenkopf ihm ernsthaft weismachen, er gehe an die Seijoh? Wer war denn hier der Verrückte? Andererseits, warum hatte er auch diese verdammte Uniform an?

Da er Kindaichis Vater nicht dazu zwingen konnte, an der Karasuno anzuhalten, entschied sich Hinata das Spiel eine Weile mitzuspielen. Vielleicht war das ja ein verspäteter (oder verfrühter?) Aprilscherz. Vielleicht wollte sich sein Team damit an ihm für den gestrigen Tag rächen. Vielleicht war Kindaichi aber auch einfach einsam und wollte Gesellschaft? Gut, der letzte Punkt klang schon in der Theorie lächerlich. Aber davon abgesehen, war nicht eigentlich die ganze Situation lächerlich? Naja, es würde sich schon alles irgendwie aufklären und dann könnten sie alle herzlich darüber lachen. Oder so...


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