Das große Finale

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Der Beginn des Spieles rückte nun immer näher. Hinata hatte Volleyballspiele selten nur als Zuschauer besucht. Vor seinem Schulwechsel hatte er es vorgezogen selbst zu spielen und seinem Idol, dem kleinen Giganten, nachzueifern, auch wenn er dabei meist auf sich gestellt war. Hin und wieder hatte er seine Freunde dazu überreden können mit ihm ein Spiel zu besuchen, doch er war noch nie bei einem Finale dabeigewesen.

Die Stimmung in der Sporthalle war der Hammer. Es waren so viele Leute da wie sonst nie und an jeder Ecke standen wichtig aussehende Leute mit großen Kamerastativen. Der lokale Fernsehsender von Miyagi würde natürlich auch wieder über das Spiel berichten.
"Ist das cool!", raunte Kindaichi und meinte damit aber nicht die Kamerateams, sondern die zahlreichen Anhänger der Shiratorizawa, die sogar ihre eigenen Cheerleader dabeihatten. Yahaba neben nickte ihm zustimmend zu und auch der sonst so stoische Kunimi schien milde beeindruckt. Das war wirklich verdammt cool. Auch wenn sie natürlich ein bisschen neidisch waren, da die Seijoh keine eigene Cheerleadergruppe hatte.
"Die sehen das ja heute alles zum ersten mal.", meinte Matsukawa mit Blick auf die Neuzugänge der Seijoh, die aus dem Staunen gar nicht mehr herauskamen. "Ja, die sind noch jung und unverbraucht.", witzelte Hanamaki und erntete ein spöttisches Grinsen von Matsukawa. "Yahaba ist gerade mal ein Jahr jünger als du.", "Ja, wie die Zeit vergeht...", seufzte er halb ironisch und legte einen Arm um die Schulter seines Freundes.

Oikawa und Iwaizumi waren natürlich auch mit von der Partie.
"Sag mal, Oikawa...", fragte Iwaizumi seinen Partner, der wie ein aufgescheuchtes Tier seine Kreise zog, "Hast du dich wieder die ganze Nacht mit Energy Drinks wachgehalten oder warum bist du so aufgekratzt? Du hast doch hoffentlich nicht wieder die Shiratorizawa DVDs der letzten fünf Jahre durchgesuchtet, anstatt zu schlafen?" Oikawa schüttelte heftig mit dem Kopf. "Ach was, Iwa-chan, das ist Vorfreude.", flötete er und schenkte seinem Freund ein künstliches, fast schon gruseliges Lächeln, "Ich freu mich schon so auf die blöden Gesichter von dem Rotzlöffel und Ushiwaka wenn wir-", "Warum frag ich dich eigentlich auch noch?", stöhnte Iwaizumi genervt. "Gemein!", beschwerte sich Oikawa, wurde aber ignoriert.

Während seine Teamkameraden mit sich selbst beschäftigt waren, hielt Hinata Ausschau nach Kageyama. Die Spieler der Shiratorizawa hielten sich auf der anderen Seite der Turnhalle auf und wurden gerade von einem kleingewachsenen, älteren Mann, der wohl offensichtlich ihr Trainer war, auf das bevorstehende Spiel eingeschworen. Von Kageyama war nichts zu sehen. Er hatte ja erwähnt, dass er kein Stammspieler war, aber er war doch trotzdem ein Teil des Teams, oder etwa nicht? Vielleicht war er ja noch beim Umziehen.

Nur wenige Minuten vor Spielbeginn kam der Trainer der Seijoh auf Hinata zu. Eigentlich hatten sie schon alles vorher abgesprochen. Hinata hatte sich schon mehr oder weniger damit abgefunden, dass er zumindest einen Großteil des Spieles auf der Reservebank verbringen würde, aber der Trainer überraschte ihn mit seiner Entscheidung ihn doch von Anfang an aufzustellen. Er hatte mit Oikawa eine neue, eher unkonventionelle Angriffstechnik einstudiert, die zwar noch nicht sicher funktionierte, mit der die Shiratorizawa aber nicht rechnen würde. Mit dieser Verwirrungstaktik würden sie versuchen, die sonst so abgebrühte Elitemannschaft aus dem Konzept zu bringen. Eine riskante Idee, aber gegen die Shiratorizawa konnte man eben nicht wie nach Lehrbuch spielen.

Mit dem Pfiff des Schiedsrichters begann endlich das Spiel. Die Shiratorizawa begann stark, so wie es jeder einzelne von ihnen erwartet hatte. Die ersten Punkte des Spieles gingen somit an die Titelfavoriten, doch die Seijoh hielt eisern dagegen. Beide Teams machten Fehler, auch bei der Shiratorizawa ging mal ein Aufschlag oder ein Angriff aus dem Spiel daneben. Beste Mannschaft hin oder her aber sie waren am Ende auch nur Schüler. Unnormal talentierte Monsterschüler aber immer noch Schüler. Sie waren nicht perfekt und die Seijoh war bereit jeden noch so kleinen Fehler von ihnen auszunutzen. Das mussten sie auch, wenn sie eine Chance auf den Sieg haben wollten.

Großer Jubel brach aus, als es Matsukawa gelang, einen der brutalen Schmetterbälle von Ushijima abzuschwächen und eine Angriffsmöglichkeit für das Team herauszuholen, auch wenn es für Hinata so aussah, als hätte sich der Mittelblocker dabei beide Arme brechen müssen. Die Angriffe von Ushijima waren einfach der pure Wahnsinn. Eigentlich müsste das kombinierte Talent von ihm und Kageyama die beiden zu einer unzerstörbaren Waffe zusammenschmelzen lassen, doch Kageyama hatte ja erwähnt, dass dem nicht so war. Shirabu war ebenfalls ein unglaublich talentierter Zuspieler, der aber vor allem durch seine einfachen, hohen Bälle glänzte, mit denen er ihrem Ass den Weg ebnete. Tendō, ihr Mittelblocker, war auch so ein Monster. Das, was Ushijima für den Angriff der Shiratorizawa war, das war Tendō für ihre Verteidigung. Sein "Rateblock" war einfach nur gruselig (ebenso wie sein Gesicht) und die gesamte Mannschaft strahlte eine ungehörige Dominanz aus.

"Mach ihn rein, Iwaizumi!", feuerten die Spieler auf der Reservebank ihr Ass an, der gerade dabei war, einen Pass von Oikawa zu versenken, dabei aber an Tendō scheiterte, der sich nun scheinbar sehr über seinen Misserfolg freute.
"Scheiße!", fluchte der Angreifer und ballte seine rechte Hand zur Faust. Das war jetzt schon das dritte mal, dass er von dem rothaarigen Mittelblocker auf die gleiche Weise abgeblockt wurde. Langsam stand es sehr schlecht um ihren Punktestand. Ihre Gegner waren schon fast bei 25 Punkten und die Seijoh hatte noch immer keinen Weg gefunden, das Super-Ass der Shiratorizawa zumindest auszubremsen. Es war, als würden sämtliche Strategien, die sie für das Spiel entwickelt hatten, im Sand verlaufen.

"Zu mir!", rief Hinata und sprang bereits ab, bevor Oikawa ihm den Ball zuspielen konnte. Der Ball kam schnell und präzise und Hinata schlug ihn in die rechte, hintere Ecke des Spielfeldes, doch da hatte sich Yamagata, der Libero der Shiratorizawa, schon breitgemacht und nahm den Ball mit Leichtigkeit an, um einen weiteren Angriff für sein Team herauszuholen. Hinata fluchte. Sie waren dem Team völlig unterlegen, auch wenn jeder von ihnen hochkonzentriert war. So endete der erste Satz für die Seijoh mit einer klaren Niederlage. Die Erkenntnis kam für alle wie ein Schock. Sie hatten alle erwartet, dass ihr Gegner es ihnen schwer machen würde, aber von sich selbst hatten sie alle mehr Leistung erwartet. Nach dem ersten Satz war keiner so richtig mit sich zufrieden.

"Hey, Makki.", murmelte Matsukawa und stupste seinen Freund an den Oberarm. Sie hatten gerade Pause und bereiteten sich seelisch und moralisch auf den zweiten Satz vor. "Was ist?", erwiderte Hanamaki. "Naja, hast du auch das Gefühl das dieser Ushiwaka seit dem letzten mal noch stärker geworden ist?", fragte Matsukawa. "Keine Ahnung, jedenfalls geht mir der Typ echt auf die Nerven.", knurrte Hanamaki und nahm einen langen Zug aus seiner Trinkflasche.

Hinata saß etwas abseits und spürte, wie die Nervosität von vorhin wieder in ihm hochkroch. Sie hatten noch keinen Weg gefunden, die Shiratorizawa unter Kontrolle zu halten. Wenn sie so weiter machten, würden sie auch die nächsten Sätze verlieren. Der Gedanke machte ihm Angst. Er fühlte sich auf eine seltsame Art und Weise allein und im Stich gelassen, obwohl seine Teamkameraden alle um ihn herum waren und keiner ihm die Schuld für den verlorenen Satz gab.

Nachdem ihr Trainer sie noch einmal auf den zweiten Satz eingeschworen hatte, wechselten sie die Seiten und mit dem Pfiff des Schiedsrichters fing das Drama wieder von vorne an. Diesmal lief es deutlich besser für die Seijoh. Hinata schaffte es durch seine Wendigkeit an einige Bälle zu kommen, die für andere Angreifer quasi unerreichbar waren und konnte die gegnerischen Blocker dann und wann in die Irre führen. Solange Tendō sich nicht im Vorderfeld befand, wirkte die Abwehr der Shiratorizawa nicht ganz so undurchdringbar. So konnten sie ein paar Punkte machen und in Vorsprung gehen. Hinata war trotzdem ganz froh, als er zur Hälfte des Satzes ausgewechselt wurde. Er hatte das Gefühl, dass sie immer noch schlechter spielten, wenn er auf dem Platz stand.

Als er so auf der Bank saß und seinen Teamkameraden beim Spielen zusah, kam er sich irgendwie fehl am Platz vor. Die Sprechchöre der Fans auf den Rängen drangen an sein Ohr und verhöhnten ihn noch zusätzlich. Normalerweise würde er jetzt mit der Karasuno dort auf dem Feld stehen und kämpfen. Stattdessen saß er hier und wartete darauf, dass seine Mitspieler alles für ihn regelten. Er fühlt sich schlecht. Hatte er Kageyama nicht versprochen, dass er sein Bestes geben würde? Warum konnte er sich nicht mehr motivieren? Wann war er nur so schwach geworden?

Im zweiten Satz konnte sich die Seijoh einen knappen Sieg sichern. Kindaichi hatte einen Ball von Ōhira geblockt und damit den Satz entschieden. Hinata war aufgesprungen, um seinem Freund zu seinem Erfolg zu gratulieren, der selbst noch ganz überrumpelt von seiner eigenen Leistung war. Ōhira, einer der Drittklässler und Angreifer der Shiratorizawa, war zwar nicht mit Ushijima zu vergleichen, aber gefährlich war auch er, vor allem wenn man nicht mit ihm rechnete. Kindaichi hatte nicht den Fehler gemacht, ihn zu unterschätzen und allein das verdiente großen Respekt, wo doch dieser Ushiwaka wie ein blinkender Magnet alle Aufmerksamkeit auf sich zog.

"Hinata?", hörte er plötzlich die Stimme von Oikawa, während gerade noch mit Kindaichi den gewonnenen Satz feierte. Überrascht drehte er sich zu ihrem Zuspieler um. Diesmal hatte er ja gar keinen Spitznamen für ihn verwendet. Das war ungewöhnlich.
"Der Trainer hat es mir gerade bestätigt. Du wirst im nächsten Satz wieder eingewechselt und dann werden wir unseren Spezialangriff anwenden.", erklärte er ihm seine Pläne. Hinata war sich nicht sicher, ob er sich nun freuen oder Angst haben sollte. Oikawa wollte ihn miteinbeziehen und war bereit, sich auf ihn und ihre eingeübte Taktik zu verlassen, auch für den Fall, dass sie damit scheiterten. Der Trainer hatte ihm gegenüber ja schon Andeutungen gemacht, aber es jetzt noch einmal von ihrem Kapitän persönlich zu hören, war noch einmal etwas ganz anderes.
"Ich werde mein Bestes geben!", erwiderte er, auch wenn ihm schon bei dem Gedanke schlecht wurde.

Der dritte Satz begann eher mittelmäßig. Die Shiratorizawa hatte ihren Zuspieler ausgewechselt und statt Shirabu stand jetzt Semi auf dem Platz. Da letzterer eher schnelle, riskantere Pässe spielte, wurden auch die Angriffe von Ushijima riskanter.
Ihre Gegner spielten insgesamt schneller und offensiver. Vermutlich hatte ihr Trainer sie nach dem verlorenen Satz zusammengestaucht und sie dazu angehalten das Spiel möglichst früh zu entscheiden. So spielten sie dann auch und die Seijoh stand mit dem Rücken zur Wand. Es war selten, dass sie mal einen Ball bekamen und wenn, dann landete keiner ihrer Angriffe da wo er sollte.

"Chibi-chan?", hörte Hinata Oikawas flüsternde Stimme hinter ihm. Er musste ihm nur das Handzeichen geben, was sie sich ausgemacht hatten, und Hinata wusste, was er von ihm erwartete. Es war bald Zeit für ihren Spezialangriff. Es war geplant, dass Hinata auf der rechten Seite des Netzes einen Sprung antäuschte und Oikawa den Ball zu Hanamaki in der Mitte spielte. Die gegnerischen Blocker würden sich entweder auf Hinata auf der rechten Seite oder Hanamaki in der Mitte konzentrieren. Hinata würde dann blitzschnell die Seite wechseln und den Ball mit einem gezielten Schlag entlang der Mittellinie nach links schmettern.

Iwaizumi hatte es geschafft einen Ball so zu schlagen, dass der Zuspieler der Shiratorizawa absichern musste und die Seijoh somit einen seltenen Chance-Ball bekam. Das war ihr Glück. Hinata lief los, Watari nahm den Ball an und spielte ihn gezielt zu Oikawa, der ihn ins Vorderfeld brachte. Die Blocker der Shiratorizawa reagierten sofort. Damit hatten sie gerechnet. Hinata machte auf dem Absatz kehrt und war gerade hochgesprungen um seinen Angriff auszuführen, als Kawanishi sich mit einem fiesen Blick auf seiner Seite aufbaute. Hinata schlug den Ball trotzdem, erwischte ihn nicht ganz und wurde natürlich geblockt.

"Haha, guckt euch mal sein Gesicht an!", spottete Tendō, nachdem der kleine Angreifer unsanft auf dem Boden gelandet war und der Shiratorizawa ein weiterer Punkt zugeschrieben wurde, "Hat wohl wirklich gedacht, er könnte uns hinters Licht führen. Dabei war das nicht mal unser bester Block." Semi rief ihm daraufhin etwas zu von wegen, er solle nicht so unhöflich sein, aber Hinata bekam davon nichts mehr mit. Er ärgerte sich, dass er keine Finte oder einen anderen Angriff versucht hatte. Es war wie damals auf der Mittelschule. Die gegnerischen Blocker hatten ihm die Sicht versperrt und er war wie erstarrt gewesen. Er hatte keine Chance gegen diesen Block. Die Shiratorizawa war einfach zu stark. Weder seine Schnelligkeit, noch seine Sprungkraft hatten ihm etwas gebracht, es war völlig sinnlos. Dabei war doch alles perfekt gewesen. Die Annahme von Watari, das Zuspiel von Oikawa, Hanamaki, der hochgesprungen und ausgeholt hatte, als wäre es sein Ball gewesen. Und trotzdem war ihr Angriff fehlgeschlagen. Somit ging auch der dritte Satz an die Shiratorizawa.
Ein paar Mitspieler hatten ihrem Mittelblocker nach dem desaströsen Satzende auf die Schulter geklopft und ihm aufmunternde Worte mitgegeben, doch für Hinata hörten sie sich an wie leere Phrasen. Er wusste, dass sie alle insgeheim enttäuscht von ihm waren.

Mit dem vierten Satz wurde es dann langsam kritisch. Wenn sie diesen verlieren würden, hätten sie keine Chance mehr auf den Sieg. Während ihrer kurzen Pause hatten beide Teams einige Spieler ausgewechselt. Gerade hatte Iwaizumi es geschafft einen Punkt zu machen, was aber nichts daran änderte, dass die Seijoh immer noch vier Punkte hinten lag. Hinata fühlte sich furchtbar. Seine normalen Angriffe funktionierten nicht, sein Spezialangriff mit Oikawa funktionierte nicht, seine Aufschläge gingen immer wieder ins Netz und seine Annahmen waren noch nie gut gewesen, trotz des vielen Trainings. Zudem fing auch seine sonst fast unendliche Ausdauer an zu schwinden. Er hatte weder den Trainer, noch Oikawa oder sonstwen um eine Auszeit gebeten aber langsam fragte er sich, warum man ihn nicht schon längst auf die Bank verfrachtet hatte. Er war dem Team keine große Hilfe, das sah ja wohl ein Blinder. Vielleicht war es die Erschöpfung der restlichen Spieler, die ihn zur praktikablen Notlösung machte. Er konnte ja wenigstens noch gerade stehen, während der Großteil ihrer Reservebank so aussah, als müsste man sie nach ihrer Niederlage zum Bus tragen.

Der Pfiff des Schiedsrichters mitten im Satz signalisierte ihnen, dass die Shiratorizawa eine Auszeit genommen hatte. Auf den ersten Blick war dafür noch kein Grund erkennbar und alle fragten sich natürlich, was ihre Gegner im Schilde führten. Es lief doch so gut für sie. Wollten sie jetzt auf die totale Offensive gehen, damit das Spiel für sie schneller vorbei war?
"Jetzt wollen sie uns wohl endgültig plattmachen.", meinte Kunimi sarkastisch und jemandem, der nur seine allgemeine Gleichgültigkeit kannte, wäre wohl nicht aufgefallen, wie verärgert er war. Er sprach damit das aus, was insgeheim auch der Rest des Teams dachte. Der Ausdruck in den Gesichtern der Spieler war eine Mischung aus Wut, Enttäuschung und purer Kraftlosigkeit. Sie hatten so auf dieses Spiel hingearbeitet und jetzt würde es wieder im Finale für sie zu Ende sein.

"Ich glaub, mit ihrem Zuspieler stimmt was nicht.", merkte Yahaba an und deutete auf die gegnerische Seite, auf der sich eine Traube von Spielern um Semi gebildet hatte, der mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden saß und sich den linken Fuß hielt.
"Elende Schauspieler.", beschwerte sich Oikawa und keiner seiner Mitspieler hatte genug Energie um ihm zu widersprechen. Der Trainer der Shiratorizawa war ganz außer sich und schimpfte die ganze Zeit nur, während ein Großteil des Teams teilnahmslos danebenstand. Es gab wohl auch eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen Tendō und Semi. Man konnte nur spekulieren, dass Semi verletzt war und sich weigerte, vom Spielfeld zu gehen.

Keiner wusste, was seine plötzliche Verletzung verursacht hatte. Vielleicht war er während einer seiner besonderen Zuspiele falsch aufgekommen und hatte sich das Sprunggelenk verstaucht? Sowas konnte immer passieren, auch einem Team wie der Shiratorizawa. Dabei hatten sie doch schon einmal ihren Zuspieler ausgewechselt.
"Das hat er nun von seiner komischen Akrobatik.", musste Oikawa auch wieder seinen Kommentar dazugeben. "Ich erinnere dich daran, wenn du demnächst wieder mit deinem Knie rumjammerst.", gab Hanamaki ihm Kontra. "Nicht lustig!", empörte sich ihr Kapitän über die geschmacklose Äußerung und in ihrem kleinen Geplänkel bekamen sie gar nicht mit, wer als Ersatz für Semi aufs Spielfeld trat. Hinata sah es dafür klar und deutlich. Er würde dieses Gesicht überall wiedererkennen.

"Guck mal, Oikawa, dein Lieblingskohai!", witzelte Matsukawa und Oikawas Aufmerksamkeit war sofort auf den Spieler gerichtet, der jetzt im Hinterfeld seinen Aufschlag vorbereitete.
"Ach, der Rotzlöffel! Ist der etwa ihre Geheimwaffe? Na, das wird lustig.", meinte Oikawa und hatte schon wieder sein überhebliches (falsches) Lächeln aufgesetzt. Er wirkte selbstbewusst aber sein gesamter Körper war angespannt, trotz offensichtlicher Erschöpfung.
"Kageyama.", entfuhr es Hinata, dessen Aufmerksamkeit in dem Moment nur noch dem Zuspieler der Shiratorizawa gewidmet war. Jetzt konnte er endlich gegen seinen alten Rivalen antreten, so wie er es sich nach ihrem Spiel an der Mittelschule vorgenommen hatte. Aber wenn er ehrlich war, wollte er das gar nicht mehr. Er wollte nicht mehr gegen Kageyama spielen, er wollte mit ihm spielen. Er wollte mit ihm auf dem Platz stehen und mit ihm zusammen gewinnen. Er wollte endlich wieder seine Bälle schlagen und vor allem...wollte er ihn als Freund zurück.

Die Erkenntnis hätte ihn dazu motivieren sollen, noch einmal seine Kräfte zusammenzunehmen und weiterzumachen. Immerhin hatte er Kageyama versprochen, dass er sein Bestes geben würde und dann war da noch diese Ungewissheit, die Theorie, dass ein Sieg gegen die Shiratorizawa all seine Probleme lösen würde. Er wollte ja besser spielen aber jetzt wo Kageyama im Spiel war, konnte er sich auf nichts anderes mehr konzentrieren. Es war, als hätte die Anwesenheit des anderen seinen kompletten Verstand vernebelt.

Kageyamas Aufschlag war stark gewesen aber Matsukawa hatte ihn erfolgreich angenommen. Yahaba spielte den Ball auf die rechte Seite, dort wo Hinata sich befand. Sie hatten alle keine Kraft und keine Nerven mehr für komplizierte Täuschungsmanöver und Taktiken, die sowieso nicht zum Ziel führten. Hinata sprang, wie er es immer tat, und schlug den Ball wie mechanisch. Er achtete nicht mehr darauf, wohin er zielte. Natürlich wurde er wieder geblockt. Wieder ein Punkt für die Gegner.

Hinata stand nach seinem vermasselten Angriff, frustriert über seine schlechten Leistungen, am Netz und hatte seinen Blick beschämt nach unten gerichtet. Er war völlig fertig aber er wusste auch, dass er nicht aufgeben konnte. Gleichzeitig sagte ihm sein Verstand, dass es keinen Sinn machte noch zu kämpfen. Sie hatten schon fast verloren und die ganze Mannschaft war mit ihrem Kräften am Ende.

"Hey, du Idiot!", hörte er plötzlich eine Stimme direkt vor ihm. Als er den Blick hob sah er direkt in die Augen von Kageyama, der zwecks Rotation seine Position am Netz eingenommen hatte. Er sah wütend aus und hatte sich mit einer Hand ins Netz gekrallt, so wie er es früher nach ihrem Spiel an der Mittelschule getan hatte. Für einen Moment war es ruhig in der Halle. Auch die Zuschauer auf den Rängen waren still, selbst die Anhänger der Mannschaften hatten ihre Gesänge unterbrochen. Die Spieler der Shiratorizawa warteten mehr oder weniger geduldig darauf, dass sich ihr Ersatzspieler wieder ordnungsgemäß auf seine Position zurückbegeben würde, doch er dachte gar nicht daran. Auch die Schimpftiraden ihres Trainers ignorierte er, als würde er sie gar nicht hören. Hinata wusste sofort, dass sein eigenes Versagen der Grund für den Zorn seines Rivalen war. Er würde wohl kein Mitleid und keine tröstenden Worte von ihm erwarten können.

"Es...tut mir Leid, ich-", begann er. "Entschuldige dich nicht!", fuhr Kageyama ihn an. Hinata zuckte zusammen und wich ein paar Schritte zurück. Im Hintergrund wollte Oikawa schon vorpreschen um seinen Kohai in Schutz zu nehmen (und um einen Grund zu haben, sich mit Kageyama anzulegen), aber Iwaizumi und Hanamaki hielten ihn zurück. Eine Schlägerei konnten sie jetzt so kurz vor Spielende wirklich nicht gebrauchen.
"Du spielst beschissen! Ist das wirklich alles, was du draufhast? Ich dachte, du willst gewinnen!", knurrte Kageyama und Hinata fühlte sich, als hätte er ihm links und rechts eine gescheuert. Wobei selbst das wahrscheinlich noch weniger wehgetan hätte.

"Was sagst du?", fauchte Hinata und überwand die Distanz zwischen ihnen um sich ebenfalls ins Netz zu krallen. Ihre Gesichter waren nur noch Zentimeter voneinander entfernt, ihre Blicke ineinander verfangen und in einem Comic hätten jetzt zwischen ihnen Blitze gefunkt.
"Ich hab gesagt, dass du beschissen spielst!", wiederholte sein Gegenüber mit lauterer Stimme und Hinata spürte daraufhin eine ungeheure Wut in sich aufsteigen, die seine Verletztheit fast gänzlich überlagerte. Sie hatten doch miteinander geredet! Warum tat Kageyama jetzt so, als wüsste er nicht, warum er so drauf war, warum er sich nicht konzentrieren konnte und warum ihm der Mut fehlte? Konnte er nicht ein wenig Verständnis zeigen? War er wirklich so unsensibel?

"Hört endlich auf mit dem Blödsinn, sonst werdet ihr noch beide vom Platz geschmissen!", schimpfte Iwaizumi und zerrte Hinata am Kragen vom Netz weg, bevor sie tatsächlich noch riesigen Ärger bekamen. Hinata war auf hundertachtzig. Er würde es diesem eingebildeten Idioten zeigen. Er würde diesen Satz gewinnen und wenn es das letzte war, was er tat. Er würde Kageyama beweisen, dass er es verdient hatte, auf dem Platz zu stehen.
"Oikawa-san!", rief er in einer Stimme, die er selbst nicht von sich kannte, "Spiel mir die nächsten Bälle zu! Ich werde sie alle schlagen und uns zu den Nationalmeisterschaften bringen!"
"Du weißt schon, dass wir so gut wie verloren haben?", fragte Kunimi ungläubig und in seinem Blick lag fast soetwas wie Mitleid mit seinem übermäßig ehrgeizigen Mitspieler. Er konnte nicht verstehen, warum Hinata sich von den Sticheleien seines Rivalen so aufpeitschen ließ, wenn sie doch eh kaum noch eine Chance hatten.

"Nein, er hat Recht!", widersprach ihm Oikawa, der auch schon ziemlich abgekämpft aussah, wenn nicht noch mehr als Hinata selbst. Er hatte auch nur wenige Pausen gehabt und hatte das Team allein durch seine Präsenz auf dem Platz zusammengehalten.
"Die da drüben können talentiert sein, wie sie wollen, aber sie werden nicht unseren Willen brechen. Wir werden kämpfen, so lange wie wir noch stehen können. Wenn wir schon zuschlagen, dann richtig!", sprach er von Leidenschaft entflammt und erntete frenetischen Jubel. Mit einem mal war die fast schon depressive Stimmung und die Hoffnungslosigkeit bei der Aobajōsai verflogen. Es hatte nur diesen einen Moment gebraucht, um alles auf den Kopf zu stellen.

"Ach wie reizend!" machte sich Tendō über die Motivationsrede des Seijoh-Kapitäns lustig, "Das wird es noch amüsanter machen, wenn wir ihre Herzen brechen, nicht wahr, Wakatoshi-kun?" "Noch haben wir das Spiel nicht gewonnen.", erwiderte der Angesprochene sachlich, der kein Freund großartiger Versprechen war, "Lass es uns ordentlich zu Ende bringen.", "Natürlich!", erwiderte sein Partner mit einem selbstsicheren Grinsen.
Somit wurde der vierte Satz fortgeführt. Da wo bei der Seijoh vorher Kraftlosigkeit und Schwäche vorgeherrscht hatten, waren jetzt Mut, Entschlossenheit und Kampfgeist. Aber einer von ihnen stach aus der Masse heraus.

"Zu mir!", rief der kleine Mittelblocker zum wiederholten Male, sprang in Richtung Netz und schmetterte den Ball von Oikawa mit aller Kraft auf das gegnerische Spielfeld. Die auch schon reichlich ausgepowerte Shiratorizawa war auf seine wilden, fast schon unkontrollierten Angriffe nicht vorbereitet und so kassierten sie Punkt um Punkt. Jetzt war die Fassungslosigkeit auf ihrer Seite. Die Halle tobte. Auch die Sprechgesänge der Fans wurden lauter, als wollten sie sich gegenseitig übertönen, ein perfektes Spiegelbild von dem, was sich unten auf dem Platz abspielte. Die Seijoh brauchte nur noch zwei Punkte um den Satz für sich zu entscheiden und in den Gleichstand zu gehen, doch die Shiratorizawa legte nach und nutzte jede Angriffschance, die sich ihnen bot. Hinata warf sich jedem Ball entgegen und schaffte es durch seine Schnelligkeit schon verloren geglaubte Bälle zurück ins Spiel zu holen. Die Wut auf Kageyama hatte ihn beflügelt, er grübelte nicht mehr, spürte nicht die vielen Blessuren, die er vom Spiel davongetragen hatte und funktionierte einfach nur noch. Es gab nur einen Gedanke, der Platz in seinem Kopf hatte. Er würde nicht verlieren, nicht gegen die Shiratorizawa und vor allem nicht gegen Kageyama.

Der vierte Satz ging an die Seijoh. Jetzt hatten sie nur noch einen Satz zu spielen. Dieser Satz würde die Entscheidung bringen. Die kurze Pause zwischen den Sätzen reichte nicht aus, um schon verloren gegangene Kräfte zu regenerieren. Sie waren alle vollkommen erschöpft, aber solange sie eine Chance auf den Sieg hatten, und war sie noch so klein, würden sie sie nutzen.

Hinata dachte einen kurzen Moment über Kageyamas Worte nach und darüber, was der Zuspieler damit bezwecken wollte. Es frustrierte ihn, dass er den Sinn dahinter nicht verstand und das stachelte ihn nur noch mehr an. Er achtete nicht auf seine Teamkameraden, die ihm auf die Schulter klopften und auf ihn einredeten. Er dachte nur daran, wie er Kageyama seine Stärke und seine Willenskraft beweisen würde.

Der fünfte Satz begann. Ushiwaka hatte Auschlag und der Fokus aller Anwesenden lag auf dem Starspieler der Shiratorizawa. Sein Sprungaufschlag war kraftvoll wie eh und je, es wirkte so als hätte er gar nicht nachgelassen. Watari sprang nach vorne und versuchte den Ball anzunehmen aber verschätzte sich um einen halben Meter.
"Iwa-chan!", jubelte Oikawa als Iwaizumi es schaffte den Ball zu sichern und weit nach vorne zu spielen. Zu weit. Der Ball war fast parallel über dem Netz und eigentlich hätten die Blocker der Gegner einfach nur ihre Hände hinhalten müssen, als Kunimi hochsprang und den Ball unerwartet, mit einem gezielten Querschlag übers Netz schlug, genau dahin wo gerade eine Lücke war und die Shiratorizawa am wenigstens damit rechnete. Ein Punkt für die Seijoh.

"Ja, Kunimi! Mach sie fertig!", schrie Kindaichi von der Ersatzbank und sein Teamkamerad bedankte sich mit einem seltenen Lächeln und einem Daumen hoch. Jetzt im letzten Teil des Spieles kamen seine wahren Fähigkeiten zum Vorschein.
Die beiden Teams kämpften Kopf an Kopf, keiner achtete mehr auf die Anzeigetafel, es ging nur noch darum den Ball im Spiel zu halten und den nächsten Punkt zu machen. Beide Mannschaften spielten riskante Bälle, es wurde nicht mehr getrickst aber auch nicht auf Sicherheit gespielt. Jetzt zählte nicht mehr das geballte Talent eines einzelnen Teams, es zählte wer die stärkeren Nerven hatte. Der einzige, der noch genauso spielte wie am Anfang war Ushijima. Seine Aufschläge und Schmetterbälle hatten so gut wie nichts von ihrer Durchschlagskraft verloren.

Wäre es ein normales Spiel gewesen, hätte keiner von ihnen so weitergemacht aber das hier war eben kein normales Spiel. Es war das Finale, ihr Ticket zu den Nationalmeisterschaften. Es hagelte Punkte auf beiden Seiten, jeder von ihnen wurde fanatisch bejubelt und die beiden Mannschaften schaukelten sich gegenseitig hoch.
"Noch einen Punkt!", schrie Yahaba auf der Auswechselbank auf der sich alle Spieler erhoben hatten und mit ihren Teamkameraden mitfieberten. Die Sprechchöre der Aobajōsai-Anhänger hatten die Anhänger des gegnerischen Teams übertönt, man hörte nur noch "Seijoh! Seijoh!", während auf Seiten der Shiratorizawa Fans die Stimmung von Fassungslosigkeit gedrückt wurde.

"Hau ihn rein, Ushiwaka! Mach sie endlich platt!", rief jemand aus der Richtung der Ersatzbank. Die Shiratorizawa hatte einen Chance-Ball und Yamagata nahm den Ball sauber an. Kageyama spielte ihn zu Ushijima, doch der Ball kam zu kurz und zu schnell für das Ass. Es war wieder einer seiner egoistischen Bälle, in den letzten, verzweifelten Minuten des Spieles war er wieder in alte Gewohnheiten zurückverfallen. Ushijima schlug ihn dennoch mit aller Kraft und in dem Moment fixierte er nur einen Spieler auf der gegenüberliegenden Seite an.
Hinata. Jetzt würde er ihnen den Gnadenstoß verpassen.

Sofort kamen mehrere Spieler der Seijoh ihm zu Hilfe um den Ball abzufangen, aber sie konnten nicht schnell genug reagieren. Der Ball kam direkt auf den kleinen Mittelblocker zu, mit Kraft und ungeheurem Tempo, doch er nahm die Szene wie in Zeitlupe wahr. Er sah den Ball direkt vor sich aber vor seinem inneren Auge sah er nur die tiefblauen Augen von Kageyama, hörte seine Stimme in seinem Kopf als stände er direkt vor ihm. "Willst du gewinnen, oder willst du verlieren?"

Es gab einen lauten Schlag, gefolgt von dem kollektiven Luftschnappen aller Anwesenden. Der Ball war in der Luft. Hinata lag am Boden, die Schlagkraft des Balles hatte ihn nach hinten gedrückt und das Gleichgewicht verlieren lassen. Aber der Ball war immer noch in der Luft! Er hatte ihn angenommen.
"Spiel ihn zu mir!", rief Kunimi und machte sich auf der linken Seite des Vorderfeldes zum Absprung bereit, doch keiner ihrer zuspielstarken Spieler war in der Lage zum Ball zu gehen. Sie waren wie erstarrt. Es war Iwaizumi, der sich dazu zwang die letzten Meter zum Ball zu überwinden. Normalerweise hätte er jetzt den Ball aus der Entfernung geschlagen, aber die gegnerische Abwehr stand sicher und fest, sie wären darauf vorbereitet, es wäre zu berechenbar, keine Chance mit so einem Angriff zu punkten. Somit traf er im letzten Moment die Entscheidung den Ball zu Kunimi zu spielen, der sich schon bereitgehalten hatte.

"Scheiße!", fluchte der Angreifer plötzlich, als der Ball mitten in der Annahme an seinen Fingern abrutschte und seine Flugbahn drastisch veränderte. Statt auf die linke Seite, wo Kunimi bereits auf ihn wartete, flog er auf die gegenüberliegende Seite, da wo niemand stand. Er würde im Aus landen. Es war vorbei.

Aber plötzlich war da doch jemand. Hinata hatte sich innerhalb kürzester Zeit von Ushijimas Angriff erholt und sprintete auf die rechte Seite. Es waren nur wenige Schritte, aber es fühlte sich für ihn an, als würde er einen hohen Berg erklimmen. Er sprang mit letzter Kraft so hoch wie er noch nie gesprungen war und schlug den Ball so hart, wie er ihn noch nie geschlagen hatte. Die Blocker der Shiratorizawa hatten sich auf die linke Seite konzentriert, keiner von ihnen hatte einen Angriff von der anderen Seite erwartet. Yamagata hetzte dem Ball hinterher und erwischte ihn noch mit den Fingerspitzen, doch er schaffte es nicht mehr ihn zurück ins Spiel zu bringen. Der Ball landete mit einem Knall auf dem Boden, außerhalb der Linie, die das Spielfeld vom Rest der Halle trennte.
Er war im Aus. Die Shiratorizawa hatte ihn ins Aus gespielt.

Ein paar Sekunden lang war es komplett still in der Halle. Es war, als hätte keiner von ihnen realisiert, was eigentlich gerade passiert war. Auch auf den Rängen hatten alle die Luft angehalten. Es war erst der Pfiff des Schiedsrichters, der sich erbarmte und der gespenstigen Stille ein Ende setzte.
Gewonnen. Die Seijoh hatte ihren fünften Satz und damit das Finale gewonnen. Mit einem mal waren sie alle aufgesprungen, fielen sich in die Arme und bejubelten ihren Sieg. Sie hatten es geschafft, sie hatten sich für die Nationalmeisterschaften qualifiziert.

"Du warst so krass, Hinata! Du hast uns alle gerettet!", schrie Kindaichi seinem Freund ins Ohr, der kraftlos am Boden kniete, während sich eine gewaltige Jubeltraube um ihn gebildet hatte, alles Mitspieler von ihm, die überschwänglich mit ihm feiern wollten. Hinata wehrte sich nicht, er hatte sowieso keine Energie mehr dazu, doch er schenkte ihnen auch sonst keine Beachtung. Sein Blick war einzig und allein auf einen Spieler gerichtet, der auf der gegenüberliegenden Seite des Netzes stand.

Kageyama stand dort am Netz, auch er kümmerte sich nicht um seine Mitspieler, die sich in seinem Rücken gegenseitig Trost spendeten oder fassungslos ins Leere starrten. Auf seinem Gesicht lag eine merkwürdige Traurigkeit. Hinata spürte plötzlich wie seine Sicht verschwamm und blinzelte ein paar mal um wieder klar zu sehen. Die plötzliche Nässe auf seinen Wangen bemerkte er kaum aber dafür hatte er jetzt verstanden, warum Kageyama diese Worte während des Spieles zu ihm gesagt hatte.

Er hatte ihr Gespräch nicht vergessen, es seine Art gewesen, seinen Ehrgeiz zu wecken, so wie er es auch bei der Karasuno getan hatte. So lange wie sie bei der Karasuno spielten, nein eigentlich schon seit ihrem ersten Spiel an der Mittelschule, hatten sie sich immer gegenseitig angetrieben und zu Höchstleistungen motiviert, waren bereit gewesen jeden Weg zusammen zu gehen, egal wie steil er war und wohin er sie führen würde. Kageyama würde ihn nicht belügen oder ihm etwas vorspielen, er nahm ihn ernst, so wie er jeden seiner Gegner ernst nahm. Und das liebte er an ihm.

Ein Gefühl der Sehnsucht überkam ihn. Er wollte mit der Karasuno hier stehen und jubeln, wollte wieder mit Kageyama auf dem Platz stehen und seine Bälle schlagen. Er wollte sich wieder mit ihm zanken, mit ihm wetteifern, vor dem Training mit ihm zur Sporthalle rennen und diese besondere Verbindung spüren, die zwischen ihnen existierte. Er vermisste auch den Rest der Karasuno. Suga, Daichi, Tanaka, Nishinoya und alle anderen, die sie stark gemacht hatten. Er wollten mit ihnen an den Nationalmeisterschaften teilnehmen. Er wollte sein altes Team zurück.

Der Jubel um ihn herum wurde immer leiser und aus irgendeinem Grund fühlte er sich leicht, so als würde er gleich davonfliegen. Es war als hätte er alles um ihn herum ausgeblendet, als wäre die Zeit eingefroren. Er sah nur noch die Linien des Spielfeldes, das Netz und Kageyama. Alles andere war in reines Weiß getaucht. Er konnte sich nicht bewegen, sein Körper fühlte sich vollkommen schlaff an. Der letzte Satz hatte alles von ihm abverlangt, er war erschöpft und hatte seine Grenzen schon weit überschritten.

Sein Blick verlor den Fokus aber diesmal waren keine Tränen dafür verantwortlich. Ein heftiger Schwindel überkam ihn und als er aufsah, glaubte er ein schwaches Lächeln in Kageyamas Gesicht zu sehen, als sein Gegenüber die Hand hob und etwas sprach, was er nicht mehr hören konnte. Mit letzter Kraft tat er es ihm gleich, bevor ein blendendes Licht ihn dazu zwang die Augen zusammenzukneifen. Als er sie ein zweites mal öffnete, sah er nur noch dunkle Schatten. Und dann war da gar nichts mehr.


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