Der Morgen nach dem Spiel

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Das nächste was Hinata vernahm, als sein Bewusstsein zurückkehrte, war ein durchdringendes Fiepen an seinem Ohr. Erschrocken schlug er die Augen auf und wollte sich schon aufrichten, als er schon wieder von einer Schwindelatacke gepackt wurde und seinen Versuch auf der Stelle bereute.
"Auauaua!", jammerte er und fuhr sich mit der rechten Hand übers Gesicht, nachdem er wieder auf die weiche Unterlage zurückgefallen war. Er fühlte sich elendig aber zumindest war er wieder halbwegs bei klarem Verstand. In seinem Kopf spielte sich immer wieder die letzte Szene des Spieles ab, wie er es geschafft hatte den Ball von Ushijima anzunehmen, sein Angriffsschlag in letzter Sekunde, wie er den Ball gerade noch erwischt hatte und der pure Schock in den Gesichtern seiner Gegner, als der Pfiff des Schiedsrichters das Spielende signalisierte. So etwas konnte man nicht vergessen. Aber was war danach passiert? Er hatte keine Erinnerungen mehr.

Nachdem sich sein Blick einigermaßen fokussiert hatte, und er sich nicht mehr fühlte, als hätte ihn jemand auf einen Bürostuhl gebunden und fünfhundert mal im Kreis gedreht, konnte er sich ungefähr vorstellen, was passiert war. Die weiße Decke über ihm verriet ihm, dass er sich wohl in einer Art Krankenzimmer befand. Wo sollte er auch sonst sein. Da er keine Erinnerungen mehr an die Zeit nach dem Spielgewinn hatte, musste er das Bewusstsein verloren haben. Jemand musste ihn ins Krankenzimmer der Sporthalle getragen haben. Ein unerfreulicher Gedanke machte sich plötzlich in ihm breit. Oh nein, was ist wenn er sich schon wieder übergeben hatte? Vor der Shiratorizawa und all den Reportern? Dann würde morgen in der Zeitung stehen: "Spieler der Aobajōsai übergibt sich aufs Spielfeld und wird ohnmächtig. Ushijima nimmt dazu Stellung." Wie peinlich! Durften die sowas überhaupt schreiben? Wenn ja, dann würde er sich wohl noch einiges anhören müssen. Vor einem Spiel zu kotzen war ja eine Sache aber hinterher?

Ein genauerer Blick auf seine Umgebung wies ihn darauf hin, dass er bei seiner Annahme, er befände sich in einem Krankenzimmer, falsch lag. Das hier war kein steriler Raum mit allerlei Folterinstrumenten (wie er sich so ein Krankenzimmer eben vorstellte), es war ein ganz normal eingerichtetes Zimmer mit einem Schreibtisch, dem erwähnten Drehstuhl, einem Kleiderschrank...Moment mal! Das hier war sein Zimmer. Er war zu Hause.
Aber wie war er überhaupt hier hergekommen? Die Sporthalle, in der das Finale stattgefunden hatte, lag nicht gerade um die Ecke. Hatte ihn jemand, während er bewusstlos war, einfach in den Bus verfrachtet, nach Hause getragen und anschließend ins Bett gelegt? Aber wer? Oikawa?? Brachte man jemanden, der einfach so bewusstlos wurde, nicht eher ins Krankenhaus? Fragen über Fragen. Ein Blick auf seinen Wecker verriet ihm, dass es früh am Morgen war. Das Spiel hatte allerdings am Nachmittag stattgefunden. Hatte er die ganze Nacht durchgeschlafen? War er nach dem Spiel so fertig gewesen? Er wollte jetzt endlich wissen, was passiert war, sonst würde er noch auf die verrücktesten Dinge kommen.

Entschlossen stand er vom Bett auf und tapste in Richtung Wohnzimmer. Dort wurde er bereits von seiner Familie freudig empfangen.
"Guten Morgen, Shouyou.", begrüßte ihn seine Mutter. "Morgen, Schlafmütze.", tat es seine Schwester ihr gleich. Die beiden nahmen gerade seelenruhig ihr Frühstück zu sich. Hinata war nun völlig verwirrt. Warum taten sie so, als wäre nichts gewesen? War er vielleicht gar nicht ohnmächtig geworden, sondern hatte sein Gedächtnis auf andere Art und Weise verloren? Hatte er zur Feier des Sieges zusammen mit dem Team einen gebechert und hatte jetzt einen Filmriss? Das würde zumindest seine Kopfschmerzen erklären. Aber war das nicht verboten? In ihrem Alter durften sie doch noch gar keinen Alkohol trinken.

"Du hast so tief und fest geschlafen, dass ich dich nicht aufwecken wollte. Aber du bist ja doch noch rechtzeitig aufgewacht.", sagte seine Mutter mit einem Lächeln. "Dabei bist du gestern sooo früh ins Bett gegangen.", meinte seine Schwester und Hinata merkte, wie sich die Fragezeichen in seinem Kopf verdoppelten.
"Ist gestern irgendwas passiert, was ich wissen müsste?", fragte er nach und gesellte sich zu ihnen, um sich sein Frühstück nicht entgehen zu lassen. Es war schon irgendwie komisch. Sie müssten sich doch zumindest an das Spiel erinnern. Sie waren zwar nicht vor Ort gewesen, aber sie wussten doch Bescheid? Er hatte ihnen doch davon erzählt, dass sie im Finale standen und das Spiel enorm wichtig für ihn war.
"Nicht, dass ich wüsste. Aber sag mal, heute ist doch Dienstag?", fing seine Mutter an. "Äh...keine Ahnung?", Hinata war sich nicht einmal sicher welchen Monat sie gerade hatten.
"Na, ihr habt doch heute bestimmt wieder Training nach der Schule?", bohrte seine Mutter nach und Hinata fiel vor Schreck fast sein Hähnchen herunter. Training? Schule? Wie lange hatte er denn geschlafen, dass sie schon wieder Training hatten? Vor allem...hatte das Spiel gegen die Shiratorizawa nicht an einem Freitag stattgefunden? Dann wäre doch jetzt Samstag? Aber wenn nicht, dann müsste er sich langsam mal auf den Weg zur Schule machen, sonst würde er wieder zu spät kommen und Ärger kriegen.

"Ich muss dann weg!", rief er, steckte sich den Rest seines Hähnchens in den Mund und rannte zurück zu seinem Zimmer um sich umzuziehen und seine Sportsachen zusammenzusuchen. Bis zur Schule würde er noch eine Weile brauchen, aber wo verdammt nochmal waren seine Sachen? Hektisch wühlte er alles durch und stellte dabei sein halbes Zimmer auf den Kopf, doch sowohl seine Schul- als auch seine Sporttasche blieben unauffindbar. Frustriert begab er sich zurück ins Wohnzimmer und fragte seine Mutter um Rat. Wenn hier einer alles wegräumte, dann seine Mutter.

"Deine Trainingssachen hast du wieder im Clubraum vergessen, also hab ich dir neue Sachen hingelegt.", meinte seine Mutter und lächelte verständnisvoll. Was? Hatte er schon wieder seine Sachen liegengelassen? "Du bist echt schusselig, Brüderchen.", kicherte Natsu belustigt als sie in sein planloses Gesicht sah.
"Um dein Fahrrad musst du dir auch keine Sorgen machen, da ist alles wieder ganz. Dein Teamkamerad war so freundlich und hat gestern nachmittag gleich angerufen und ich hab deinem Onkel Bescheid gesagt, dass er es von der Schule abholt. Er hat es gestern Abend noch vorbeigebracht, da hast du echt Glück.", fügte seine Mutter hinzu. Sein Fahrrad? Häh? Hatten sie das gleiche Gespräch nicht schon einmal? Wie oft konnte denn so ein Fahrrad kaputtgehen? Langsam verstand er echt überhaupt nichts mehr.

Als er gerade dabei war, sich seine Uniformjacke überzustreifen und er diesmal einen genauen Blick auf selbige warf (um sie nicht wieder falsch herum anzuziehen), stockte ihm der Atem. Es war, als wäre ihm urplötzlich ein Licht aufgegangen, als hätte er eine Erklärung für all die seltsamen Vorkommnisse gefunden. Träumte er etwa noch? Hatte er es tatsächlich geschafft? Was das hier alles real? Seine Hände zitterten als er mit den Fingerspitzen über den schneeweißen Schriftzug fuhr, der auf der Rückseite des Oberteils eingraviert war.


Karasuno Oberschule.


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