Kapitel 1

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,,Wie bitte? War ja klar das der sowas macht. Ich hab dir von Anfang an gesagt, dass der Typ nichts für dich ist.'', trällerte eine Stimme am anderen Ende der Leitung. ,,Naja, ich denke, dass jeder mal betrogen wird.'', ich seufzte resigniert. Das Mädchen am anderen Ende der Leitung verabschiedete sich und ließ mich allein in meiner trostlosen Welt zurück. Ich ging in meinem dezent eingerichtetem Zimmer umher und sah in den Spiegel. Lange, schwarze Haare hingen von meinem Kopf herab und meine Augen strahlten in einem braungrün. Lange Beine lugten unter meinem schwarzen Rock hervor und im Großen und Ganzen hatte ich eine sportliche Statur.

Das war ich, darf ich vorstellen: Lucia-Annabelle Henke. 16 Jahre alt, mitten in der Pubertät und voller Probleme.

Problem Nr.1: Mein Name. Wieso? Ich mochte ihn nicht. Lucia-Annabelle Henke klang grausam in der Kombination.

Problem Nr.2: Mein Ex-Freund hat mich gestern Abend auf einer Party vor meinen Augen betrogen.

Problem Nr.3: Ich konnte nie lang in einer Umgebung bleiben, da meine Mutter andauernd den Drang hatte umzuziehen.

Ich war eigentlich nie länger als 9 Monate in einer Stadt, dementsprechend klein war mein Freundeskreis. Dieses eine Mal jedoch war ich schon seit 1 1/2 Jahren nicht mehr umgezogen. Ich hatte echte Freunde, ein fast normales Leben und meine Mutter schien einigermaßen ruhig. Mein Vater war schon vor meiner Geburt gestorben und ich kannte ihn lediglich von alten Bildern. Früher hatte ich mir immer gewünscht, dass er lebe, dass er nur für längere Zeit auf Geschäftsreise war, doch mittlerweile wusste ich, dass er nie wiederkommen würde. Es schmerzte schon ihn aufzugeben, doch andererseits war es erträglich, da ich keine schmerzenden gemeinsamen Erinnerungen mit ihm hatte.

,,Lucia, ich fahre einkaufen. Kommst du mit?'', fragte meine Mutter von unten. ,,Komme gleich!'', schrie ich als Antwort. Meine Mutter und ich taten viel gemeinsam. Einerseits da sie die einzige Person war, die dauerhaft in meinem Leben war, andererseits weil ich nicht wollte, dass sie immer allein ist. Andauernd war sie gehetzt, telefonierte oft energisch mit irgendwelchen Leuten und verschwand manchmal aus heiterem Himmel, ließ aber immer eine Betreuung für mich hier. Ich durfte so gut wie nie allein raus, immer musste ich begleitet werden. Wenn meine Freunde ausgehen wollten, durfte ich nicht mit. ,,Es ist zu gefährlich.'', das war die Antwort meiner Mutter, wenn ich sie fragte, warum ich nicht mit ihnen gehen konnte. Was auch immer so gefährlich sein sollte, mich interessierte es nicht. Ich habe schon oft von den ein oder anderen Straftaten gehört, die in meiner Umgebung vollzogen worden sind, aber wenn ich mit mehreren Leuten unterwegs war, dann konnte ich doch zumindest rausgehen, oder?

Ich lebte an der Ostsee in einem netten, kleinen Kurort. Dort ging ich zur Schule und dort hatte ich meine Freunde - und so einige Feinde. Ich würde sie nicht gleich als Feinde bezeichnen, aber ihre Art wie sie Leute herumschubsten und Befehle gaben mochte ich so gar nicht. Dann gab es da noch diese mysteriösen Menschen. Davon gab es so einige auf meiner Schule. Andere schienen sie nicht zu bemerken, aber ich tat es. Jedes Mal wenn ich mit einem dieser Menschen sprach, überkam mich eine Welle des Friedens und der Ruhe. Sie sind stille Schüler mit einer unglaublich beruhigenden Art, die sich von allen anderen Schülern abschotteten. Ganz ehrlich, ich sprach mit denen vielleicht gerade mal 3 Sätze in einem Schuljahr.

,,Lucia? Wo bleibst du? Ich möchte gern losfahren.'', ertönte erneut die Stimme meiner Mutter von unten. ,,Warte, ich komme!'', rief ich zurück und polterte die Treppe hinunter. Ich huschte an meiner Mutter vorbei und griff nach meinen weißen Vans im Schuhregal. ,,Immer muss man auf dich warten.'', meine Mutter schüttelte den Kopf. ,,Pff sonst warte ich immer auf dich. Wer hat mich immerhin schon zwei Mal vergessen abzuholen?'', verteidigte ich mich und sah meine Mutter mit hochgezogener Augenbraue an. Sie hielt kurz inne, dann drehte sie sich um. ,,Das war meine Rache für deine freche Art mir gegenüber.'', meinte sie und öffnete die Tür. ,,Ja ja, ist schon klar.'', erwiderte ich grinsend und genoss meinen Triumph während ich aufsprang und durch die Wohnungstür ins Freie trat.

The lost guardian - Die verborgene WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt