Niemand kennt uns wirklich (BoyxBoy)

2.13. GRAYSON

Ich atmete tief durch. Seit zwei Wochen kam ich drei Mal täglich hier her, stellte mich vor die Tür zu Ashs Zimmer, nahm mir fest vor, hineinzugehen.
Gestern hatte ich es sogar fast geschafft anzuklopfen.
Aber immer übermannte mich die Angst und ich ging wieder.

Aber heute konnte ich das nicht. Ich vermisste Ash und ich musste mit ihm reden. Ich starrte die Tür eine Weile an, bis ich mich dazu entschied, die Hand zu heben und anzuklopfen.
„Ja“, kam von drinnen. Allein seine Stimme ließ meinen sich Herzschlag beschleunigen.
Ich fasste all meinen Mut zusammen, öffnete die Tür und ging rein. Hinter mir schloss ich sie wieder.

Ash lief gerade im Zimmer herum und packte seine Sachen ein, weil er in ein paar Tagen nachhause gehen dürfte, so bemerkte er mich erst, als ich mich räusperte.
Er erschrak sogar kurz, sah dann zu mir und wurde augenblicklich rot.

Er starrte mich an.
Ich starrte zurück.
Dann ging ich einen Schritt auf ihn zu, aber er wich zurück.
Es erinnerte mich ein bisschen an die Szene am unserem letzten ersten Schultag, nachdem er mich so scharf gemacht hatte. Nur, das ich damals einfach gegangen war, weil er mich überfordert hatte.

„Du bist also schwul“, meinte er irgendwann um Lässigkeit bemüht.
„Ich bin bi, du bist schwul“, verbesserte ich.
Er lachte. „Ehm nein, ganz sicher nicht. Ich steh doch nicht auf Schwänze, scheiß egal, was ihr mir einredet“
Ich presste die Zähne zusammen. Ich sprach hier mit seinem 16-jährigen Ich, das sollte ich mir bewusst machen. Vielleicht tat es dann nicht so weh...
Er dachte wie sein früheres Ich, er handelte so und er hatte nur diese Erinnerungen an 16 Jahre seines Lebens. Also hatte er keine Ahnung, dass er mich je geliebt hatte.

„Was ist deine letzte Erinnerung an mich?“, fragte ich ihn dann, weil alles andere sinnlos war.
Er schien kurz nachzudenken. „Du hast mich geschlagen, weil ich mich an Jules rangemacht habe“ Ich schluckte.
Das war vor 4 Jahren wirklich passiert. Ich nickte verstehend und sah ihn eine Weile an.

Er unterbrach irgendwann den Blickkontakt und machte sich daran, seine Tasche weiter zu füllen. „Kannst du bitte wieder gehen? Ich glaube euch nicht, dass ich eine Schwuchtel bin und selbst wenn Ichs wäre, dann bestimmt nicht mit dir.“

„Hör auf das zu sagen“, knurrte ich. Dieses Wort hatte mich schon immer aggressiv gemacht.
Er hob den Kopf. „Schwuchtel, schwuchtel, schwuchtel“ Dann grinste er mich herausfordernd an.
Ich biss die Zähne zusammen.
Der kniff die Augen zusammen.

„Hast ja wirklich Selbstbeherrschung bekommen.“, meinte er dann.

Ich hielt es kaum aus, ihn so zu sehen. So, wie er absolut nicht war. Es brach mir das Herz, dass der Ash, den ich liebte, einfach vergessen war, zusammen mit seinen Erinnerungen.
Aber ich war nicht bereit, ihn aufzugeben.
„Ash, hör zu, ich weiß, dass es schwer für dich ist, all das zu akzeptieren, aber dann lass mich dir wenigstens unsere Geschichte erzählen, vielleicht erinnerst du dich ja dann“

Er schüttelte den Kopf. „Es interessiert mich nicht, was du zu sagen oder zu erzählen hast. Diese ganze Sache mit uns...“ Er setzte es in Anführungszeichen. „... hat nie existiert. Komm damit klar und halte dich aus meinem Leben raus.“Ich

Plötzlich war es mir egal, dass er lieber Abstand zu mir wollte.
Ich ging schnell auf ihn zu, so schnell, dass er nicht reagieren konnte und hielt seine Hände fest, damit er mich nicht wegstoßen konnte. „Ich werde mich nicht aus deinem Leben raushalten. Ich liebe dich und du liebst mich, selbst wenn du dich nicht mehr daran erinnerst.“
Er kniff wieder die Augen zusammen. „Beweise es. Alles, was ich von dir weiß, ist, dass wir uns hassen, seit wir 7 sind, dass du mir das Leben zur Hölle machst, dass meine einzigen Gedanken sind, wie ich dir irgendwie schaden kann. Und jetzt stehst du plötzlich vor mir, siehst ganz anders aus als in meiner Erinnerung und sagst mir, ich würde dich lieben? Ich weiß ja nicht mal, was Liebe ist, verdammt.“ Er sah mich aggressiv an, aber ich erkannte die Verzweiflung in seinem Blick.