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Das Geräusch von Stimmen drängte sich in den Vordergrund. Verdammt, war ich etwa eingeschlafen? Langsam öffnete ich meine Augen, welche sich erst einmal an die Helligkeit gewöhnen mussten. Scheiße... Mit einem Schwung warf ich meine Beine über die Bettkante. Ein Fehler, wie es sich erwies. Schwindel und ein stechender Schmerz in meinem Kopf machte sich bemerkbar. Ein kurzer Rundumblick zeigte mir, dass ich mich noch im Zimmer des Museums befand. Oder vielleicht doch nicht? Ich hielt kurz meinen Atem an und horchte: Erneut die Stimmen. Es klang wie ein Streit zwischen zwei Leuten, direkt hinter dieser Wand. Komisch, der nachgebaute Raum befand sich doch ganz in der Ecke? Mein Kreislauf fand sich wieder ein und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Den Helm, welchen ich aus dem Regal genommen hatte, lag neben dem Kissen. Doch plötzlich erregte etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Ein Hupen! Ich runzelte meine Stirn, stand auf und ging schnurstracks zum Fenster. Es klang so, als wäre vor dem Fenster eine Hauptstraße. Ich riss die Gardinen beiseite und... erschrak. Sofort zog ich die langen weißen Gardinen zu. Das kann nicht sein. ,,Träume ich?", murmelte ich mit einem Blick zum Bett. Das ist die einzige logische Erklärung. Ich spürte den kalten Schauer über meinem Rücken, ehe ich erneut die Sicht auf die Straße freigab. Das darf doch wohl nicht wahr sein.

Vor mir erstreckte sich eine große Kreuzung, in der Mitte kreuzten sich zwei Bahn-Schienen. Zwischen den alten Autos flitzen hin und wieder einige Fahrradfahrer vorbei und auf den Gehwegen dominierten Frauen in altmodischen Kleidern und seltsamen Hüten. Als wäre ich wirklich ein komplettes Jahrhundert zurück. Da kam der Schmerz wieder, in meinem Kopf. Auf Migräne hätte ich jetzt weniger Lust. Und erneut drängten sich die Stimmen in den Vordergrund. Ich seufzte und wagte mich zur Tür, um durch den Spion zu sehen. Mehr als eine blassgelbe Tapete konnte ich jedoch nicht erkennen. Ich öffnete die Tür und warf einen Blick in den Gang. In dem Moment rannten mir zwei kleine Jungs, in kurzen braunen Latzhosen entgegen. Als sie mich sahen, hielten sie in ihrem ''Katz und Maus''-Spiel inne. Ehe ich überhaupt irgendetwas sagen konnte, waren die beiden auch schon wieder verschwunden. Sehe ich etwa so schlimm aus? Ich ging einen Schritt vor die Tür, um zu sehen, ob irgendein Namensschild neben der Tür hing. Amelie Bachmann. Okay, ich wusste zwar nicht wieso ich das träumte oder wieso der Traum so detailliert war, dass ich sogar kleine Schriften wie das Namensschild lesen konnte, aber... auf dem Schild steht mein Name. Ist es jetzt meine Wohnung, oder gab es in diesem Traum noch Jemanden mit diesem Namen? Ein böser Klon vielleicht?

Ich ging zurück ins Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Das fühlt sich alles so echt an. Die Stimmen der Nachbarn, die Straße, die Kinder. Wie in Filmen, in denen es um stark realistische Träume geht, kniff ich mir in den Arm. Ich konnte den Schmerz spüren. Langsam machte sich Nervosität breit. Das kann aber doch nur ein Traum sein. Ich tastete an meiner Gesäßtasche, um mein Handy hervorzuziehen. Jedoch war dies ein Griff ins Leere. Wieder mal legte ich meine Stirn in Falten und suchte nach meinem Rucksack. Ich hatte ihn doch ganz sicherlich neben dem Bett gestellt. Ein Blick unters Bett brachte mich auch nicht weiter. Wo kann er nur sein? Ich riss die Decke und das Kissen beiseite - nichts. Im Kleiderschrank wühlte ich durch jede Schublade - auch nichts. Hinter den Gardinen, auf dem Stuhl oder auf dem Sessel befand er sich ebenfalls nicht. Klasse, wurde ich auch noch beklaut? Mit einer Hand in die Hüften gestemmt und die andere verzweifelt in den Haaren vergraben stand ich in einem Chaos. Widerwillig machte ich mich dran, das Durcheinander wieder aufzuräumen. Dazu gehörte auch, die ganzen Papiere auf dem Schreibtisch zusammen zu legen. Da sprang mir eine einzelne Seite - anscheinend aus einer Zeitung - ins Auge. Neugierig überflog ich die seltsamen Worte und Sätze - alle in altdeutscher Schrift. Mein Herz machte einen Sprung, als ich oben rechts in der Ecke das Datum las: 02.09.1939.

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Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Es machte mir Angst, dass dieser verdammte Traum so realistisch war und es laut dem Zeitungsschnipsel das Jahr '39 ist! Wie von einer Wespe gestochen stürmte ich aus der Wohnung, durch das Treppenhaus und auf die Bürgersteig. Verwirrt sah ich mich um und sprach gleich eine Frau an, die beim nahe liegenden Blumenladen stand. ,,Entschuldigen sie mich, könnten sie mir sagen, welches Datum wir heute haben?", trotz meines fehlenden Atems versuchte ich freundlich auszusehen und nicht wie ein hechelnder Bernersennen nach einem 200 Meter Sprint. Überrascht dreht sich die junge Frau um und mustert mich eingehend, ehe sie mit einem leichten Lachen antwortete: ,,Heute ist der achte September.". Irritiert blickte ich auf die Zeitungsseite, die ich noch in der Hand hielt. Die fremde Frau sah sich den Schnipsel ebenfalls an und machte eine abfällige Handbewegung. ,,Der Artikel ist schon eine Woche alt.". In meinem Hirn ratterte es. ,,Also der 9. September?", als Antwort erhielt ich ein Nicken ihrerseits. Wenn ich mich nicht recht entsinne, bedeutet das, dass Deutschland sich seit einer Woche im Krieg befindet. Krieg... wirklicher Krieg! Mir wird schlecht. ,,Gut, dann ähm...d-danke.", stammelte ich und lief in die Richtung aus der ich gekommen war. Nach einer Weile fiel mir auf, dass die Entfernung die ich gelaufen bin mir etwas zu lang vorkommt. Oder kam das nur, weil ich vorher gerannt bin? Ich will mich jetzt nicht noch verlaufen haben.

Und ehe ich mich versah, wurde es auch schon langsam dunkel. Und je dunkler es wurde, desto mehr Musik war aus den Kneipen zu vernehmen. Und mehr Leute taumelten mir betrunken entgegen. Ich sollte die Wohnung jetzt mal wieder finden, aber schleunigst. Hätte ich mir man die Straße gemerkt! Das kommt davon... Also eine Memo an mich selbst: Immer erst im Klaren sein, wo du dich befindest. Ich blickte in ein Schaufenster hinein und sah eine Kneipe. Zwei Meter weiter war ihre Eingangstür, aus der warme Luft strömte. Aber auch der Gestank von Kaltem Zigarettenrauch. Hinter der Theke stand eine ältere Frau, deren raues Lachen man selbst hier draußen hören konnte. Ich beschloss hinein zu gehen. In den Dreißigern war man doch bestimmt mit 18 volljährig. Ich sah zu den Männer an der Ecke der Theke hinüber. Sie hatten grüne Uniformen an. Soldaten, vermute ich mal. ,,Hey Schätzchen, was kann ich dir denn anbieten?", vernahm ich erneut die rauchige Stimme. Ich lächelte und überlegte kurz. Jedoch kam mir folgendes Problem wieder in den Sinn: Meine Wertsachen waren weg. Somit hatte ich auch kein Geld mehr. Meinen Launenwechsel schien die Frau bemerkt zu haben. ,,Na, haben wir keine Groschen mehr dabei? Macht nichts Kleine, das Bier geht aufs Haus.". Sie bückte sich kurz und holte eine Flasche hervor. ,,Heeey, wenn die Getränke aufs Haus gehen, dann wolln wir auch mittrinken!", grölte einer der Soldaten, gut merklich angetrunken. ,,Ruhe dahinten, ihr seit übermorgen an der Front und habt bereits genug gesoffen!", feixte die Barfrau zurück.

Und erneut fiel mir etwas auf. ,,Woher wissen sie, dass ich schon Bier trinken darf und keine 15-Jährige bin?": Die Frau mit ihren dünnen grauen Haaren sah zu mir auf und warf ihr Handtuch über die Schulter. ,,Ich hab die Kneipe schon etwas länger. Ich kann meine Kunden einschätzen, Kleine.", zwinkerte sie mir zu. Ich nickte nur und nahm einen Schluck aus der Flasche. Es schmeckte... anders. Recht bitter, aber irgendwie gut. Schwer zu beschreiben.

Im Feuer der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt