Saul

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E  I  N  S

Das Erste was ich wirklich wahrnahm, ist ein ständig wiederkehrendes Klicken. Langsam erwachte ich aus meinem Schlaf und nachdem ich kurz um mich herum tastete, öffnete ich meine Augen. Es war nicht wirklich hell und ein stechender Schmerz machte sich bemerkbar. Ich dachte, ich könnte meine kalte Hand zur Beruhigung der Schmerzen auf die Stirn legen, doch das Einzige was ich dort fühlte, war etwas stoffartiges. Ein nasser Stoff, um genau zu sein. Verwirrt nahm ich meine Hand herunter und musste mit erschrecken feststellen, dass sich Blut an meinen Handflächen befand. Panik kam in mir hoch und gerade als ich aufspringen wollte, stand wie aus dem Nichts eine Person vor mir.

Mein Kopf dröhnte und durch die hektische Bewegung wurde mir schwindelig. Etwas schweres legte sich auf meine Schultern und drückte mich bestimmt zurück auf das Bett. ,,Du solltest langsam machen, Mädchen.", sprach eine Männerstimme zu mir. Sie war tief, rauchig. Ich versuchte mich auf die Person zu konzentrieren und nach einigen Sekunden kam meine klare Sicht wieder. Vor mir stand ein Mann, vielleicht um die 50 oder 60. Er sah im ersten Moment nicht wirklich fit aus, eher müde und dürr. Dunkle Augenringe zeichneten sein Gesicht unter der dünnen Drahtbrille. Seine grauen Bartstoppeln ließen ihn leicht verwahrlost aussehen. ,,Du musst Durst haben.", murmelte er leise und lies von mir ab. Kurz darauf reichte er mir ein Glas. Wasser. Erst jetzt bemerkte ich, wie trocken meine Kehle war. Sofort nahm ich ein paar große Schlucke, wobei ich leicht überstürzte und ein kleiner Rest links an meinem Mundwinkel auslief. Ich stellte das Glas auf den Nachttisch und wischte mir mein Mund und Kinn an meinem Ärmel ab. Der Mann lachte: ,,Wenn ich so labge geschlafen hätte wie du, wäre ich auch so durstig."

Er zog einen Hocker zu sich und setzte sich langsam nieder. Verwirrt sah ich ihn an. Lange geschlafen? Er musste meine Gedanken gelesen haben, als sein Grinsen verschwand und sein Kopf nachdenklich zur Seite neigte. ,,Du kannst dich nicht mehr dran erinnern, hm?" Ich versuchte Wort zu fassen. Mein kläglicher Versuch wurde von einem Seufzen seinerseits beendet. ,,Ich habe dich gefunden. Draußen, im Wald. Da hattest du schon diese Wunde am Kopf. Ich hab sie genäht."
Ich versuchte mich zu erinnern, doch es klappte nicht. ,,Wie heißt du?", fragt er mich. Auch darauf fand ich keine Antwort, so sehr ich auch eine finden wollte. Er schien enttäuscht, fuhr aber fort: ,,Ich heiße Saul. Bist...du auch auf der Flucht?", diese Frage schien ihm schwer zu fallen. Eher zögerlich kamen diese Worte über seinen Mund. Was meint er, mit "auf der Flucht"?
,,Ich vermute mal, dass du dich an nichts erinnern kannst. Aber halb so wild, vielleicht kommt es ja wieder. Ich werde dich bis dahin einfach... Anna nennen."  Ich konnte nichts anderes ausser Nicken. Saul stand wieder auf, stellte den Hocker zurück und nahm das Glas. ,,Ich bin im Garten, Kartoffeln für das Essen sammeln, falls du mich suchst. Guck dich ruhig um, fühl dich wie zu Hause.", er lächelte leicht und verlies das Zimmer. Die Stille kehrte mehr oder weniger ein. Das Klicken, was ich beim Aufwachen gehört hatte, drängte sich wieder in den Vordergrund. Ich blickte zu der großen Standuhr, welche dieses Geräusch von sich gab. Die schwingenden Zapfen zogen mich beinahe in einen Bann.

Ich beschloss aufzustehen und wie von Saul erlaubt, mich umzusehen. Wie sich herausstellte, war dieses kleine Holzhäusschen eine Hütte, am Rande eines Waldes. Während ich mir die unzähligen Bilder an den Wänden, auf den Kommoden und Schränken ansah, fiel mir etwas auf. Saul war auf keinem dieser Bilder zu sehen. Mochte er es vielleicht nicht, fotografiert zu werden?
Ich ging in die Küche, begleitet von den knarrenden Dielen des Fußbodens. Im Waschbecken lagen blutige Tücher, Verbände und eine Schere. Im ersten Moment bekam ich Angst, jedoch könnten es auch meine alten Verbände sein. Ich tastete mir wieder an den Kopf. Wieso war ich überhaupt verletzt? Und warum so stark, dass ich mich nicht mal an meinen Namen erinnern kann? Natürlich zog ich auch kurz in Betracht, dass es vielleicht auch Saul gewesen sein könnte. Aber dieser Mann sah zu freundlich aus. Er sah nicht wie Jemand aus, der einer 20-Jährigen ein Brett über den Kopf ziehen würde.  Ich seufzte, ich wusste nicht was ich tun könnte. Ich bin bereits durch jeden Raum gegangen.

Ich lehne mich an die Küchenzeile und nahm die Zeitung in die Hand, welche neben dem Waschbecken lag.
Wenn das Datum auf der Zeitung stimmte, dann war heute der 11. November 1938. Ich zog die Augenbrauen zusammen. Das Datum löste unbehagen in mir aus, aber warum? Als mein Blick nach unten glitt und ich das Thema der Titelseite las, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. 

DER STÜRMER
Ist die Judenfrage gelöst?

Und mit einem Mal, verstand ich es. Die Frage, ob ich auch auf der Flucht war. Saul ist ein Jude. Wir befinden uns im dritten Reich! In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Seiteneingang und Saul betrat die Küche. Er musterte mich mit der Zeitung in der Hand und irgendwas veränderte sich in seinem Gesicht. Sein Blick. Schlagartig sah er unheimlich traurig aus. ,,Ja...es sind schwere Zeiten für uns Juden.", sprach er leise und stellte den Korb mit den Kartoffeln auf dem Tisch ab. ,,Ich hatte ein Restaurant in Berlin gehabt. Es war beliebt, viele bekannte Leute kamen Abends zum Essen.", bei den Erinnerungen an seinen Laden funkelten seine Augen für einen kurzen Moment auf, eher er weiter erzählte. ,,Ein guter Freund warnte mich vor den deutschen Politikern. Sie... setzten die Nürnberger Gesetze in die Tat um und... diese Nacht nannte man Kristallnacht. Ich habe mein Leben brennen gesehen. In dem Restaurant steckte all mein Herzensblut und diese Nazis brannten es einfach nieder! Egal ob Frau, Kind oder Mann. Jeder der zu dem Zeitpunkt mit seinem Judenstern herumlief wurde erbarmungslos niedergeknüppelt und weggeschliffen. Es war grausam. All die Scherben der Schaufenster von den jüdischen Geschäften.", pure Trauer und Hass auf die Vollstrecker dieser Gesetze füllten seine Worte. Er tat mir Leid und alle die in dieser Nacht leiden mussten. ,,Seit drei Tagen verstecke ich mich nun hier. Und vor zwei Tagen fand ich dich, Anna.". Ich nickte nur still. Die Tatsache über die momentane Gegenwart schockt mich zu sehr und die Frage, was mit mir passiert war beschäftigte mich momentan am meisten.


















Okay, dass wars dann auch schon wieder :) Ich hoffe es hat euch gefallen! C:

Ich bin am überlegen, ob ich die ersten 3-4 Kapitel löschen soll? Oder sollte ich sie lieber noch online lassen? q.q

Im Feuer der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt