Tod

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Z  W  E  I 

Nach einem langen Gespräch mit Saul, über das was in Berlin passiert war, wurde ich nachdenklich. Ich hatte das Gefühl, als wäre das alles schon mal passiert - was vollkommen unmöglich sein kann. Während ich die alten Verbände aus dem Waschbecken nahm, sah ich aus dem Fenster. Vor uns erstreckte sich eine große Weide, welche wieder rum an einem Waldrand endete. Dort, wo die Autos fahr-.... Autos? Dort fuhr wirklich eine Kolonne von einem Lkw und  zwei kleineren Fahrzeugen. Und diese kamen schnell näher. Automatisch sprang mein Puls in die Höhe. Was sollte ich nur tun? Ich sah an mir herunter, um zu sehen ob ich nicht in irgendeiner Art und Weise etwas "verdächtiges" an mir hatte.

Es dauerte nicht lang, da kamen die Fahrzeuge an. Sie standen in ca. 100 Meter Entfernung vom Haus. Ich hörte Türen auf und zu schlagen. Wo ist Saul eigentlich? Ich atmete tief ein und aus, ehe ich meinen ganzen Mut zusammen nahm und mit weichen Knien die Tür öffnete. Soldaten waren bereits von der Ladefläche des Lasters gesprungen und schienen nun die Umgebung zu erkunden und zu sichern, während ein ziemlich wichtig aussehender Mann aus dem Auto stieg. Er kam auf mich zu und nahm seine Schirmmütze ab. Dabei knirschten seine Lederhandschuhe leicht. ,,Heil Hitler, meine Dame.", begrüßte er mich, mit einem kurzen Aufschwenken seiner rechten Hand. ,,Guten Tag, der Herr.", mein Entgegenkommen war nicht mehr als ein Flüstern. Ich spürte wie sich meine Kehle aus Angst zuschnürte. Ich bemerkte, dass er sich die Bandagen um meinen Kopf genau ansah. ,,Ich bin Hauptmann Schwarz. Sind sie in dem Wissen, dass sich hier Juden aufhalten könnten?", fragte er direkt und ohne Scheu. Weshalb auch scheu sein? Mit zehn Soldaten an meiner Seite, würde ich mich auch sicher fühlen. Aber die hatte ich nun mal nicht. Ich hatte nur...mich. Saul zählte wohlkaum als Schutz, denn diese Männer würden ihn mit größtem Vergnügen hinrichten, da war ich mir sicher. Aufgrund meines langen Wartens, zog er seine Augenbrauen zusammen. ,,Wer hat sie überhaupt so zugerichtet?". Ich sah zu ihm hoch, unfähig ihm was zu sagen. Einerseits aus Angst, andererseits wusste ich ja überhaupt nicht, weshalb ich die Wunde hatte. Der Hauptmann schnaubte. ,,Nun gut. Schneider und Schäfer, nehmt sie mit.", er setzte sich seine Schirmmütze wieder auf und drehte auf seiner Hacke herum. Verwirrt sah ich dem schwarzen Ledermantel hinterher, als die zwei eben genannten Soldaten jeweils eine Schulter nahmen und mich Richtung Lkw schoben. Wie jetzt? Die nehmen mich mit! Jetzt verstand ich die Welt nicht mehr. Was genau hatte ich falsch gemacht? Auf einmal hörte ich jemanden ''meinen Namen'' rufen. ,,Anna!", Saul kam mehr oder weniger angerannt, den Korb mit Gemüse fallen gelassen. ,,Stehen bleiben!", schrien ihm einige Soldaten entgegen, während sie ihre Gewehre erhoben und damit auf ihn zielten. Dann mischte sich der Hauptmann ein: ,,Erschießt ihn nicht gleich, ihr Idioten! Durchsucht ihn!". Saul war mittlerweile mit erhobenen Händen stehen geblieben und sah mich mit großen Augen an. Du Dummkopf! Warum bist du hierher gekommen? Während er von zwei Männern festgehalten wurde, dursuchte ein Dritter ihn ab und tastete sich an den Hosenbeinen entlang. Und schien etwas zu finden.
,,Was haben wir denn da?", grinste der Hauptmann und nahm den Gegenstand, den man bei Saul gefunden hatte und hielt ihn nach oben. Es war eine Kette. Mit einem Davidstern. Saul ließ den Kopf hängen, er schien zu wissen was ihm jetzt blüht. Der Hauptmann sah zu mir herüber und deutete den beiden Soldaten, mich auf die Ladefläche zu hieven. Ich konnte noch im Augenwinkel erkennen, wie der Hauptmann eine Pistole aus seinem Holster zog und Saul in die Knie gezwungen wurde.

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Als der Schuss ertönte und dessen Knall wie ein Schalter meinen Körper verkrampfen lies, kam es mir vor zu ersticken. Der liebe Saul ist ein weiteres Opfer des Nazi-Regimes. Mir stiegen die Tränen hinauf, an den Gedanken, dass ich ihm nicht mal danken konnte, für das was er getan hatte. Ich biss die Zähne aufeinander, denn nun war ich auf mich allein gestellt. Wir fuhren eine ganze Weile auf dem Lastwagen, wobei ich den Blick starr auf die Hütte gerichtet hatte, welche in der Ferne immer kleiner wurde. Die Fahrt ging zurück über das große Feld, durch einen Wald. Irgendwann trafen wir auf Bahnschienen und bald darauf eine kleine Bahnhofsstation. Ich wurde mit von der Ladefläche geführt und ins Bahnhofshäuschen gebracht.
Hier drinnen war es relativ frisch, die halbwegs wärmenden Sonnenstrahlen fielen nur vereinzelt durch die mit Brettern dichtgemachten Fenstern. Der Hauptmann lief vorran, bis wir zu einer Art "Lobby" kamen. ,,Setzen sie sich, wir haben noch etwas Zeit, bis der Zug kommt.", sagte er bestimmt und zog seine Handschuhe aus. ,,Zigarette?", er hielt mir eine Schachtel entgegen. ,,Nein, danke.", entkam es mir unsicher. Ich rauchte zwar hin und wieder, jedoch war diese Ablehnung der Höflichkeit wegen. Hauptmann Schwarz musterte mich eine Weile, ehe er wieder zu sprechen begann: ,,Sie fragen sich sicherlich, was das Ganze soll und vorallem, wo wir sie hinbringen. Nun, da sie mit ihren blauen Augen und blondem Haar dem arischen Bilde entsprechen, gibt es für uns keinerlei Grund sie hier und jetzt hinzurichten. Deshalb bringen wir sie nach Berlin. Dort werden die Kollegen dann feststellen, ob sie sonstige Kontakte zu den jüdischen Untermenschen hatten. Den Juden den wir an der Hütte erschossen haben, würde schon reichen, um sie wegen Rassenschändung oder Beihilfe zur Unterbringung von Juden anzuklagen.". Mich schockierte es leicht, wie unbehaglich er davon sprach, Menschen zu töten.
Er war wohl einer von denen, die freiwillig und aus tiefster Verbundenheit diese Ideologie durchsetzen wollen.

Im Feuer der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt