Jegor stürmte an uns vorbei, direkt auf seinen Genossen zu. Zuerst versuchte Putin ihn aufzuhalten, da ihm dies aber nicht gelang, wollte ich Jegor packen. Irgendetwas schien mit diesem Arkadi ganz und gar nicht zu stimmen und ich wollte auf jeden Fall vermeiden, dass ein Teil der Gruppe mit ihm in Kontakt trat. Doch Jegor huschte flink an uns vorbei, noch ehe es einem von uns gelang, ihn aufzuhalten. Schnell rannte er auf den seltsamen Menschen vor uns zu, der am Boden lag und kein Zeichen der Erkennung von sich gab.
„Arkadi, mein Freund, was machst du hier?", rief Jegor freudestrahlend und fiel vor Arkadi auf die Knie, um ihn zu umarmen. Doch noch ehe er seinen Genossen richtig an sich drücken konnte, hub dieser den Kopf und biss Jegor mit voller Wucht in den Arm, direkt unterhalb der Schulter. Jegor schrie schmerzverzerrt auf. Mein Trommelfell drohte zu bersten. Völlig perplex starrte ich auf die Szene, die sich vor mir vollführte. Machtlos sah ich zu, wie Jegor verzweifelt versuchte, von Arkadi wegzukommen, doch dieser hatte ihn nun fest gepackt, ein Entkommen war kaum möglich.
Während wir alle fassungslos und tatenlos zusahen, wie Jegor diese Schmerzen erlitt, tat Dimitri das einzig Richtige. Er rannte an uns vorbei, stellte sich mit geladener Kalaschnikow vor die beiden und schoss ohne zu zögern ab. Einen kurzen Moment lang war ich mir nicht sicher, ob das gut gehen würde. Jegors Kopf war so nahe an dem Arkadis, eine kleine Ungenauigkeit in der Finsternis und er würde Jegor treffen. Doch schon im nächsten Moment verschwanden meine Sorgen, denn Dimitri konnte gut zielen. Seine Kugel traf genau in Arkadis Kopf.
Bläulich schimmerndes Blut spritze massig in alle Richtungen. Ein lautes Klatschen ertönte und das Gehirn Arkadis schlug einige Meter hinter ihm stark beschädigt auf den Boden auf. Jegor wurde komplett mit der Mischung aus Gehirnmasse, Blut und anderen Sekreten seines Genossen überschüttet. Er spuckte das, was ihm in den Mund gelaufen war, würgend aus und schuppste den Rest von Arkadis Körper von dem seinen. Keuchend gewann er Abstand von dem Massaker, das sich direkt über ihm abgespielt hatte, und versuchte sich zitternd, wimmernd und triefend zu beruhigen.
Jetzt sprang Putin hervor und richtete seine Stechkin auf Jegor. Irritiert schauten wir Putin an, der zögernd die Waffe geladen hielt. Wir hatten alle den gleichen Gedanken. Wenn Jegor gebissen wurde, wird er früher oder später auch zu so einem Wesen wie Arkadi. Zertrümmert und willenlos, mit dem einzigen Ziel der Zerstörung vor Augen. Ihm würde das Schicksal genauso einholen, wie es Arkadi eingeholt hat. Und auch Boris einholen wird. Außer, wir fänden ein Heilungsmittel. Sollten wir Jegor lieber gleich erschießen, bevor er uns noch hinterrücks anfallen könnte? Und wenn wir Jegor erschießen würden, was wäre mit Boris?
Putin lies seine Waffe wieder sinken. Noch hatten wir Zeit. Wenn es eine Heilung gab, sollten wir Jegor und Boris eine Chance geben.
„Also gut, da vorne sollte der Wartungsraum sein", durchbrach Wladimir die Spannung. Jegor rappelte sich weiterhin zitternd auf und wir gingen weiter. Tatsächlich befand sich nur einige Meter weiter, nachdem wir über die glibbrigen Reste Arkadis gestiegen waren, eine eiserne Tür. Als ich versuchte, diese zu öffnen, war sie natürlich verschlossen. Anastasia zog ein Brecheisen hervor und reichte es mir. Etwas staunend nahm ich es. Das war bisher das Sinnvollste, was ich je von ihr gesehen hatte.
Die anderen schauten mich gespannt an. Es war nicht einfach, eine schwere Eisentür mit einem Brecheisen zu öffnen. In der hinteren Reihe sah ich Dimitri mir zugrinsen. Er kannte mich gut. Lässig versetzte ich der Tür einen kleinen Hieb und schon sprang sie auf. Das war ein Kinderspiel. Sie schwang nach innen auf und ein kleiner Raum erschien vor unseren Augen. Wir traten alle ein und schauten uns um.
Das erste, was wir sahen, war ein Schreibtisch, den Putin sofort näher inspizierte. An der Wand standen ein paar Spinde, über die sich Ivana hermachte. Aber das Wichtigste, was wir sahen, war eine Flagge unseres Landes. Die russische Flagge. Ohne Absprache stellten sich Boris, Dimitri und ich vor ihr auf und salutierten. Voller Inbrunst durchfuhr mich das Gefühl der Gemeinschaft. Mütterchen Russland hatte uns schon so oft geholfen. Mütterchen Russland war gnädig. Mütterchen Russland entfachte in mir ein Gefühl, das ich schon so lange nicht mehr gespürt hatte. Hoffnung.
Hinter mir ertönte ein Lachen. Putin erschien das Bild von uns dreien vor der Flagge unseres Landes wohl lustig. Doch ein Blick meinerseits genügte, um ihn verstummen zu lassen. Da die Tür nach innen aufging, mussten wir sie irgendwie barrikadieren. Dimitri, Boris und Putin tüftelten ein System aus, indem sie den Schreibtisch vor die Tür stellten und die Tür mit einem Seil an diesem befestigten. Damit war die Tür lange genug geschützt, um die anderen im Falle eines Angriffs schnell genug wecken zu können. Als sie fertig waren, wandte ich mich den anderen zu. Wladimir und Anastasia machten es sich schon in einer der Ecken nah beieinander gemütlich, um schlafen zu können. Auch Ivana konnte ihrer Müdigkeit nicht mehr lange standhalten. Es war klar, dass keiner von ihnen Wache halten würde.
Normalerweise erledigten Dimitri und ich diesen Job gerne gemeinsam. Tatsächlich war das eine meiner Lieblingsbeschäftigungen hier unten im Drecksloch, denn diese gemeinsamen Stunden waren wie Balsam für unsere Freundschaft. Schon seit Anbeginn unsere Ausbildung hatten wir gemeinsamen Wachdienst und sind so Genossen geworden. Doch nur ein Blick zu Dimitri genügte, um zu sehen, dass er sich kaum mehr wachhalten konnte.
„Legt euch alle hin, ruht euch aus, ich halte Wache", sprach ich zu allen.
Dimitri schenkte mir einen warmen Blick der Dankbarkeit, legte sich hin und schlief fast sofort ein. Die anderen taten es ihm gleich. Ich schlurfte zur einzigen Sitzgelegenheit im Raum, einem alten, bequemen Sessel, und ließ mich in diesen fallen. Dann zog ich meine Stechkin hervor und hielt sie schussbereit auf die Tür. Es gefiel mir, einsam zu sein. Ich hatte schon zu lange diese Schwachköpfe um mich. Einmal ihre dummen Worte nicht weiter hören zu müssen, tat richtig gut. Eine Stunde hielt ich so Wache und ließ meine Gedanken vor mich hin schweifen. Das Leder des Sessels löste ein behagliches Gefühl in mir aus und ehe ich es richtig merken oder verhindern hätte können, fiel Müdigkeit über mich her und zog mich in ihren Bann des Schlafs.
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Hart aber Ungerecht
Ficção CientíficaErfolgreich ist es mir gelungen, bei der Rettung der Metro mitzuwirken. Diese Erfahrung werde ich nun zu Papier bringen. Um die Erlebnisse besser veranschaulichen zu können, berichte ich aus Olga Woslofs Sicht, auch bekannt als Olga die Große. Diese...