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Der erste Satz eines Buches sollte sein wie ein tosendes Gewitter, heraufbeschworen vom Donnergott selbst. Der erste Satz sollte einerseits wütend und verzweifelt, andererseits fesselnd und tiefsinnig sein. Der erste Satz entscheidet über Interesse oder Ablehnung, wie das Gewitter über Angst oder Gemütlichkeit. Der erste Satz polarisiert.

Es tut mir leid, dass ich euch diesen Satz nicht bieten kann. Denn das, was ich zu erzählen habe, ist kein Gewitter. Weder laut, noch aufbrausend, noch durchzogen von krachendem Donner und hellen Blitzen. Meine Geschichte ist schlicht und einfach. Sie beschreibt nichts, was nicht jeder selbst erlebt hätte. Die erste Liebe, der erste Sommer, in welchem die letzten Sonnenstrahlen die Abende in goldenes Licht tauchen und sich mit diesem Gold unwiderruflich ins Gedächtnis festbrennen. Ich habe so viele Bücher gelesen und glaube sagen zu können, was Bücher mit uns machen. Es gibt die, die unsere Perspektive auf die reale Welt zusammenwickeln wie einen nassen Waschlappen und diesen anschließend auswringen. All unsere Überzeugungen, Meinungen und Wünsche tropfen in einen Abfluss und wir nehmen neues Wasser auf, das wie uns scheint klarer und sauberer ist. Diese Bücher haben krachende erste Sätze und verdammt noch mal Schlusssätze, die dich zerreißen, zum weinen oder lachen bringen. Schlusssätze, die einen so sehr berühren, dass man sie mehrfach lesen muss. Das sind die Bücher, die das Leben verändern. Klar, denkst du vielleicht, dass das eine romantisch verklärte Sicht auf die Literatur ist, aber glaub mir, dann bist du noch nie wirklich von einem Buch verführt worden.

Es gibt auch andere Bücher. Viele andere sogar. Manchmal weben die AutorInnen kunstvolle Muster, erschaffen eigene Welten und Werte. Neue Blickwinkel und Probleme, die ferner unserem Alltag nicht sein könnten. Diese Bücher lassen dich fliehen. Aus dieser Welt, vor deinen Problemen, Sorgen und Ängsten.

Mir fiel es nie besonders schwer Bücher subjektiv zu kategorisieren. Jedes Mal, wenn ich eines beendet habe, ist mir augenblicklich klar, in welche Schublade es zu stecken ist.

Mein Buch soll nicht anders sein als alles andere. Es wird nichts sein, was es nie gegeben hat. Kein Leser wird sich hinterher ausgewrungen und neu erfüllt fühlen. Denn so ein Buch ist das hier nicht. Es wird nicht aufregend und auch nicht dramatisch. Aber vielleicht bist du ja genau wie ich und dir gefallen am meisten, die Geschichten, die dir ihre Message nicht entgegenbrüllen. Die nicht LAUT sondern ganz leise sind. Und so einen Weg in dein Herz finden, ohne dass du es bemerkst. Ich hoffe, dass du jetzt nicht dieses Buch weglegst sondern mir eine Chance gibst einen leeren Raum mithilfe von Worten lebendig werden zu lassen.

Es war der erste Tag diesen Jahres an dem ich draußen meine Zeit verbringen konnte. Ich hatte das Gefühl es war wärmer geworden und die ersten Sonnenstrahlen kündigten den Sommer an. In meinen blauen Lieblingshoodie gehüllt saß ich auf der Hollywoodschaukel unseres Gartens. Die Bäume fächerten ihre Blätter wie ein Dach über mich. Meinen Laptop über meine Beine ausgebreitet, suchte ich nach einer passenden Formulierung für meinen Einleitungssatz. Ich schaute mir die Kommentare meines letzten Eintrags an,es handelte sich um eine Bewertung des Buches "Jane and Miss Tennysson". Unter dem Motto "Noch nie hatte jemand meinetwegen ein Buch gelesen, geschweige denn gleich zwei" kamen die schüchterne Devon und der Lacross-Champion Ezra sich näher. Ich hatte das Buch mit 10/10 Sternen bewertet. Die Kommentare häuften sich; manche widersprachen mir, wieder andere lobten mich, doch nur einer erregte meine Aufmerksamkeit:

boyslovetoread : Ich würde für dich alle Bücher dieser Welt lesen. June 22nd 2019 8.00 pm

Ich schmunzelte und widerstand dem Drang einmal auf eine seiner Botschaften einzugehen . Seit ungefähr zwei Monaten hinterließ der geheimnisvolle Unbekannte lauter solcher Kommentare unter jedem meiner Blogeinträge. Selbst dann wenn es sich um einen Thriller handelte, schaffte er es noch einen romantischen Satz abzugeben. Manchmal waren sie lustig, manchmal verzweifelt. Es schmeichelte mir, wobei ich stets darauf achtete mir in Erinnerung zu rufen, dass es ihm wohl kaum wirklich um mich ging. Schließlich war mein Blog anonym. Für mich stand irrwitzigerweise fest, dass mein heimlicher Fan ein Er war. Dem Usernamen nach zu urteilen, war das durchaus naheliegend, allerdings sagte mir mein Gefühl ebenfalls, dass es sich um eine männliche Person handeln musste. Schon manches Mal war ich im Inbegriff ein Gespräch über das private Chatfenster meines Blogs zu beginnen. Dann tippte ich eine möglichst unverbindliche Nachicht, angefangen mit einem "Hey wie geht's?" , um nicht allzu aufdringlich zu wirken. Leider hatte ich mich nie getraut sie abzuschicken und mittels der Löschtaste der Nachicht beim Verschwinden zugeschaut. Meinen Buchblog besaß ich bereits seit einem Jahr. Ich hatte schon als Kind viel gelesen und nach und nach entwickelte sich eine Liebe zu den Büchern, die nur schwer mit Worten zu beschreiben ist. Mich faszinierte der Prozess, der einzelne Wörter zu Worten und Worte zu Geschichten werden ließ. Jedes Buch ist ein Unikat. Jede Welt dieser Bücher so fein erschaffen, die Charaktere miteinander verwoben und die Handlung verwinkelt und doch logisch. Schreiben ist eine Kunst. Oder eine Gabe. Ich selbst war mir nicht sicher, inwieweit man Schreiben lernen konnte. Vielleicht war es wie Singen. Man konnte lernen die Töne zu treffen, aber um etwas Besonderes zu erschaffen, braucht man Talent. Sobald ich glaubte dieses Talent in einem Roman zu sehen, verfasste ich einen kurzen Eintrag, der schlichtweg das Motto des Buches bezeichnete, um diesem Talent eine klitzekleine Würdigung entgegenzubringen. Meiner Community schien diese Idee zu gefallen. Zu Beginn hatte ich exakt drei Follower: meine kleine Schwester Fae, meine Mom und meine beste Freundin Mala. Seit jeher wuchs meine Followerzahl nahezu täglich. Manche kannte ich aus der Schule oder vom Surfen. Andere Namen hatte ich noch nie gehört oder die User hatten ihre Namen so weit anonymisiert, dass man nicht auf ihre Identität schließen konnte. Ich schreckte hoch, als ich das Quietschen von Gartenschlappen auf noch feuchtem Rasen hörte. Mom hatte unseren Kater Findus auf dem Arm und kam lächelnd auf mich zu. Ihre kurzen Haare waren leicht zerzaust und in ihrem Mundwinkel waren noch letzte Spuren des Raubzugs durch den Süßigkeitenschrank zu erkennen. Gedankenverloren zupfte sie, sofern dies mit Findus auf dem Arm möglich war, vertrocknete Blätter von den Rosen. Meine Mom liebte ihren Garten. Fast so sehr wie ich meine Bücher liebte. Ein Zitronenfalter erhob sich mit seinen gelben Schwingen spielend leicht in den Himmel. Fasziniert über den Boten des Sommers legte ich meinen Laptop zur Seite und schaukelte leicht. Mein Dad hatte unsere Hollywoodschaukel vor ein paar Jahren aus einem alten Klettergerüst und ein paar Paletten zusammengezimmert. Sie war mein Lieblingsplatz im Sommer, erst zum Entspannen und jetzt zum Verfassen meiner Blogeinträge, geworden. Findus kam auf mich zugestreunt und hüpfte mit einem eleganten Sprung neben mich. Ich hörte abrupt auf zu schaukeln. Findus war eine sehr abenteuerlustige Katze, jedoch erging es ihm ähnlich wie mir im Kettenkarussell. Ihm wurde schnell schlecht. Auch meine Mum schlenderte nun auf mich zu, hob Findus auf ihren Schoß, der protestierend maunzte und setzte sich neben mich. "Alex" "Mom", äffte ich ihren Tonfall nach. Wir schauten einander amüsiert in die Augen. "Alex, ich möchte gern noch einmal mit dir sprechen." Das war niemals etwas Gutes. Als sie das letzte mal mit Dad hatte sprechen wollen, hatte sie ihn dazu überredet das Parkett unseres Erdgeschosses abzuziehen. Eine Woche bei 30 Grad hatte er schwitzen dürfen. Tapfer stellte ich mich meinem Schicksal: "Ja Mom, was gibt es denn?" Sie seufzte. "Alex, alle deine Freunde machen ja bald ihren Führerschein oder haben den sogar schon gemacht. Und ich möchte, dass du das auch machst..." Erleichterung machte sich in mir breit. "...aber das Problem ist, dass so ein Führerschein teuer ist und dein Vater und ich möchten dir das wirklich gern ermöglichen,aber da ist auch noch das College und vielleicht die erste eigene Wohnung und naja..." sie lachte ironisch auf "Du kannst dir sicher denken, dass man mit einer Surfschule und als Gelegenheitssängerin nicht gerade finanziell am flüssigsten ist." Sie schaute auf ihre in ihrem Schoß gefalteten Hände, strich ihren blauen Rock glatt. An diesem Abend noch würde sie auf einer Hochzeit singen. Sie war die beste Jazzsängerin in ganz Albaport. Wenn nicht sogar die Beste von ganz Georgia. Ihr Kopf ruckte hoch und sie sah mir wieder klar in die Augen. " Deshalb möchte ich dich darum bitten, dass du deinen Führerschein selbst bezahlst. Du bist jetzt 17 und ich dachte...naja die Ferien fangen bald an und dann kommen die Sommergäste und überall werden doch Leute gesucht ..." "Du möchtest also, dass ich mir einen Ferienjob suche von dessen Geld ich meinen Führerschein bezahlen soll?" Sie nickte. Um ehrlich zu sein graute es mir bei dem Gedanken meine Sommerferien damit zu verbringen irgendwo zu arbeiten. Mein ursprünglicher Plan war es gewesen so viele Bücher zu lesen wie möglich, mit Mala und den anderen zu surfen und abends am Lagerfeuer Marshmellows zu grillen. " Ja okay" frustriert kniff ich die Augen zusammen und ließ meinen Kopf gegen die Lehne sinken. " Alex, das ist doch gar nicht so schlimm. Alle arbeiten während der Ferien. Das ist doch quasi normal in deinem Alter." "Jaa Mom." Die Kissen der Hollywoodschaukel zurechtrückend schaute sie mich abwartend an. "Also Emily ..." Emily Greenford war eine von Moms ältesten Freundinnen und besaß einen kleinen Imbiss an der Strandpromenade,ich wusste genau worauf das hier hinauslaufen würde. "...und Ich habe für dich zugesagt" beendete Mom ihren Satz. "Nein Mom" "Alex es sind nur noch vier Tage bis Ferienbeginn, es war nicht so leicht noch etwas für dich zu finden." Ich wusste genau was sie erwartete, aber statt eines "Danke" funkelte ich Mom nur wütend an. Emi's Hütte bedeutete haufenweise Jungsgruppen von meiner Schule. Ich war verloren.

Schwarz. Schwul. Schön.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt