5

14 1 0
                                    

Titel: Dich immer wieder sehen

Motto: Distanzen sind da, um überwunden zu werden.

Bewertung: 8/10

Boyslovetoread: Irgendwann überwinden wir auch die Anonymität, die uns trennt.

Mein Schädel brummte gehörig, als ich am nächsten Morgen aufwachte. Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich erleichtert fest, dass ich an meinem ersten Arbeitstag nicht direkt zu spät sein würde. Ich stand auf und wollte die Jalousie hochmachen, als ich über ein Paar Turnschuhe stolperte. Nach und nach kamen die Erinnerungen an den gestrigen Abend zurück. Verzweifelt suchte ich den Raum nach meinem Handy ab. Als ich es gefunden hatte, sah ich 4 verpasste Anrufe von meiner Mom und zwei Nachichten von Aiden.

Alex? Bist du hier noch irgendwo? Kommst du allein nach Hause?

Alter wo auch immer du bist, bleib da. Ich such dich seit 'ner halben Stunde. Musst du halt nach Hause laufen. Sehen uns dann morgen, brauche deinen Rat. Geht um Lucy.

Schnell tippte ich eine Antwort.

Ich habe heute keine Zeit. Ich muss arbeiten.

Zugegeben würde ich wohl kaum den ganzen Tag arbeiten müssen. Zwei Tage vor den Ferien hatte ich mich überwinden können, Emiliy anzurufen und ihr für das Jobangebot zu danken. Dabei hatten wir gleich meinen Schichtplan besprochen. Ich hatte es mir eindeutig schlimmer vorgestellt. Für gerade mal 4 Vormittage die Woche plus Freitag Abend bekam ich eine bessere Bezahlung als mein Bruder mit seinem Vollzeitjob bei Jordan's Autowerkstatt. Mir war klar, dass Aiden früher oder später merken würde,dass der Job nur eine Ausrede gewesen war, aber momentan konnte ich mich nicht dazu durchringen ihn zu sehen. Meiner Meinung nach hatte er den Brocodex verletzt, wobei er mir ständig predigte "Bro's before Hoe's". Sah man ja,wie konsequent er damit war. Ich wollte nicht jämmerlich klingen, aber ich war enttäuscht. Nachdem  testosteronvollgepumpter Aiden entschieden hatte, sich mit Lucy weiter zu besaufen, hatte ich Mala gepackt und den völlig verduzten Parker stehen lassen. Mala hatte sich gewehrt und versucht mich abzuwimmeln: "Alex, wasssoll'n das?" Kaum hatten wir den Steg erreicht, hatte sie mich voller Aggressivität angeschaut. "Ich will weiter mit ihm reden. Parker iss sssoo süß." Diese Worte hatten mir endgültig den Rest gegeben. Was war nur los mit allen? Jegliche Vernunft wurde auf einmal für das andere Geschlecht über Bord geschmissen. "Ich versuche dir hier den Arsch zu retten Mala. So wie ich deine Eltern kenne, hättest du vor mindestens zwei Stunden zu Hause sein müssen.", ihre Eltern bewiesen erstaunliche  Ausdauer, wenn es darum ging ihre Tochter zu kontrollieren. " Du bist total dicht, kotzt alles voll und gräbst zudem einen Fuckboy an.", schleuderte ich ihr wütend entgegen. Ihre Augen hatten  sich geweitet und da hatte ich sofort gewusst, dass ich zu weit gegangen war. Den Weg zu ihr nach Hause hatten wir schweigend zurückgelegt. Auf der Promenade war um diese Uhrzeit niemand mehr unterwegs gewesen. Die Wellen brachen leise und regelmäßig am Strand und ich hatte versuchte die Sprache des Meeres zu verstehen. Das Wispern zog mich nahezu magisch an. Ab und zu hatte Mala das Gleichgewicht nicht mehr halten können oder sich übergeben müssen und mich so in die Realität zurückgeholt. Als wir nach fast einer Stunde bei ihr angekommen waren, tippte ich den Sicherheitscode für das Tor ein. Es öffnete sich und gab die lange Kieselsteinauffahrt preis, die ich schon seit meiner Kindheit entlangging um zu dem großen gläsernen Palast mit dem Pool auf der Dachterasse zu gelangen. Früher hatten Mala, Aiden und ich uns jeden Sonntag getroffen, um gemeinsam zu schwimmen und den Tag zu verbringen. Doch diese Zeit war lange vorbei. In diese Erinnerung versunken war ich Mala gefolgt, um sie nach oben in ihr Zimmer zu bringen. Es war viel weniger eine bewusste Entscheidung, eher eine Gewohnheit. Ich hatte ganz selbstverständlich gewartet bis sie den Schlüssel aus ihrer Jackentasche gefingert und nach dem dritten Anlauf endlich in das Schloss der modernen Glastür gezwängt hatte. Anschließend hatte sie sich jedoch in die Tür gestellt und mir so klar gemacht, dass ich nicht länger erwünscht war. Danach war ich fast eineinhalb Stunden nach Hause gelaufen. Unterwegs hatte meine Mom versucht mich anzurufen, doch ich hatte sie weggedrückt. Ich wusste, dass sie sich Sorgen machte, doch wenn ich ihr gesagt hätte wo ich bin, hätte sie mich abgeholt. Auf keinen Fall wollte ich jetzt Zeit mit meiner Mom verbringen. Mütter merken immer sofort, wenn etwas nicht stimmt und sie hätte mir vermutlich ein Gespräch darüber aufgezwungen. Dann hätte ich beichten müssen,dass ich es geschafft hatte mich mit meinen beiden besten Freunden innerhalb gerade mal eines einzigen Abends total zu verkrachen. Und daraufhin hätte ich vermutlich geheult. Und noch mehr geheult, weil ich mich geschämt hätte wegen solcher Kleinigkeiten, wie Erwachsene sagen würden, immer noch heulen zu müssen. Den Weg entlang hatte sie mir mehrere wütende SMS geschrieben, mit der unmissverständlichen Botschaft, ich könne mich auf etwas gefasst machen, wenn ich nach Hause kommen würde. Leider war mir klar,dass sie es ernst meinte. Meine Mum verstand keinen Spaß in puncto nachts zu spät heimkommen.
Ich stand nun in meinem Zimmer und versuchte Zeit zu schinden, indem ich sehr ausgiebig rausguckte, die herumliegenden Klamotten einsammelte und mein Bett machte. Irgendwann musste ich mich dem Zorn meiner Mom stellen. Als keine Zeit mehr bleib, da ich zur Arbeit musste unternahm ich den Versuch mich  innerlich für das unausweichliche zu wappnen. Vorsichtig schlich ich die Treppe hinunter. Absolute Stille erfüllte das Haus. Kein Radio, welches leise im Hintergund vor sich hin dudelte, kein Findus, der miauend durchs Haus tapste. Nach einem riskanten Blick in die Küche und ins Wohnzimmer, atmete ich auf. Es war tatsächlich niemand da. Wo auch immer Mom war, sie war jedenfalls nicht hier. Ich hätte vor Freude Luftsprünge machen können, als mir klar wurde, dass sich das Gespräch noch etwas verzögern würde. Ich hegte die naive Hoffnung, dass auch ihr  Zorn über die Zeit etwas milder werden würde. Flink räumte ich schmutzige Teller in die Spülmaschine und entsorgte die leeren Joghurtbecher, welche sich auf der Arbeitsplatte stappelten. Im Rausgehen steckte mir einen Apfel in den Mund und wühlte im Schuhberg meiner Familie nach einem passablen Paar. Wie immer war der ganze Flur mit Dads Flip Flops, Faes High Heels und Moms Ballerinas zugestellt. Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel, beschloß ich, dass man mit einem kurzärmeligen Hemd und einer Jeans imbisstauglich aussah. Kopfschüttelnd bemerkte ich, dass ich mir tatsächlich Gedanken darüber machte meine Haare zu stylen. Machte man so etwas zur Arbeit? Luca gelte  immer seine Haare, bevor er morgens in die Werkstatt aufbrach. Ich hingegen besaß noch nicht einmal Haargel. Da ich die Haare von meiner Mum geerbt hatte, unternahm ich gar nicht erst den Versuch den prägnanten eigenen Willen meiner Afrolocken zu unterbinden. Ich stieß geräuschvoll Luft aus und legte eine Hand auf die Türklinke. Seit wann machte ich mir Gedanken über meine Haare? Hilfe, ich merkte tatsächlich, dass ich total aufgeregt war.
Als ich bei Emi's ankam, parkte bereits Emilys silberner Toyota auf dem Parkplatz. Daneben stand ein Motorrad, welches wohl einem der anderen Angestellten gehören musste. Emily hatte mir Vorraus mitgeteilt, dass ich nie ganz allein im Laden wäre und mir immer jemand zur Seite stehen würde. Das hatte mich ungemein beruhigt. Ich schloss mein Fahrrad an eine Laterne und überquerte den Parkplatz. Von hier aus konnte ich einen Blick auf unsere gestrige Partylocation erhaschen und sofort verschlechterte sich meine Laune. Beim Fahrradfahren hierher hatte mein Handy erneut gepiept und ich vermutete Aiden hatte mir geantwortet. Frustriert raufte ich mir die Haare und beschloss Aiden und Mala für's erste zu ignorieren. Nun sollte ich mich erstmal darauf konzentrieren meinen Job nicht gleich am ersten Tag wieder zu verlieren, da meine miese Laune wahrscheinlich ein Kundenabtörner hoch zehn war. Meine Unsicherheit und Aufregung waren mittlerweile in nackte Angst umgeschlagen.  Emily hatte mehrfach betont wie wichtig es sei immer freundlich und entgegenkommend zu bleiben, auch wenn diese Freundlichkeit nicht erwidert wird. Konnte ich das überhaupt? Auf Menschen zugehen und so tun, als wäre ich super selbstbewusst? Ich tackerte mir ein wackliges Lächeln ins Gesicht und öffnete die kleine Ladentür. Emi's Hütte sah schon immer aus als würden Seemänner nachts hier illegale Geschäfte abwickeln. Von außen glich das Gebäude einem alten Schuppen. Manche der dunklen Holzbretter waren vergilbt oder schief genagelt worden. Der weiße Lack blätterte von dem Fenster der Eisausgabe und in den anderen bullaugenartigen Fenstern hingen maritime Dekorationsgegenstände. Ein großer Anker zierte den Eingang und diente außerdem als Stütze für die Menükarte. Beim Hineingehen bimmelte ganz altmodisch ein Glöckchen über der Tür und kündigte so das Eintreten neuer Kunden ein. Der Innenraum war in schlichten Holztönen gehalten. Links neben der Tür befanden sich zwei weitere Türen.  Diese waren mit "Toilette" und " Privat" in schnörkeligen, geschwungenen Buchstaben beschriftet. Die rechte Seite bot Sitzgelegenheiten mit Tischen und einen atemberaubenden Blick, über die Terasse hinaus auf den offenen Atlantik. Ich erhaschte einen Blick auf einen Haarschopf draußen auf der Terasse, gerade als Emily strahlend und mit ausgebreiteten Armen aus der Küche kam. "Alex, wie schön, dass du da bist.", sich das Frittenfett an der Schürze abwischend begrüßte sie mich mit einer herzlichen Umarmung. Meine Mom und Emily waren befreundet seit ich denken konnte. Die kleine, etwas pummelige Frau hatte Fae, Luca und mich sogar ein paar Mal aus der Schule abgeholt, als Dad sich beim Surfen den Kopf auf einem Felsen angeschlagen hatte und Mom zu ihm ins Krankenhaus gefahren war. Ich war damals 10 Jahre alt und die kleine Fae hatte mit ihren 8 Jahren jämmerlich geweint. Emi hatte uns einen Vanillepudding gekocht und mit uns "Findet Nemo" angeschaut. Mir hatte es gut gefallen bei Emi und ich hatte mich immer wohlgefühlt. Leider war es Emily und ihrem Mann Howart nicht vergönnt gewesen selbst Kinder zu haben. Das erfuhr ich, als ich meine Mom irgendwann fragte, warum Emi keine eigenen Kinder hatte, wo sie sich doch so toll um welche kümmern konnte. Obwohl ich am Anfang dagegen war den Job bei ihr anzunehmen, freute ich mich in diesem Augenblick es getan zu haben. Emis fröhliche Art und gute Laune waren ansteckend. " So Alex, aber heute ist nichts mit Spaß, zack zack Schürze umbinden.", in die Hände klatschend scheuchte sie mich in den Angestelltenraum. Es war die Tür, die mit "Privat" versehen war. Dahinter verbarg sich ein kleiner Raum mit Spinden für mein Handy und andere Habseligkeiten. Nachdem ich alles verstaut hatte und umgezogen war, betrat ich neugierig die Küche, in der ich Emi vermutete. Zwischen Töpfen nach etwas wühlend, schrie mir die kleine Frau Anweisungen zu: "Wir öffnen in einer halben Stunde. Geh schon mal raus und nimm die Stühle von den Tischen, einmal alles abwischen und durchfegen. Dein Kollege", lautes Geraschel zwischen den Töpfen,  "sagt dir was danach zu tun ist." Etwas verlegen, weil ich den Namen meines Kollegen nicht verstanden hatte, ging ich nach draußen. Ich würde ihn wohl peinlicherweise danach fragen müssen. Draußen begann ich sofort die Stühle von den Tischen zu nehmen. "Du musst auch versuchen,die Stühle ein bisschen ordentlich hinzustellen und nicht so, als hätte eine Großfamilie gehört, dass es Gratiskindergrtänke gibt.", ertönte eine tiefe Stimme hinter mir. Schmunzelnd drehte ich mich um,eine Erwiderung schon auf den Lippen, als ich in tiefe braune Augen blickte. Mein Lachen blieb mir im Hals stecken, als er mir eine große tätowierte Hand entgegenstreckte. "Du kennst mich ja bereits. Ich bin Parker." Zu verblüfft um die Hand zu ergreifen, starrte ich ihn einfach nur an. Warum tauchte dieser Typ auf einmal überall in meinem Leben auf? Um Fassung bemüht, legte ich meine Hand in seine. "Ich bin Alex.", brachte ich stammelnd hervor. "Hey Alex, nett dich endlich kennenlernen." Und auf einmal schenkte er mir genau das Lächeln, um das ich Mala gestern beneidet hatte.

Schwarz. Schwul. Schön.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt