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Titel: Annähernd Alex                                                                                                                                                   Motto: Die Dinge sind oft anders als sie scheinen. Aber manchmal will der Zufall, dass sie genau so sind.                                                                                                   
Bewertung: 9/10

boyslovetoread: Vielleicht will der Zufall ja, dass wir uns irgendwann begegnen. 

Die letzten Schultage gingen schnell vorüber. In einem immergleichen Kuddelmuddel aus zu frühem Aufstehen, zu spätem Schlafengehen und zu langen Tagen zogen sich die letzten Meter Richtung Ferien zäh wie Kaugummi. Am Zeugnistag hatte ich natürlich verschlafen und gab mir alle Mühe mich nicht auf dem Weg nach unten auf der Treppe abzupacken. Meine kleine Schwester Fae war bereits seit Stunden auf den Beinen und löffelte gut gelaunt ihren Jogurt, als ich abgenervt am Tisch Platz nahm. Mein großer Bruder Luca hatte Kopfhörer auf und kippte haufenweise Obst und Gemüse in den Mixer. Dabei summte er fröhlich die Melodie irgendeines Popsongs mit, der andauernd im Radio lief. Fieberhaft durchforstete ich mein Gehirn nach dem Titel, als das laute Geräusch des Mixers auch das letzte bisschen Ruhe in meinem Kopf zerstörte. "Wo ist Dad?", brüllte ich Fae über den Lärm ins Ohr. "Der ist heute morgen um vier raus, gute Wellen!" schrie sie zurück. Was meinen persönlichen Horror beschrieb, war Dads absolute Luxusvorstellung. Bevor er um acht die Surfschule öffnete, ging er selbst manchmal noch an den Strand, um die guten Wellen mit niemandem teilen zu müssen. Oftmals schwärmte er abends von der Einsamkeit des Strandes so früh am Morgen. Dann gab es nur ihn, sein Board und das Meer. Als Lucas Smoothie fertig war und das Geräusch zu verhallen begann, ersetzte ein penetrantes Klingeln den terrorisierenden Apparat.  Fae begann aufgebracht mit ihrem Jogurt herumzufuchteln und stürzte zur Tür. "Hey Fae, bereit für deinen letzten Tag in der Mittelstufe?", hörte ich Aiden aus dem Flur.  "Du spinnst doch, Mom schläft! Sie hatte gestern einen Auftrag.", zischte Fae aufgebracht zurück. Abwehrend die Hände erhoben betrat Aiden die Küche, die direkt an den Flur grenzte. "Guten Morgen Alex-Schnucki, nur noch heute trennt mich von guter Laune und Erholung. "  "Morgen", grummelte ich zurück. Er wuschelte mir freudig durch die Haare und ließ sich auf einen der freien Stühle fallen. Unsere Küche war nicht besonders groß, die Stühle des alten Eichenholztisches waren willkürlich zusammengewürfelt und allgemein sah es hier um diese Uhrzeit aus wie auf einem Schlachtfeld. Aiden schien sich nicht daran zu stören. "Wisst ihr, diesen Sommer ist es so weit, das spüre ich. Diesen Sommer kann ich bei Lucy landen." Fae verzog das Gesicht zu einem Grinsen und drehte sich eilig von uns weg. Aiden hatte schon eine Schwäche für Lucy seit ich denken konnte. Jeden Sommer war es das gleiche Spiel. Er gestand ihr seine Liebe, sie ließ ihn abblitzen, traf sich jedoch weiterhin mit ihm. Luca, der nun seine Kopfhörer abnahm zog sich einen Stuhl heran und setzte eine wichtige Miene auf. "Als ich in der Highschool war.." Jedes Mal tat er so, als wäre das bei ihm mindestens 10 Jahre her. Letztes Jahr hatte er es mit vielem guten Zureden von Mom und Dad irgendwie geschafft nicht durch die Abschlussprüfungen zu rasseln."...das gab's so viele Mädels. Du musst dir doch nur eine aussuchen. Und wenn die dich nicht will, na und? Gibt soo viele." Lachend wischte er sich die Smoothiereste von der Lippe. Luca hatte schon immer einen eher lockeren Umgang mit Mädchen gepflegt. Er war, soweit ich wusste, nie gemein oder herablassend, aber er konnte einfach schlecht Nein sagen. Zudem spielte ihm sein Aussehen in die Karten.  Seine schwarzen Haare konnte er perfekt stylen, sodass sie immer auf eine gewollte Art ungestylt  aussahen. Hinzu kamen die strahlend blauen Augen, die von dichten Wimpern gesäumt wurden, auf die sogar Fae neidisch war. "Aiden, Alex, ich will ja wirklich nicht drängen, aber ich habe kein Bock auf den überfüllten Bus." Fae hatte ohne dass ich es bemerkt hatte ihre Tasche geholt und stand abfahrbereit im Türrahmen. "Entspanne dich Chica, ich bin schon unterwegs." Aiden zwinkerte ihr zu und erhob sich. "Alex-Schnucki musst du noch deinen Tampon wechseln oder kann's losgehen?" Augenrollend schnappte auch ich mir meine Tasche.

Wie immer entbrannte zunächst eine heiße Diskussion darüber, wer vorne sitzen darf. Schließlich siegte Fae über mich, mithilfe des Arguments sie müsse noch Wimperntusche auftragen und brauche dafür den Spiegel. Nachdem wir Fae an der Albaport Middle School abgesetzt hatten, fuhren wir entlang der Hurricane Road in Richtung der Benjamin Apple Highschool. Auf der linken Seite zogen die Häuser der Ferienappartements vorbei, die schon bald proppevoll sein würden. "Alex, kommst du heute Abend auch?" Wir hielten an einer Ampel und eine Gruppe Schülerinnen überquerte die Straße. Sie waren vielleicht acht oder neun Jahre alt und unterhielten sich lautstark über eine Geburtstagparty. "Wohin?" Mein Blick wanderte zu Aiden. "Ach so eine kleine Party zum Abschluss des Jahres. Zeugnisse  und so.. du weißt schon. Am Strand hinter Emi's Imbiss. Wir könnten vorher noch surfen, wenn du Bock hast." "Wer kommt denn noch alles?" "Nur die Üblichen." So ein bisschen Spaß konnte nicht schaden sagte ich mir und willigte schließlich ein: "Ja klar, gern." Aiden schien ehrlich erfreut. "Aber ob surfen vorher etwas wird, müssen wir schauen, meine Mom kocht und will mit uns das Ende des Jahres feiern."  "Jetzt, wo Luca nicht mehr zur Schule geht, muss sie ja auch keine Angst mehr vor den Zeugnissen haben." Lachend ließen wir alle Fenster des kleinen, roten Fiat herunter und genossen den Wind, der uns durch die Haare fuhr.

Der Parkplatz der Benjamin Apple Highschool erinnerte an eine Kirche an Heiligabend. Tausende Mütter, Väter und Großeltern brachten ihre Lieben an ihrem letzten Tag zur Schule. Dabei parkten sie selbstverständlich mit einem Kleinwagen quer über drei Parkplätze. Wer brauchte die schon? Nach 10 Minuten hoffnungslosem herumfahren entdeckte ich einen freien Platz eine Reihe weiter. "Aiden, da drüben", schrie ich aufgeregt. Wild gestikulierend versuchte ich ihn zu dem Parkplatz zu lotsen. "Ich sehe ihn!" Jubelnd lenkte er den Wagen um die Kurve. Doch plötzlich bremste er abrupt. Der Sicherheitsgurt rastete ein und mein Kopf wurde brutal nach vorne geschleudert. Einen Moment später war alles ganz still. "Scheiße man, ist alles okay bei dir?" Besorgt schaute Aiden zu mir herüber. "Ja alles gut, nur erschreckt und bei dir?" Aiden jedoch ignorierte meine Frage und ehe ich mich versah, war er auch schon ausgestiegen und schmiss die Wagentür hinter sich ins Schloss. Nur knapp vor uns parkte ein Motorrad auf unserem Parkplatz. Der Fahrer nahm in einer lässigen Geste seinen Helm ab. Er stand mit dem Rücken zu mir, schien etwas größer als ich und hatte breite Schultern. Vielleicht auch nur durch die Motorradjacke. Unter dem Helm kamen dunkle, leicht lockige Haare zum vorscheinen. " Was glaubst du Penner eigentlich wer du bist?! Hackt's bei dir oder was?! Du hast mich voll geschnitten!", polterte Aiden los. Der Typ drehte sich überrascht um als würde er Aiden erst jetzt bemerken.  Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und ließen so seine Augenpartie noch dunkler erscheinen. Leise sagte er etwas zu Aiden, was ich nicht verstand. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich ihn schon einmal gesehen hatte. Meine Schwester hatte mir vor einiger Zeit sein Profil auf Instagram gezeigt, den Anlass hatte ich allerdings vergessen. Er hatte nur ein einziges Bild von sich. Darauf sah man ihn am Strand im Sonnenuntergang, wie er lässig mit seinem Board unter dem Arm aus dem Wasser kam. Mein Blick schweifte durch Aidens Auto und blieb schließlich an der Uhrzeit hängen. Wir waren bereits über 5 Minuten zu spät. Ich öffnete die Tür und stieg ebenfalls aus. Die Augen des Motorradfahrers zuckten zu mir. Er lächelte breit und winkte mir zu, Aiden neben ihm immer noch in Rage. Na der traut sich was, dachte ich und musste augenblicklich auch lächeln. Und überraschenderweise erwiderte meine Hand den Gruß.

Schwarz. Schwul. Schön.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt