Kapitel 98 - I Need To Eat

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Lillys Sicht.

Am nächsten Morgen wachte ich doppelt so erschöpft wieder auf, als wenn ich einfach gesoffen hätte. Ich fühlte mich so ausgelaugt und doch wollte ich unbedingt mit jemandem reden, damit sich mein Kopf endlich ein Stück leeren konnte. Ansonsten würde er noch platzen, dachte ich. Ich stand auf und wollte ins Bad gehen, um zu duschen. Da stolperte ich über einen Stapel Bücher und Hefte, die ich gerade noch so halten konnte. Mein Blick blieb am Titel des Buches hängen. Englisch. Fuck! Welcher Tag war heute? Schnell schaute ich auf mein Handy. 

10:37 Uhr. Sonntag. Ein Tag vor der Englischprüfung.

Tränen stiegen mir in die Augen. Angestrengt versuchte ich an das letzte zu denken, was ich für Englisch gelernt hatte. Ich hatte so viel im Kopf, nur war alles, was Englisch betraf, wie ausgelöscht. Hastig versuchte ich mir den Pulli vom Körper zu reißen, den ich gestern Abend übergezogen hatte und blieb dann an meinem Spiegelbild hängen. Ich erschrak. Warum zum Teufel waren all meine Wunden erneut aufgekratzt und warum hatte ich so gut wie überall blaue Flecken? Scheiße, was war gestern Abend nur passiert? Ich hatte doch nichts getrunken, also warum konnte ich mich an nichts erinnern? Ohne richtig nachzudenken, wählte ich die Nummer von Nick und wartete, dass er abnahm.

>>Lilly?<< fragte er mit verschlafener Stimme. Ich hatte ihn wohl geweckt, aber das war mir egal.

>>Was zum Teufel ist gestern passiert?<<

>>Was? Ich hab keine Ahnung was du meinst<< Nick wurde etwas wacher.

>>Was hast du mit mir gemacht?<< schrie ich ihn durchs Handy an. 

>>Lilly, komm runter! Es ist doch gar nichts passiert. Was ist denn los mit dir?<<

Ich legte auf und warf das Handy zurück aufs Bett. Mein Blick blieb an der Tüte mit dem Speed hängen. Kurz war ich versucht, auszuprobieren, ob mich eine Überdosis davon wohl umbringen konnte. Doch schnell wand ich mich ab und verkrampfte. Langsam sank ich auf meinen Teppich und sah mir im Spiegel dabei zu, wie meine Tränen versiegten. Ein letztes Mal atmete ich aus, wischte mir durchs Gesicht und griff dann erneut zu meinem Handy. Ich öffnete meinen Ordner mit den E-Mails und schrieb an meine Therapeutin. Ich brauchte unbedingt einenneuen Termin. Ich schniefte ein paar Mal, klemmte mein Handy dann ans Ladekabel, weil es drohte sich auszuschalten, und stand dann auf, umins Bad zu gehen. Ich sprang unter die kalte Dusche, wusch mir dasBlut von den Armen so gut es ging und stand dann noch ein paar Sekunden unter dem Wasserstrahl, um richtig wach zu werden. Als ichdann in den Spiegel im Bad schaute, empfand ich gar nichts. Verwirrtschaute ich auf meinen Bauch, als er leise knurrte. Seit Wochen hatte er das nicht getan. Das leise Knurren war als hätte sich mein Körperschwach zurück gemeldet. Aber das konnte doch gar nicht sein, oder?Zitternd atmete ich aus und schaute dann wieder mein Spiegelbild an.Ich schluckte, dann nickte ich langsam. Eine stumme Einigung mit mirselbst. Ich würde etwas essen. Ich musste gerade etwas essen. Ichbiss mir auf meine bereits kaputte Lippe, zog mir ein Shirt und einePyjamahose über und lief die Treppe runter in die Küche. Zögerndöffnete ich den Kühlschrank und sah mich um, was wir überhaupt dahatten. Bei dem Anblick des Essens knurrte mein Magen erneut. 

>>Istja schon gut!<< machte ich schon fast genervt und griff dann zueiner Packung Himbeeren und Joghurt. Ich seufzte. Das war nichtgenug... Ich wollte noch mehr,nur dieses eine mal! Ich nahm zwei Scheiben Schwarzbrot aus der Brotbox und eine Avocado. Okay, Stop!Das reicht. Ich setzte mich an den Tisch und fing konzentriert an zuessen. Nur dieses eine Mal! Ich aß die Hälfte von allem und ichhatte trotzdem noch Hunger. Doch warf ich den Rest in den Mülleimer,weil ich wusste, dass es ansonsten zu viel werden würde.

>>Oh,hast du gefrühstückt?<< fragte mein Vater sichtlich erfreut,als er in die Küche kam.

>>Ähm,ja. Ich muss jetzt aber wieder nach oben,damit ich noch ein bisschenfür die Englischprüfung morgen üben kann<<

>>Okay, mach das. Soll ich dich nachher zum Mittagessen rufen?<<

>>Ich...äh...Ich muss mal schauen, wahrscheinlich esse ich einfach heute Abend. Ichmuss echt noch ein bisschen für Englisch aufholen und möchte morgen einfach nicht durchfallen<<

Ohne auf seine Antwort zu warten, ging ich nach oben und schloss schnell die Tür hinter mir. Verzweifelt schlug ich ein paar Bücher und Hefte auf, schrieb mir noch einen kurzen Lernzettel und legte michdamit dann aufs Bett, um ihn noch ein paar mal durchzugehen. Meine Schläfen pochten nach einer Zeit und stöhnend drehte ich mich indie Kissen. Ich bekam einfach nichts mehr in meinen Kopf. Ich wolltegar nicht wissen, wie viele Stunden ich letzte Woche mit Lernenverbracht hatte. Mein Handy vibrierte und mit schmerzverzerrtem Gesicht entsperrte ich den Bildschirm. Eine E-Mail.

Hallo Lilly,

schön,dass du dich meldest. Ich hoffe dir ist es gut ergangen so weit. Und ja, gerne gebe ich dir einen neuen Termin. Wie wäre es mit morgen um16 Uhr?

FreundlicheGrüße

c. Robinson

Schwach lächelte ich und tippte schnell eine Antwort, dann trug ich den Termin in meinen Planer ein. Ich würde ihr morgen sagen, dass ich versucht hatte mich umzubringen, damals. Ich konnte es nicht länger verschweigen. Schließlich war Frau Robinson dazu da. Um mir zuzuhören und mir zu helfen mit allem umzugehen.

Please no promises - und alles wurde fakeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt