Kapitel 127 - I missed you

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Lilly

Die Autofahrt dauerte ganz genau eine Stunde und dreiundvierzig Minuten. Und trotzdem fühlte es sich länger an als alles andere. Als mein Dad in unsere Auffahrt fuhr, wurde mir schlecht. Meine Mum hielt mir die Tür auf und mein Dad hatte meinen Koffer bereits auf die Veranda gestellt. Mit einem fremden und dennoch nur allzu bekannten Klicken ging unsere Haustür auf. Alles war gleich, der Flur, die Küche. Ich stand wie angewurzelt im Flur und starrte in die Küche. So viel war hier in diesem Haus passiert. Ich erinnerte mich daran, wie ich todeshigh damals den Teller an die Wand geschmissen hatte als mein Vater mich zwingen wollte zu essen. Sofort verdrängte ich den Gedanken wieder und lächelte meine Eltern an, die mich erwartungsvoll ansahen. Als würden sie nur darauf warten, dass ich zusammen brechen würde. Aber das würde ich Ihnen nie antun, nie wieder.
>>Dad, kannst du vielleicht meinen Koffer in mein Zimmer bringen?<< fragte ich ganz lieb und versuchte mich seelisch darauf vorzubereiten wieder mein Zimmer zu betreten.
>>Aber na klar.<< sagte er und war schon die halbe Treppe oben. Mum lächelte und stellte die Kaffeemaschine an. Langsam folgte ich meinem Vater die Treppe hoch und zögerte vor meiner Zimmertür. Unmerklich holte ich Luft und stieß die Tür einfach auf. Ich atmete erst wieder aus als ich mitten in meinem Zimmer stand. Ich würde nicht zulassen, dass dieser Raum mich je wieder runter zog.
>>Danke<< machte ich zu Dad und er verstand, dass ich kurz allein sein musste. Ich beschloss meinen Koffer auszupacken und die Dinge, die mich allmählich mehr an die Klinik erinnerten als an mein Zuhause, so im Raum zu verteilen, dass ich nicht ganz ausrastete. Ich flüchtete so schnell es ging wieder aus dem Zimmer und ging nach unten in die Küche. Meine Mum hatte den Tisch mit Kaffee und Keksen gedeckt und bat mich, mich doch zu Ihnen zu setzen. Ich klammerte mich an meine Kaffeetasse und schüttete langsam etwas Milch hinein. Durch meine Magersucht hatte ich ganz vergessen, dass ich Kaffee ohne Milch eigentlich gar nicht mochte. Mein Dad bot mir einen Keks an, den ich behutsam annahm und auf meinen Fingerspitzen balancierte, bevor ich ihn aß. Glücklich sahen meine Eltern zu wie ich diesen Keks aß und meinen Kaffee trank. Ja, so schlimm war es mal mit mir gewesen, dass meine Eltern sich freuten dass ich einen scheiß Keks essen wollte und konnte. Fast musste ich lachen, wenn diese Situation nicht doch irgendwie traurig gewesen wäre.
>>Ich möchte wieder zur Schule gehen<< platzte es etwas unüberlegt aus mir heraus.
>>Was? Lilly, mein Schatz, ich weiß nicht ob das so einfach geht<< erklärte meine Mum und sah meinen Dad hilflos an.
>>Du müsstest fast vier Wochen Schulstoff aufholen<< ergänzte er.
>>Das schaffe ich<<
>>Willst du nicht lieber noch ein bisschen Pause machen, Liebling?<< fragte meine Mum und griff nach meiner Hand.
>>Nein, Mum ich will in die Schule<< sagte ich plötzlich fest entschlossen. Und ja, ich wollte es. Ich wollte wieder zur Schule. Ich würde es schaffen, das hatte ich im Gefühl.
>>Okay, dann fahren dein Dad und ich morgen mal zur Schule und sprechen mit dem Schulleiter, was wir in deinem Fall machen können.<<
Ich lächelte sie dankbar an und aß den letzten Rest meines Kekses. Mein Vater seufzte, stand auf und verließ die Küche. Fragend sah ich zu meiner Mum, doch sie war ganz entspannt. Nervös rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her als Dad mit einer kleinen Schachtel in der Hand wieder zurück kam. Er setzte sich und schob das Päckchen über den Tisch zu mir.
>> Wir dachten, das könnte dir vielleicht ganz gut tun, wenn du wieder zuhause bist.<< sagte er und seine Sorge von eben war abgeflacht. Ich ließ meine Finger über das braune Packpapier gleiten und riss die Ecken dann langsam auf.
>>Ein Handy?<< fragte ich verblüfft und bestaunte dieses neue Modell in meinen Händen.
>>Ja, wir dachten ein neues Handy wäre gut für dich. Wir haben dir ein paar Nummern deiner Freunde eingespeichert. Ansonsten ist nichts hier drauf. Dein altes Handy haben wir weg getan<< sagte meine Mum ganz nervös und mein Vater bedeutete ihr ruhig zu bleiben. Ja, das war wahrscheinlich wirklich gut. Ich wollte nicht wissen, was für Nachrichten ich auf mein altes Handy bekommen hatte, nachdem ich in die Klinik eingewiesen worden bin. Ich wollte diese ganzen Drohungen und verletzenden Worte der anderen nicht lesen. Ich schaltete das Handy ein und als erstes konnte ich meine Kontaktliste sehen. Die Nummern meiner Eltern, die von Milla und Matt. Außerdem noch von Chris und Nick. Und ganz unten Caleb...
Kurz ging mein Atem flach als ich seinen Namen laß. Der Gedanke an seinen Brief lähmte mich. Zitternd legte ich das Handy auf die Tischplatte vor mich. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und mich zu beruhigen. Atmen, Lilly. Ein. Aus. Langsam. Ruhig bleiben. Du bekommst das hin.
>>Danke, das ist echt schön << bedankte ich mich so normal wie es eben ging und stand auf.
>>Was wollen wir denn heute kochen?<< fragte ich in die Runde, mit Blick auf die Uhr. Allmählich bekam ich Hunger. Schließlich war es fast drei Uhr nachmittags und normalerweise hatte ich in der Klinik längst mein Mittagessen bekommen.
>>Deine Mutter hat gestern noch ordentlich eingekauft, guck doch am besten einfach mal was du so findest<< sagte Dad, schon mit Anlauf zum Kühlschrank. Er liebte es zu essen und ich glaube, er war froh dass er das jetzt wieder hemmungslos zeigen konnte. Gespannt öffnete ich den Kühlschrank und die Schränke und legte einfach alles, was für mich gut aussah auf die Theke.
>>Und was kann man daraus jetzt machen?<< fragte mein Dad mit skeptischen Blick auf die Nudeln, das Gemüse und die Soße.
>>Wir machen einfach Auflauf<< jubelte meine Mum und wühlte schon im Schrank nach einem Topf, um die Nudeln zu kochen. Fröhlich fingen wir an heißes Wasser aufzusetzen und das Gemüse zu schneiden. Mein Dad versuchte zu helfen, saß im Endeffekt aber nur am Küchentisch und stibitzte sich ab und an eine Nudel und etwas Mais. Allein über diesen Nachmittag war ich so glücklich. Dass ich unbeschwert mit meiner Familie essen und lachen konnte, bedeutete mir schon alles.
Am Abend half ich meiner Mum beim Abwasch.
>>Waren wir eigentlich die einzigen, denen du gesagt hast wann du entlassen wurdest?<< fragte sie vorsichtig und reichte mir einen Teller zum Abtrocknen. Ich wusste, dass sie auf Caleb hinaus wollte, doch ich lenkte ab.
>>Ja, aber ich denke ich werde Milla später mal anrufen. Sie wird sich sicher freuen<< lächelte ich und stellte den Teller auf den Stapel neben mich.
>>Du weißt, davon hab ich nicht gesprochen<< harkte sie liebevoll nach.
>>Ich weiß...aber ich kann gerade nicht über ihn reden.<<
Sie sah mich mit schräg gelegten Kopf an. Sie wollte, dass ich mit ihr über Caleb redete.
>>Hat er dir weh getan, Schatz?<< flüsterte sie und strich mir sanft über die Schulter.
>>Mum...bitte nicht...<< krächzte ich hervor und krümmte mich leicht als sich mein Herz zusammen zog.
>>Geh nach oben, mein Liebling. Ruf Milla an, ich mach hier den Rest<<
Sie lächelte mich verständnisvoll an und ich lächelte dankend zurück. Ich schnappte mir mein Handy vom Küchentisch und vergrub mich damit in meinem Bett.
Ich wählte Milla's Nummer und wartete, dass sie abnahm.
>>Hallo?<< kam es verwirrt von anderen Ende. Kurz schloss ich die Augen und musste grinsen. Wie sehr hatte ihre verrückte Stimme vermisst. Ich hatte sie seit meinem Geburtstag nicht mehr gesehen. Wochen lang.
>>Hallo Milla<< sagte ich fröhlich.
Kurz war es still in der Leitung und ich hörte es kurz Rascheln.
>>Lilly?<< quietschte sie und ich musste laut lachen.
>>Was? Was ist das für eine Nummer?<< haspelte sie.
>>Ich hab ein neues Handy<< erklärte ich schnell und platzte fast, weil ich ihr so viel erzählen wollte.
>>Hä? Aber ich dachte, ihr dürft da keine...Oh mein Gott. Lilly? Bist du draußen?<< ratterte sie weiter herunter.
>>Ja, ich bin wieder zuhause<< sagte ich und versuchte Milla durch meine Stimme runter zu fahren. Sie ging an zu kreischen und ich musste das Handy einen halben Meter von meinem Ohr entfernt halten, um keinen Gehörschaden zu erleiden.
>>Was zur Hölle?! Okay...Du musst mir alles erzählen. Oh Gott Lilly, ich hab dich so vermisst. Kommst du wieder zur Schule?<<
Sie war so außer Atem, dass ihre Stimme ganz kratzig wurde.
>>Warte, warte. Eins nach dem anderen<< lachte ich und versuchte mich zu sammeln.
>> Ja, klar. Sorry. Okay, dann erzähl mal<< antwortete sie und ich hörte wie sie sich in ihr Bett warf.
Wir telefonierten noch weitere zwei Stunden. Es fühlte sich an als hätte ich sie ein halbes Leben nicht mehr gesehen.

Please no promises - und alles wurde fakeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt