Kapitel 7

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An diesem frühen Morgen wache ich mit sehr gemischten Gefühlen und vollkommen übernächtigt auf. Meine Gedanken haben mich die halbe Nacht lang wachgehalten. Wen wundert es, bei den seltsamen Vorkommnissen gestern. Wurde meinem Vater und Laura wirklich gekündigt? Oder war das nicht vielleicht doch nur ein böser Traum. Einen wundervollen Moment lang bin ich tatsächlich überzeugt davon, doch dann schlägt die Realität wieder zu. Ja, den beiden wurde wirklich gekündigt und ich komme zu spät zur Uni, wenn ich jetzt nicht schnellstens losgehe. Lina ist immer noch krank und jetzt wo mein Vater arbeitslos ist, müssen wir Geld sparen. Also lassen wir das Auto stehen und nehmen den Bus. Wir haben ja glücklicherweise Semestertickets. Mit den Rädern wären wir zwar schneller, doch wieder einmal regnet es.

In der Uni bekomme ich von den Vorlesungen kaum was mit, denn ich bin viel zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt. Unter der Bank suche ich im Internet alles zum Thema Kündigungen und Arbeitslosengeld. Dann fange ich an mir alle Möglichen Tipps zum Energiesparen durchzulesen. Angefangen vom Licht, Wasser, Heizkosten. Die meisten sind echt hilfreich und auf so manche Idee wäre ich nie gekommen.

Einige Zeit später werde ich von Lina angeschrieben. Sie muss zum Arzt, doch ihre Mutter ist noch beim Arbeitsamt. Ob ich sie fahren könnte. Wie ich herausgefunden habe kostet Autofahren eine Menge Geld, doch hier kann ich einfach nicht Nein sagen. Auch wenn mein Auto nicht unbedingt das aller billigste im Unterhalt ist, diese Fahrt muss sein.

Als ich bei Lina an der Wohnungstür klingele dauert es lange bis jemand aufmacht. Lina sieht wie schon das letzte Mal ziemlich angeschlagen aus.

"Wie geht es dir?", frage ich.

"Nicht wirklich gut. Ich fühle mich schon seit ein paar Tagen nicht sonderlich gut."

"Dann lass uns zum Arzt fahren. Ist es der gleiche wie das letzte Mal?"

"Ja, ist es."

Noch nie musste ich Lina beim Einsteigen ins Auto helfen. Auch wenn es ihr schwerfällt konnte sie das immer alleine meistern. Doch heute ist sie dazu nicht in der Lage und ich muss sie stützen. Sie konnte sich ja kaum ordentlich die Schuhe anziehen. Ich musste ihr sogar ihre Schnürsenkel binden. Als sie schließlich im Auto sitzt, lächelt sie schwach und seufzt.

"Mit mir ist heute nicht sehr viel anzufangen."

"Das merk ich schon."

Auf dem Krankenhausparkplatz der Universitätsklinik, suche ich einen Stellplatz nahe des Eingangs und werde tatsächlich fündig. Ich helfe Lina aus dem Auto und in den Rollstuhl. Sie protestiert nur halbherzig, als ich sie in Richtung Eingangstür schiebe. An der Rezeption der Neurologischen Poliklinik melden wir uns an, werden sofort weitergeleitet und stehen wenige Minuten später vor dem Büro von Doktor Felix Guthmann-Threu. Ich kenne ihn vom sehen, ich war schon Mal bei einem ihrer regelmäßigen Arztbesuche dabei. Für mich entspricht er dem typischen Aussehen eines Arztes. Groß, schlank, wenig Haare, eine einfache Brille mit schlichtem Stahlrahmen und ein makellos weißer Kittel. Er bittet uns herein. Offenbar hatte Lina ihren Besuch schon angekündigt, denn er verschwindet sofort mit ihr im Nebenraum um mit einigen Untersuchungen zu beginnen, während ich es mir auf einem der Besucherstühle bequem mache. Eine halbe Stunde lang wird Lina untersucht. Währenddessen lese ich einige Medizinzeitschriften vom Beistelltisch, lese die Nachrichten auf meinem Handy, klicke mich durch die Website der Uniklinik, checke meine E-Mails und informiere mich zu weiteren Spartipps. Schließlich kommen beide wieder aus dem Nebenraum. Sowohl Lina als auch Doktor Guthmann-Threu sehen nicht allzu erfreut aus.

"Wie siehts aus?", frage ich.

"Wir warten auf die Laborergebnisse und dann sehen wir weiter. Sie beide können so lange hier warten."

Der Doktor verschwindet und ich schaue Lina an.

"Und?"

"Mal sehen. Es scheint nicht alles im grünen Bereich zu sein, wenn ich mit den Doktor so anschaue."

"Keineswegs. Er schaute ziemlich besorgt und hat die Stirn in Falten gelegt. Für gewöhnlich kein gutes Zeichen."

"Sagt der Psychologe."

"Der angehende Psychologe. So wie es scheint werden die Ergebnisse nicht allzu positiv ausfallen."

Meine Voraussage wird bestätigt. Als Doktor Guthmann-Threu zurück kommt hat er einen Schnellhefter mit Tabellen und Diagrammen dabei. Er studiert sie eingehend und seine Miene wird immer nachdenklicher. Schließlich rückt er seine Brille zurecht und schaut Lina an.

"Wir werden sie stationär aufnehmen und morgen weitere Tests veranlassen. Die derzeitigen Ergebnisse sind entweder nicht eindeutig oder geben Anlass zur Besorgnis."

"Es sieht also nicht gut aus."

"Kann ich nach den derzeitigen Ergebnisse nicht genau sagen."

"Haben sie eine Idee was es sein könnte?"

"Ich kann dazu keine genaue Aussage machen und möchte auch nicht wilde Vermutungen anstellen. Nur so viel. Es dürfte mit ihrer Erkrankung zu tun haben."

Lina nickt langsam. Wirklich überrascht sieht sie nicht aus. Der Doktor holt eine Schwester, die Lina auf Station bringt. Sie bittet mich derweil, ihr von Zuhause einige Sachen zu holen. Auf dem Weg zum Wagen, denke ich über die letzten Worte des Arztes nach. Es ist also keine normale Erkrankung, sondern hat etwas mit Linas Krankheit zu tun. Ich weiß nicht was Lina hat, wie ihre Krankheit heißt. Das war eines der ersten Dinge, die ich klarstellte als wir uns kennen lernten. Ich wollte nie den Namen ihrer Krankheit erfahren, damit ich sie nicht im Internet suchen konnte um so zu erfahren welche Symptome und Nebenwirkungen mit ihr einher gehen. Ich kann also bis heute nicht genau sagen was sie hat, ob es schlimmer oder besser wird, ob sie eine kürzere Lebenserwartung hat, ob sie Schmerzen hat oder ähnliches. Wir reden nicht darüber und das ist mir auch ganz lieb. Lina ist wie sie ist, mit all ihren Ecken, Kanten und Besonderheiten. Ihre Krankheit gehört zu ihr, sie ist ein Teil von ihr und je weniger ich über diesen Teil weiß, desto besser. Andernfalls würde ich bloß schreckliche Gedanken bekommen.

Long WayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt