Kapitel 11

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Es war wieder einmal Freitag und er war auf dem Weg zum Psychologen.

"Dann erzählen Sie mal", sagte Berndt.

"Es trat wieder auf."

"Was trat wieder auf?"

"Das Klopfen! Aber nicht nur einmal sondern fast jeden Abend. Es war schrecklich. Nicht zu ertragen."

"Woher kam das Klopfen?"

"Aus dem Abstellraum. Und ich hatte panische Angst. Doch jedes Mal, wenn ich die Tür geöffnet habe, war da nichts. Und ich bin mir sicher, ich bilde mir das nicht ein! Es, es hat mich verrückt gemacht! Und es macht mich immer noch verrückt! Aber egal wie schnell ich aufgesprungen bin, es war nichts. Und dann, das eine Mal hätte ich schwören können, dass der Schreibtisch anders stand!"

"Also sind Sie sich sicher, dass da nichts und niemand war, der das Klopfen verursachen hätte können?"

"Ja, ich bin mir hundertprozentig sicher. Vielleicht sollte ich mir eine neue Wohnung suchen!"

"Es tut mir leid ihnen das sagen zu müssen. Und außerdem ist es auch nur eine Möglichkeit. Ich glaube, dass es nichts ändern würde. Da ist etwas, was Sie verfolgt, etwas, das Sie nicht loslässt. Und ich meine damit nichts Materielles. Aber darüber reden wir gleich nochmal. Sagen Sie! Ist da noch etwas passiert oder ist das alles?"

"Ich habe mich erkundigt und Leute gefragt, ob sie die alte Dame kennen, die den einen Tag zu mir kam und mich beschuldigte, die Drohung geschrieben zu haben, aber keiner kannte sie. So, als würde sie gar nicht existieren. Ich dachte, jemand wollte mir unterschieben, dass ich ein Kind ermorden wollte. Dann habe ich einen angesprochen, der die gleichen Initialen hatte und er hat mich angeschrien. Aber es hätte jeder sein können. Jeder, der mich nicht ausstehen kann. Und da gibt es immer welche.

Das war noch nicht alles. Das Schlimmste kommt jetzt. Ein paar Tage später kam sie wieder an meine Tür und weinte. Sie schrie mich an und wollte wissen, warum ich ihre Enkelin umgebracht habe."

"Glauben Sie, es besteht eine Verbindung zwischen der alten Dame und dem Klopfen?"

"Ich weiß es nicht, aber in einem Moment habe ich geglaubt, dass ich mir alles einbilde, aber dann wurde mir klar. Das kann ich mir nicht eingebildet haben! Das geht nicht! Ich meine, ich bin ja nicht verrückt."

"Ich habe noch eine Frage an Sie. Woher kannte die alte Dame Sie?"

"Das ist ja das Rätsel! Ich kenne sie nicht und sie wird mich wohl kaum einfach irgendwo draußen gesehen haben. Sie kannte meinen Namen. Deswegen dachte ich, die einzige Möglichkeit wäre, dass sie im gleichen Gebäude wohnt. Aber ich habe andere Bewohner gefragt und ich bin die Stockwerke durchgegangen."

"Können Sie sich jetzt jemanden vorstellen, der Ihnen einen Mord unterschieben will? Waren Sie aufmerksam und haben sich umgesehen?"

"Ehrlich gesagt habe ich mich nach niemandem umgesehen, also nein, ich weiß nicht, wer mir einen Mord unterschieben will."

"Meine letzte Frage. Können Sie sich an etwas erinnern, das in dem Abstellraum vorgefallen ist? Denken Sie nach. Da muss es irgendwas geben. Etwas, was in Ihrer Vergangenheit passiert ist und Sie nicht loslässt."

Plötzlich wurde er ganz bleich. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Er hatte einen großen Kloß im Hals. Sein Mund wurde staubtrocken. Er fing an zu schwitzen.

"Ich denke, es ist Zeit, dass Sie mir den wahren Grund erzählen, weshalb sie einen Psychologen aufgesucht haben. Ich denke, dass es etwas anderes ist. Etwas anderes, als Depressionen und Angstzustände."

Er brachte kein Wort heraus.

"Wollen Sie etwas trinken?", fragte Berndt.

"Ja, gerne. Wasser, bitte!"

Berndt ging ins Zimmer nebenan und brachte ihm ein Glas kaltes Wasser.

Raiden nahm es, und umschloss es mit seiner Hand, ganz fest, so, als wäre es das einzige, was ihm noch verlieb. Als er seine Hand zum Mund führte, zitterte sie.

Er holte tief Luft.

"Da fällt mir tatsächlich etwas ein. Vor vielen Jahren, da war ich 32 Jahre alt, da habe ich in dieser Wohnung gelebt, mit meiner Frau Susanne und meiner Tochter Fiona. Wir waren so glücklich."

Er wandte die Augen nicht von der Wand ab und eine Träne rollte über seine Wange.

"Den einen Abend, da war ich alleine mit Fiona. Ich war nicht ich selbst. Es war, wie, als wenn ich besessen gewesen wäre. Mein Gehirn war, wie außer Betrieb. Und da war nur noch diese eine Stimme, die mir sagte, dass ich dieses Leben, so wie es war, nicht will. Dass ich vernichten muss, um glücklich zu werden. Diese Stimme war nicht von mir. Denn ich musste bis jetzt feststellen, dass es nicht an meiner Familie lag, dass ich nicht glücklich sein konnte. Früher, als ich Susanne kennengelernt habe, da war ich sehr glücklich. Aber dann später, da war es anders. Es lag an mir. Ich war krank und ich weiß es nicht, aber manchmal habe ich das Gefühl, ich werde nicht gesund sein, ich kann nicht geheilt werden. An jenem Abend habe ich meine Tochter in der Abstellkammer umgebracht. Ich..."

Er stockte.

"Ich habe sie ermordet. Und dabei habe ich nichts gefühlt. Und ja, es verfolgt mich bis heute. Ich habe die Abstellkammer bis vor kurzem verschlossen gehalten, weil ich mich nicht erinnern wollte. Aber das hat nichts gebracht. Die Vergangenheit, was ich gemacht habe, das war ein Fehler. Ich wollte diesen Raum nicht mehr betreten, aber als ich das Klopfen gehört habe, konnte ich ja nicht anders.

Ich habe meine Tochter einfach ermordet und in diesem Moment nichts gefühlt. Keine Reue. Nichts. Als meine Frau dann wiederkam von der Arbeit. Da ist sie zusammengebrochen. Sie hätte mir das nicht zugetraut. Sie hat mich geliebt. Aber mit meinem Handeln habe ich alles versaut. Sie ist abgehauen und ich habe sie nie wieder gesehen."

"Es muss sicher sehr schwer für Sie gewesen sein, das zu beichten. Ich denke, Sie können sich jetzt auch erklären, wieso sie das Klopfen gehört haben und wieso die alte Dame wissen wollte, wieso sie nicht zugeben, dass Sie sie getötet haben. Sie wollten sich das nicht eingestehen, nicht drüber nachdenken. Aber es tut mir leid, ich schätze, die Vergangenheit hat Sie eingeholt. Die Erklärung für all das, die Erklärung, die am wahrscheinlichsten ist, ist die, dass sie nicht von ihrer Vergangenheit loskommen. Sie können nicht nach vorne blicken. Das, was passiert ist, ist Einbildung. Die alte Dame gibt es nicht wirklich. Sie wurden lediglich von der Vergangenheit eingeholt und bestraft."

Das Klopfen - du kannst nicht entkommenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt