Die Schmierereien auf den Wänden, die Essensreste am Boden und den muffigen Geruch ignorierend, hetzte Ich durch einen der dreckigeren Teile der Stadt, den sich Obdachlose, Raufbolde und Kriminelle zu eigen gemacht hatten. Es waren meist Orte voller enger Gassen und halbherzig versteckter Schlafplätze, die so gut wie immer aus blossem Karton bestanden, und dieser stand dem in nichts nach. Rückseiten schattenwerfender Gebäude gaben einen guten Zufluchtsort ab, und die meisten der Hausbesitzer scherten sich nicht um den Dreck, der sich in den Ritzen und Ecken einnistete; die Meisten von ihnen waren selbst nicht viel besser, nur mit einem etwas grösseren Geldbeutel.
Es war einer der seltenen Tage, an denen Ich keiner Menschenseele begegnete, was mir gerade Recht kam. Das Letzte was Ich wollte, war, dass mich jemand schon beinahe panisch weg rennen sah. Denn genau das war es was Ich tat. Weg von dem, was Ich gerade gesehen hatte, weg von ihr, dem Avatar.
Avatar.
Immer wieder hallte dieses Wort durch meinen Kopf und brachte längst verdrängte Erinnerungen zutage. So oft hatte Ich es als Kind gehört, kaum eine Woche konnte vergehen, in der es nicht gefallen wäre. Und auch wenn es lange her war, so klang es schmerzhaft vertraut. All die vielen Jahre, in denen Ich es vermieden hatte diesen Namen auszusprechen oder auch nur an ihn zu denken, bis er irgendwann ganz aus meinem Leben verschwunden war, waren in den letzten Minuten zunichte gemacht worden.
„Verdammt!“
Es war mir egal, dass jemand meinen frustrierten Schrei hätte hören können, als Ich meinen hektischen Lauf mitten im Schritt unterbrach und mit bebender Faust gegen die nächste Wand schlug.
Ich hatte diese Zeit, dieses Wort, dieses Leben, aus einem guten Grund hinter mir gelassen, so schwer es auch gewesen sein mochte! Und doch schien es mich jetzt wieder einzuholen, mit voller Wucht zu verschlingen, wie eine massive Welle aus Erinnerung. Plötzlich taumelnd streckte Ich meinen Arm nach der Wand aus, als sich eine Flut von Gefühlen über mir ergoss.
Angst, Wut, Erschöpfung, Unsicherheit, Verrat.
In meinen Ohren schrillte die Stimme wieder, deren Worte mir die grösste Wunde meines Leben zugefügt hatten, und Ich krümmte mich leicht, als Ich den alten Schmerz wieder spürte, den Ich seit 10 Jahren zu vergessen versuchte.
„Sie ist eine grosse Belastung für uns alle. Von der Gefahr für dich und das Baby gar nicht zu sprechen. Manchmal wünsche Ich mir, dass es anders wäre. Dass Sie anders wäre.“
Das Bild eines kugelförmigen Bauch, um den sich beschützend zwei sanfte Frauenhände legten, schob sich vor mein inneres Auge. Ich hatte sie in Gefahr gebracht, die Einzige, die immer hinter mir gestanden hatte, und nun am schutzbedürftigsten war.
Mutter...
„Es reicht!“, wies Ich mich harsch zurecht, woraufhin Ich mit aller Kraft ins Jetzt zurück fand, die Bilder verdrängte und einen Moment lang zitternd meine Gedanken ordnete.
„Du hast es hinter dir gelassen. Endgültig. Und das wird sich auch nicht ändern. Du bist jetzt jemand anders, stärker, schlauer, in der Lage sich zu verteidigen. Dein Name wird ehrfürchtig oder verängstigt ausgesprochen, du lebst nach deinen Regeln, bist deine eigene Herrin. Was ist nur los mit dir, dass du dich von diesem Mädchen so aus der Ruhe bringen lässt? Du bist keine fünf mehr!“
Ein leichtes Schamgefühl beschlich mich, als mir bewusst wurde, wie schwach Ich gerade geworden war. Alles nur wegen diesem Avatar, der in mein Leben geplatzt war.
„Eindringling“, flüsterte Ich verächtlich.
Sie war in meine Stadt gekommen, hatte sich in meine Angelegenheiten gemischt und wagte es noch, sich meiner Gedanken zu bemächtigen.
Nicht mit mir.
Mich langsam zu meiner vollen Grösse aufrichtend gewann Ich die Beherrschung wieder, auch wenn mein Körper nur widerwillig zu gehorchen schien. Meine Hand hatte sich immer noch zu einer zitternden Faust geschlossen, die sich taub anfühlte, als Ich sie zwang sich zu öffnen.
So wie Ich den Avatar aus meinem Leben zwingen würde. Und aus meiner Stadt, wenn es nötig sein sollte.
Ich konnte für sie nur hoffen, dass sie sich zurück hielt, so dass Ich mich nicht um sie zu kümmern brauchte.
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Der Schatten
Fiksi PenggemarIch lebte bereits seit langer Zeit in Republika. Seit meiner Geburt, um genauer zu sein. Doch mein Leben spielte sich nicht in den hohen Häusern ab. Ich war ein Kind der Strasse, wie so viele in der grossen Stadt. Das Leben, das Ich wählte, war hart...