Graue Abgase stiegen aus dem Auspuff auf, als das Gefährt mit einer Vollbremsung vor dem Grammofonladen zum Stillstand kam. Einen Moment lang herrschte gespenstische Stille, da sich jeder vernünftige Mensch in seinen Laden geflüchtet hatte und die wenigen Leute, die hier durchgingen, versuchten, sich so unauffällig wie möglich aus dem Staub zu machen.
Es war erstaunlich, was für eine Furcht auf einmal in der Luft hing, auch wenn die wenigsten wirklich wussten, vor wem sie sich da genau fürchteten. Und das, obwohl sie sich auf ihrem Gebiet befanden.
Dann klickte es und die Tür des Beifahrers schwang auf, gefolgt von einem schwarzen Schuh.
Es befanden sich anscheinend drei Personen in diesem Wagen, die nun alle ausstiegen und mit betonter Lässigkeit auf den gebrechlich wirkenden Mann zu schlenderten, der immer noch vor seinem Laden sass um seine Grammofone zu entstauben. Der Kerl mit dem grauen Hut schien die beiden anderen anzuführen, denn sie liefen ihm hinterher wie zwei brave Hündchen, was mich überraschte, denn Ich kannte ihn nicht.
Weder vom hören sagen, noch hatte Ich ihn je zu Gesicht bekommen.
Dafür waren die beiden Anderen mir ''vertraut´´. Der Eine war ein Erdbändiger, der aber mehr Muskeln als Gehirn besass und dessen Name Ich nie erfahren hatte. Der Dritte im Bunde liess meine Hand unweigerlich zu meinem linken Oberarm schnellen, wo sich unter dem Stoff ein Streifen verbrannter Haut verbarg, den Ich seit langem mit mir herumtrug.
Mit einer gewissen Befriedigung nahm Ich wahr, dass Two Toed Ping das hübsche Souvenir von unserer ersten Begegnung auch noch nicht losgeworden war, welches ihn nun beinahe mehr kennzeichnete, als seine zwei zusätzlichen Zehen. Der rote Strich quer über dem Auge stach auffällig aus seinem langen, kalkweissen Gesicht heraus und Ich konnte mir ein zufriedenes Schnauben nicht verkneifen. Er hatte es verdient.
Als die seltsame Gruppe zum Stehen kam, richtete Ich meine Aufmerksam wieder auf das Geschehen, auf das Ich seit mehreren Tagen gelauert hatte. Das Grammofon blitzte in der Sonne, doch wurde sogleich von dem Schatten des Verkäufers verdeckt, der mit vor Angst geweiteten Augen aufsah, sowie der Fremde mit dem grauen Hut seine Stimme erhob. Ich konnte ihn nicht hören, doch es war ziemlich klar, was er wollte, da sie selten etwas anderes verlangten. Geld.
Und dafür erpressten sie zu gerne harmlose Bürger, die zufällig in ihrem Territorium lebten, da es so lächerlich einfach war, das jeder halbwegs trainierte Bändiger sich an den Leuten hier hätte vergreifen können, ohne sich auch nur im geringsten anzustrengen. Und diesen drei Bändigern da unten eilte noch der Ruf der Triade der dreifach Gefahr voraus, wodurch jeder Widerstand aus Furcht im Keim erstickt wurde und sie sich rücksichtslos nehmen konnten was sie mochten, völlig unbeeindruckt von der Polizei, die sich nur halbherzig dieser Sache zu widmen schien.
Ein leises Knirschen ertönte zwischen meinem aufeinander gepressten Kiefer, während sich meine Hände zu Fäusten ballten. Ungeduldig mit der Fussspitze wippend spürte Ich, wie sich jeder Muskel in mir anspannte, begierig darauf, diesen Mistkerlen alles Heim zu zahlen, was sie diesem Viertel angetan hatten.
Nur mit Mühe hielt Ich mich zurück, die Augen eisern auf die Szene gerichtet, die sich mir bot, jede verfluchte Sekunde zählend, bis Ich mich das Dach runter stürzen konnte um sie fertig zu machen.
„Beruhige dich, es bringt dir nichts, wenn du dich deinen Gefühlen hingibst. Du weisst was Techi immer sagte: sobald man seine Emotionen nicht mehr unter Kontrolle hat, hat man nichts mehr unter Kontrolle. Je entspannter und rationaler du bist, desto effizienter kannst du sein.“
Stirnrunzelnd gab Ich meinem Verstand Recht, auch wenn das dem Blut in meinen Adern egal zu sein schien, denn es pulsierte wie ein schneller Trommelschlag durch mich hindurch, von der Wut in Wallung gebracht.
„Sammle dich, du bist viel zu aufgeregt. Glaubst du, nur weil er seit ein paar Monaten weg ist, kannst du dich auf einmal so gehen lassen?“
Wie ein Blitz schlugen diese Worte ein und mein Herz nahm schlagartig einen anderen Rhythmus an, jedoch nicht ohne vorher eine Sekunde auszusetzen.
Harsch wies Ich mich zurecht, ignorierte gekonnt den Schmerz, der sich für einen Moment eingestellt hatte und wollte mich gerade in eine etwas entspanntere Position begeben, als meine gesamte Aufmerksamkeit auf die Stichflamme gelenkt wurde, die das Grammofon, das der ältere Mann dem Trio wie eine Entschuldigung entgegen gehalten hatte, in einen brennenden Schutthaufen verwandelte.
„Bitte, Ich habe nichts, wirklich!“, klangen die verzweifelten Rufe zu mir hoch, als Two Toed Ping einen Schritt von seinem Werk zurücktrat und ihr Anführer sich dem ängstlichen Verkäufer bedrohlich näherte.
„Jetzt!“
Ohne eine Sekunde zu zögern schnellte Ich hoch – und hielt wie in der Bewegung eingefroren inne, ungläubig die betrachtend, die mich heute schon zum zweiten Mal aus der Fassung brachte.
Das Mädchen in Blau, das Ich völlig vergessen hatte, als das Trio vorgefahren war, stand auf einmal hinter den Bändigern, die Hände in die Hüften gestützt und schien ihnen etwas zu zu rufen, denn sie errang die Aufmerksamkeit der Drei sofort. Wie vom Blitz getroffen fuhren sie herum, was dem alten Mann die Chance gab, sich hastig in seinen Laden zu flüchten, von wo er das Ganze aus grossen Augen mitverfolgte.
„Was zum... Ist sie verrückt geworden?!“ Entgeistert lehnte Ich mich etwas weiter nach vorne, die Hände auf den Rand der Begrenzung des Daches gelegt. Was war nur in sie gefahren? Glaubte sie ernsthaft, sie konnte etwas gegen diese Männer tun? Sie möglicherweise sogar besiegen? Das war absurd, lächerlich, wenn nicht gar wahnsinnig!
Das Ich genau das Gleiche vorhatte, war in meinem Gehirn zu einem unwichtigen Faktum geworden, und überhaupt war das auch was ganz anderes, da Ich keine dahergelaufene Touristin war. Man kannte mich nicht umsonst auf den Strassen als den „Schatten“, der sich noch nie hatte fangen lassen und jeden Kampf für sich gewann!
Die Wut von vorher kochte wieder auf bei dem Gedanken, das es dieser jungen gedankenlosen Frau zu verdanken war, das die Leute der Triade immer noch bei Bewusstsein waren, anstatt von mir in Grund und Boden gestampft zu werden. Doch irgendwas hielt mich davon ab, es nachzuholen.
Als wäre der richtige Moment vorbei um hinunter zu springen, diese Mistkerle zu schnappen, k.o zu schlagen und mich dann aus dem Staub zu machen, da der kritische Punkt bereits überschritten war und Ich keinen handfesten Grund mehr dazu hatte. Jetzt würde Ich warten müssen, bis sie wieder etwas illegales taten, was im Angesichts der Lage allerdings sehr wahrscheinlich war. Hoffentlich würde die Unruhestifterin (wie Ich sie in Gedanken bereits nannte) keinen grossen Unsinn anstellen, sondern sie nur provozieren und sich zurückziehen, wenn Ich endlich das tun konnte, auf das Ich gewartet hatte.
Mit eng zusammengeschobenen Augenbrauen beobachtete Ich, wie das Trio nach der ersten Überraschung in schallendes Gelächter ausbrach bei dem Gedanken, dass dieses Mädchen sich ihnen tatsächlich in den Weg stellte. Eines der seltenen Male, das Ich mit solchen Leuten übereinstimmte. Völlig unbeeindruckt hielt sie jedoch ihren Blick auf die Bändiger gerichtet, als wüsste sie genau, was sie täte.
Als sich die Männer wieder gefasst hatten, beugte Ich mich noch etwas weiter vor, bis Ich ein kleines Kribbeln in meinen Muskeln spürte, als meine Arme der einzige Grund waren, weswegen Ich nicht Kopf über vom Dach flog, um wenigstens zu versuchen ein Wort dessen zu erhaschen, was dort unten gesprochen wurde. Vor lauter Konzentration verengten sich meine Augen zu Schlitze, während Ich den Kopf schief legte, aber nur ein paar undeutliche Gesprächsfetzen wehten zu mir hoch. Dennoch konnte Ich das Wort „Krankenhaus“ ausmachen, was mich wie ein plötzlicher Stromschlag in Bewegung versetzte; es war eine offen ausgesprochene Drohung.
Mein Stichwort.
Schwungvoll setzte Ich zurück, bevor Ich mich abstiess und sprang. Zischend rauschte die Luft an mir vorbei, an meiner Kapuze zerrend – und damit die Schnur gegen meine Kehle pressend, mit der Ich sie festgebunden hatte -, meinen Umhang herumwirbelnd, doch Ich liess mich nicht beirren und kam einen Moment später auf dem harten Asphalt an. Wie von der Tarantel gestochen schnellte Ich aus der Hocke hoch, die Fäuste erhoben, jeder Muskel zum Bersten gespannt.
Aber bevor Ich überhaupt die Chance hatte, einen weiteren Schritt zu tun, erfasste Ich das Bild, das sich mir bot, und wurde starr vor Perplexität.

DU LIEST GERADE
Der Schatten
FanfictionIch lebte bereits seit langer Zeit in Republika. Seit meiner Geburt, um genauer zu sein. Doch mein Leben spielte sich nicht in den hohen Häusern ab. Ich war ein Kind der Strasse, wie so viele in der grossen Stadt. Das Leben, das Ich wählte, war hart...